Wovon sie da so vor sich hinträumen, wissen sie nicht wirklich. Es ist jedenfalls groß, weit weg und sicherlich ganz schrill.
Die weißen Kondensstreifen, die über ihre Köpfe hinweg den Himmel in alle Richtungen durchkreuzen, führen ihrer Meinung nach
alle ans Ziel ihrer Fantasien. Texas. Kalifornien. Memphis Tennessee. "America must be great". So viel ist jedenfalls gewiss.
Betty und Lilly, beide Anfang zwanzig, Protagonistinnen in Mirjam Ungers Regiedebüt Ternitz Tennessee, schwärmen und träumen.
Es besteht auch guter Grund dazu: denn noch leben sie in Ternitz, einem blassen Provinznest im Süden Wiens, wo Betty weiße
Pudel in einem Hundesalon auf Hochglanz bringt, Lilly sich als Mechanikerin in einer Autowerkstatt gegen ihre Kollegen behauptet
und als stolze Besitzerin eines knallroten Mustang für einiges Aufsehen sorgt. Vom Leben wollen die beiden allerdings mehr.
Lilly zunächst mal einen größeren Busen, Betty ein Tête-à-tête mit ihrem Idol, El Bresli, den es im Zuge einer Promotion-Tour
ins kleine Ternitz verschlägt. Was sich beide einmal in den Kopf gesetzt haben, dem gehen sie auch zielstrebig nach. Zu zweit
und in freundschaftlicher Eintracht, so lange es irgendwie geht. Steht plötzlich nur noch die beste Freundin der Realisierung
eines momentanen Lebenstraums im Weg, dann schreckt auch keine der beiden vor einem kleinen Verrat an der Vertrauten zurück.
It's Now or Never
"Die Freundschaft zwischen beiden spielt schon eine Rolle" so die Regisseurin, "das Wichtigste sind jedoch die Träume, denen
sie nachjagen. Sie hatten beide ein fixes Bild, dem sie auf den Grund gegangen sind, um zu entdecken, welche Realität, aber
auch welcher Mythos dahintersteckt." Betty versucht um jeden Preis El Bresli, einem Elvis-Imitator, der Küchengeräte promotet,
nahe zu kommen. Lillys Herz entflammt auf der Jagd nach Bettys Idol für einen schwarzen Bühnentechniker und ehemaligen Rodeo-Reiter
aus Memphis-Tennessee. "It's now or never" presst El Bresli so voll Hingabe aus seinen Lungen, dass seine weiblichen Fans
nur noch in die Knie gehen. Die beiden Provinz-Amazonen haben längst erkannt, dass die schlichte Weisheit dieses Songs als
Lebensmotto genauso unverzichtbar ist wie eine gewisse Dosis Koketterie mit der Welt der Stars und Träume. Jede nimmt, was
sie kriegen kann. Ternitz Tennessee ist kein Abgesang auf immerwährende Frauenfreundschaft, sondern eine unterhaltsame Fantasie
in Rosa. Kitsch und Pomp der Fernsehwelt finden hier ebenso ihren Platz wie urbane Silhouetten der Großstadt, freches Roadmovie
und unverzerrte Romantik. Es ist ein stilistischer Streifzug durch die Jahrzehnte, wo der Mythos Elvis als PR-Gag ins Jahr
2000 geholt wird, wo Lillys Mustang den Markenfetischismus der Siebziger zum Leben erweckt und wo die Achtziger in der Jugendkultur
am Lande noch keinerlei Verschleißerscheinungen zeigen, auch wenn Basketballer und Boarder schon einen Hauch von Globalisierung
über die Kleinstadt bringen. "Ich hab", erklärt Mirjam Unger, "im besten Fall an Cry Baby gedacht, genau genommen ist es aber
eine abgehobene Geschichte, die in einem Kosmos spielt, den es in Wirklichkeit nicht gibt."
Tanz zwischen den Genres
Anders als die meisten ihrer Kolleginnen verfasste die Filmemacherin für ihren Regieerstling das Buch nicht selbst, sondern
erhielt 1998 bei der Diagonale in Graz vom Autor Manfred Rebhandl das Angebot, die Story umzusetzen. Ein Debüt, das sich vor
allem durch seine visuelle Kraft und Eigenständigkeit auszeichnet, indem es auf eine phantasievolle Bildersprache setzt, die
zwischen den Genres tanzt, ohne sich festlegen zu lassen. "Anfangs", so Mirjam Unger, "fühlte ich mich gefangen in der linearen
Erzählung, weil man mit sehr starken Figuren zu tun hat, die etwas vorantreiben. Deshalb hab ich auch auf viele Formalismen
verzichtet, weil ich das Gefühl hatte, ich würde die Geschichte brechen. Ich kann auch nicht sagen, dass ich mich schon total
gefunden habe. Jedenfalls stellt sich bei einer fremden Geschichte die spannende Frage - Wie setze ich das, was schon vorliegt,
in Bilder um?" Erste Regieerfahrungen holte sich Mirjam Unger bereits mit ihren Kurzfilmen Speak Easy und Mehr oder Weniger,
neu im Umgang mit Medien ist die 30-jährige Regisseurin, die an der Wiener Filmakademie studiert, jedoch längst nicht mehr.
Bereits 1987 begann sie als Radiomoderatorin, ein Job den sie übrigens auch heute noch beim Jugendsender FM4 ausübt. 1991
holte man sie ins Redaktionsteam von X-Large, einer TV-Jugendsendung des ORF, wo sie nicht nur Beiträge redaktionell gestaltete,
sondern als Moderatorin das Agieren vor der Kamera selbst erlebte. "Ich hab in diesen fünf Jahren", so die Filmemacherin,
"die Fernsehwelt intensiv hinter den Kulissen miterlebt und spürte auch, ich will raus. Plötzlich war das Bedürfnis da, sehr
viel ins Kino zu gehen, und ich begann stark den Unterschied zwischen beiden Medien zu spüren."
Kitsch und Fantasie
Genau diese Schnittflächen zwischen den beiden Sphären lässt die Regisseurin in Ternitz Tennessee gekonnt ineinanderfließen.
Die virtuelle Welt des Fernsehens drängt sich unverblümt ins Leben der Protagonistinnen, um sich ebenso spurlos wieder der
Wirklichkeit zu entziehen. Die Fantasien der beiden Frauen lässt sie großzügig Wirklichkeit werden, um ihnen schließlich
doch zu verstehen zu geben, dass hier ein Spiel mit Siegern und Verlieren im Gange ist. "Ich will mich keineswegs über das
Medium Fernsehen lustig machen", erläutert Mirjam Unger, "ich finde den El Bresli großartig, ich liebe Shows mit all ihrem
Kitsch und verstehe auch die Betty, dass sie den El so anhimmeln kann." Für Betty-Darstellerin Sonja Romei war die Rolle
des hartnäckigen Bresli-Fans die Gelegenheit zu schauspielerischer Höchstform aufzulaufen. Seit der ersten Regieübung wächst
sie mit Mirjam Ungers filmischem Schaffen als Darstellerin heran, Ternitz Tennessee bot ihr nun die Chance, alle Register
ihres Talents zu ziehen. "Mit der Sonja arbeite ich so gerne", schwärmt die Regisseurin, "weil sie so roh wie ein ungeschliffener
Diamant ist, vor Leben sprudelt und immer für Überraschungen sorgt." Mit der zuletzt in Venedig mit dem Mastroianni-Preis
ausgezeichneten Nina Proll als Counterpart bilden die beiden Frauen - so konträr sie auch erscheinen - ein kongeniales Duo,
dessen Dynamik allein den Film schon unter Strom setzt. Die souveräne Kamera von Jürgen Jürges und der witzig-ironische Soundtrack
von Christof Kurzmann und Fritz Ostermayer - zwei Neulinge in der Filmmusik, jedoch seit langem Pioniere in der Wiener Avantgarde-
und Elektronikszene - verdichten Ternitz Tennessee zu einem stimmigen Ganzen als weiteres überzeugendes Manifest vom kreativen
Höhenflug des jungen österreichischen Films.
Karin Schiefer
Ternitz Tennessee
Produzentin: Gerda Fritz (Thalia Film)
Regie: Mirjam Unger
Drehbuch: Manfred Rebhandl
Kamera: Jürgen Jürges
Schnitt: Karina Ressler
Cast: Nina Proll, Sonja Romei, Gerald Votava, Birgit Doll, Adé Sapara
Technische Daten: 90 min., Super-16 mm, 1:1.66
Mirjam Unger geboren 1970 in Wien
Ternitz Tennessee (2000)
Mehr oder weniger (1999, short)
Speak Easy (1997, short)
Nachricht von H. (1996, short)