INTERVIEW

Thomas Woschitz über UNIVERSALOVE

 

«Wir wollten einen choralen Film entwickeln, wo mehrere Geschichten zusammenfließen und wo etwas wie eine neue Form von Musical entsteht.» Thomas Woschitz über seinen neuen Film Universalove.


Film oder Musik – was steht bei einem Projekt wie Universalove im Vordergrund?
Thomas Woschitz: Es war von Anfang geplant, dass der Film zwei verschiedene Fassungen – eine   Live- und eine Kinoversion – haben soll. Es hat sich jetzt im Laufe der Arbeit deutlich herauskristallisiert, dass sich die beiden Versionen unterscheiden werden. Der Film ist als Musik-Film gedacht. Wenn er im Rahmen eines Live-Konzerts aufgeführt wird, hat die Musik dabei einen anderen Stellenwert als im Kino. Es kommt ein physisches Element dazu, da man die Musiker direkt vor sich sieht. Am liebsten wäre mir, dass man mit der Live-Version auf Tour geht und im Anschluss daran den Film zwei Wochen lang an den jeweiligen Orten im Kino zeigt.


Woher kommt die Affinität zur Musik von Naked Lunch?
Thomas Woschitz: Oliver Welter, den Begründer und Sänger von Naked Lunch, kenne ich seit meinem 13. Lebensjahr, wir haben uns dann aus den Augen verloren, ich ging nach Rom, um Film zu studieren, er hat seine Musik-Karriere gestartet. So Anfang/Mitte 20 sind wir wieder aufeinander gestoßen. Die Musiker wollten von mir ein Musik-Video, anfangs auch Fotos. Dann machte ich meinen ersten Kurzfilm Tascheninhalt und Nasenbluten, dazu hat Oliver Welter die Musik geschrieben. Langsam entwickelte sich das weiter. Sie machten dann für die gesamte Josef-Trilogie die Musik, dann bot sich die Möglichkeit für das Donaufestival mit Sperrstunde ein gemeinsames Projekt zu entwickeln. Und daraus entstand dann die Idee, nicht von einer „Henne oder Ei-Konstellation“ auszugehen, wo einer von uns beiden mit einem fertigen Produkt an den anderen herantrat, sondern wo wir gleichzeitig parallel an etwas arbeiten.

 

Einen thematischen Bogen muss es aber dennoch gegeben haben?
Thomas Woschitz: Den gab es bei beiden Projekten. In Sperrstunde stand thematisch der Moment, wo etwas zu Ende geht, im Mittelpunkt. Der Film wurde im Auftrag des Donaufestivals mit sehr kleinem Budget hergestellt und vor allem als Konzert-Version präsentiert. Wir haben festgestellt, dass die Menschen auf diese Mischung aus Film und Musik, insbesondere Live-Musik ansprechen und das wollten wir weiterentwickeln. So sind wir auf das „ausgefallene“ Thema Liebe gekommen, weil es auch zur Musik von Naked Lunch passt, die eine eher melancholische, in den letzten Jahren sehr emotionale Musik machen. In weiterer Folge kam es zur Idee von Universalove, weil wir einen choralen Film entwickeln wollten, wo mehrere Geschichten zusammenfließen und wo etwas wie eine neue Form von Musical entsteht. Ein Begriff, der natürlich auch Skepsis auslöst. Wir wollten mit der Musik nicht nur Emotionen unterstützen, sondern einen Schritt weiter gehen. Musik sollte Teil der Erzählung werden, es ist uns ganz wichtig, dass es sich um keinen Filmscore handelt, sondern Popsongs eine narrative Funktion erfüllen. Die Songs brauchen dann ihren Raum – das war und das stellt die größte Schwierigkeit dar, die in diesem Film zu lösen ist. Film und Musik sind beide sehr stark, aber Musikrezeption ist einfach intensiver als die visuelle Rezeption. Es ist eine sehr diffizile Geschichte, hier die richtigen Momente finden, die richtigen Pausen setzen. Musik kann sich erst entfalten, wenn sie vorher Luft gehabt hat. Andererseits müssen sich auch die Bilder entfalten können. Mir war es ein großes Anliegen, dieses Wechselspiel zwischen Musik und Filmgeschichten herauszuarbeiten.
 
Gab es anfangs eine ganze Reihe kleiner Geschichten, aus der sich dann die sechs herauskristallisiert haben?
Thomas Woschitz: Nein, die sechs Episoden haben zunächst treatmenthaft existiert, daraufhin haben Naked Lunch ihre erste Musik entworfen. Und so ist das Projekt gewachsen, ich habe das Drehbuch immer weiter ausgeschrieben. Es war insofern auch immer ein Experiment, als wir uns sagten, das Drehbuch muss in der Art, wie wir drehen – mit kleinem Budget in ein Land fahren, wo wir vier Tage Vorbereitung und vier Tage Dreh zur Verfügung haben – sehr flexibel sein. Ich habe jeden Abend auf die Bedingungen hin umgeschrieben. Teilweise war der Lead-Sänger und -Schreiber auch mit und hat unmittelbar reagiert. Für ihn war es auch sehr wichtig, die Atmosphären der verschiedenen Länder authentisch und nicht nur am Schneidetisch mitzukriegen. Es war wichtig, ein größeres dramaturgisches Konstrukt zu haben.


Wie fiel die Wahl auf diese Länder?
Thomas Woschitz: Ich wollte ein gewisses Spektrum mit verschiedenen Kulturen hineinbringen. Ich habe es aber auf Orte reduziert, zu denen ich einen gewissen Bezug habe. Orte, wo ich schon war, wo ich auch Leute gekannt habe, das war mir sehr wichtig. Das war auch eine Idee dieses Projekts, in diesem Film mit Menschen, Filmemachern, Filmleuten aus anderen Ländern zusammenzuarbeiten und einen Austausch zu haben.


War es beim Festlegen der Tonart/des Stils der jeweiligen Geschichte auch ein Ziel, die jeweilige Cinematografie des Landes spürbar zu machen?
Thomas Woschitz: Es ergibt sich sehr viel. Tokyo mit seinen schnellen Aufnahmen, mutet ja beinahe zu klassisch an. Tokyo ist so eine enorme Stadt mit einem riesigen Lichtermeer. Diese Dimensionen wollte ich innerhalb kürzester Zeit versuchen darzustellen. Es steht jede Episode in gewisser Weise für einen anderen Erzählstil, aber auch das geht zum Teil gar nicht auf bewusste Entscheidungen zurück. Durch das Licht in Rio und die Mentalität der Menschen ergab sich, dass alles am Tag in der Sonne spielt und damit eine „helle“ Episode entstanden ist. Dass die luxemburgische Episode sehr kryptisch erzählt ist und alles in der Nacht spielt, hat ebenfalls zum Land und seiner Atmosphäre gepasst. Ganz bewusst haben wir uns dafür entschieden, dass die einzelnen Geschichten nichts miteinander zu tun haben. Das Thema und die Musik war für uns Verbindung genug, es wäre uns zu künstlich erschienen, hier noch einzugreifen und durch Zufälle einen narrativen Zusammenhang herzustellen. Es war jeder Dreh auf seine Weise spannend und es bedeutete immer einen Sprung ins kalte Wasser, mit einem fremden Team zu arbeiten. Einzig der Kameramann war immer dabei. Die jeweiligen Produktionsfirmen vor Ort haben vorab das Script bekommen, haben Vorschläge gemacht und innerhalb der ersten vier Tage nach unserer Ankunft haben wir dann die Locations ausgesucht und den Cast entschieden. Diese Dynamik zu nützen, war auch Bestandteil des Projekts. Wir hätten es entweder mit einem großen Budget versuchen müssen, es ganz anders angehen und vorher alle Länder bereisen oder man macht es mit einem kleinen Budget und nutzt dabei, was aus der Spontaneität entsteht, Dass man z.B. einen ganz anderen Darstellertyp für eine Rolle bekommt, als man erwartet hatte, dann aber draufkommt, dass es so eigentlich besser funktioniert, es genügt, die Geschichte ein bisschen umzustellen oder umzuschreiben. Diese Dynamik soll da mitschwingen.


Es gibt Episoden, die als Komödie, als Kriminalgeschichte, als Serie erzählt sind. Würde sich jedes Kapitel mit einem Thema versehen lassen?
Thomas Woschitz: Nein, nicht direkt. Natürlich ist das Drehbuch nicht willkürlich entstanden, es soll eine große Geschichte ergeben. Für mich und die Musiker würde das Konzept aufgehen, wenn die Leute aus dem Kino rauskommen und sich nicht die Frage stellen, wie der Inhalt der einzelnen Geschichten war, sondern den Eindruck haben, echtes Gefühlskino miterlebt zu haben. Manche Geschichten sind klarer, manche sind sehr spärlich erzählt. Unser Ziel war es, einen großen Bogen zu spannen.


Wie wurde die sprachliche Frage für die einzelnen Drehbücher gelöst, was hat es bedeutet, mit Schauspielern zu drehen, deren Sprache du nicht verstehst?
Thomas Woschitz: Es war lustig und interessant. Am skurrilsten war es natürlich in Tokyo, weil dort oft kein sehr besonders gutes Englisch gesprochen wird. Es kam vor, dass ich mit dem Kameramann am Set gestanden bin und das Gefühl hatte, es versteht uns keiner. Es hat aber letztendlich gut funktioniert. Wir hatten meist einen Übersetzer dabei, der aber oft mit anderen Dingen beschäftigt war. Es hat sehr viel über Gestik und Mimik funktioniert, auch in den schwierigsten Situationen.


Wie hat in Zusammenarbeit mit dem Kameramann das Kamerakonzept ausgesehen?
Thomas Woschitz: Wir haben bei Sperrstunde sehr gut zusammengearbeitet und so ergab sich als logische Konsequenz, dass wir auch Universalove gemeinsam machen. Die Kamera ist sehr nahe an den Personen dran, das war auch Teil des Konzeptes. Es sollte nicht aus der Distanz, sondern aus einer Nähe erzählt werden, um größere Intimität zu erzielen. Für jedes Land haben wir ein eigenes stilistisch- und farbliches Konzept erarbeitet, um die jeweiligen Stimmungen vor Ort zu verstärken.


Urbane Kulissen sind jedenfalls ein visuelles Thema.
Thomas Woschitz: Auch da hat sich sehr viel von selbst ergeben. Es war uns nie wichtig, an den Drehorten, wiedererkennbare Locations aufzuspüren. Wir wollten nicht, dass die Geschichten unbedingt lokalisierbar sind, sondern auch überall passieren könnten.


Der Schnitt stellt in diesem Konzept sicherlich ein so wesentliches Element dar wie das Lesen und das Schreiben.
Thomas Woschitz: Ich habe den Film selber geschnitten. Für beide Elemente - Film und Musik - das Gleichgewicht, den Rhythmus zu finden, ist ziemlich schwierig. Es ist ein sehr fragiles Konstrukt. Man kann jede dieser sechs Geschichten schon in sich erzählen, wie man will, da sie in sich an keine stringente Dramaturgie gebunden sind. Dann aber das Ganze so in Spannung zu halten, dass man an keiner der Geschichten je Interesse verliert, ist nochmals etwas anderes. Es ist bis zum letzten Moment spannend geblieben. Ich habe zum größten Teil bei den Musikern in einem Atelier geschnitten, das gleich neben dem Studio liegt. Die Musiker haben aufgenommen, wir haben rasch die Files angelegt und mit dem Film gemeinsam angesehen, geschaut, ob es passt, wieder umgestellt. Diese unmittelbare Nähe war unheimlich wichtig, weil sich durch den ständigen Austausch einiges an der Musik und am Filmschnitt getan hat.


Hast du selbst eine Präferenz zu einer der Projektionsformen – Konzert oder Kino?
Thomas Woschitz: Das kann man so nicht sagen. Es hat mich immer fasziniert und interessiert, über das normale Kino hinauszugehen, in Form von Video-Installationen, Filminstallationen. Mir war es immer ein Anliegen, nach neuen Erzählformen zu suchen, neue Möglichkeiten zu finden, um Filme einem Publikum zugänglich zu machen. Durch den Charakter von Live-Aufführungen verändert sich auch der Film. Da ist eine ganz andere Rezeption. Natürlich fasst man einen normalen Film auch jedes Mal anders auf, wenn man ihn sieht, aber da kommt nocheinmal die Konzertatmosphäre dazu. Bei seiner Festivalpremiere in Toronto wird der Film im Kinosaal gezeigt werden, vorrangig wollen wir Universalove aber als Filmkonzert zeigen. Natürlich aber auch in den Kinosälen, weil es von der Nutzung und der Distribution einfacher ist und Naked Lunch nicht täglich ein Konzert geben kann.


Interview: Karin Schiefer
2008