INTERVIEW

Ruth Mader im Gespräch über STRUGGLE

 

"Was meine Filme grundsätzlich von den anderen unterscheidet ist, dass mich das "bürgerliche Drama" nicht interessiert, ich will nicht vom persönlichen Seelenbauchweh erzählen, sondern mir geht es um gesellschaftliche Zustände." Ruth Mader über ihr Langfilmdebüt Struggle.

 

Nach Null Defizit ist auch STRUGGLE wieder ein Film mit einem klaren politischen Statement.

RUTH MADER:  Für mich ist STRUGGLE eher eine logische Folge von Gfrasta und Null Defizit. Ich würde ihn nicht als politischen Film bezeichnen, aber jeder Film hat eine Haltung, nämlich die des Filmemachers. Oft inspiriert oder motiviert mich etwas, das mich ärgert. Im Fall von Struggle las ich einen Artikel über Erdbeerpflücker, die drei Schilling pro Kilo verdienten. Es ist eine Mischung, aus etwas, das mich berührt und persönlichen Erinnerungen.

 

Ihre Filme sind eine prompte Antwort auf momentane gesellschaftliche Zustände?

RUTH MADER: Ich überlege mir schon, was ich transportieren möchte und in diesem Sinn ist jeder Film quasi ein Propagandafilm, weil es darum geht, was will ich über eine Gesellschaft aussagen. Zu jenem Zeitpunkt hat es mich gerade sehr beschäftigt, wie es mit Arbeitsmigrationen aussieht, wie werden die Leute ausgepresst, die zu uns kommen, wer ist in welchen Beschäftigungsverhältnissen. Was meine Filme grundsätzlich von den anderen unterscheidet ist, dass mich das "bürgerliche Drama" nicht interessiert, ich will nicht vom persönlichen Seelenbauchweh erzählen, sondern mir geht es um gesellschaftliche Zustände. Darum interessiert es mich auch nicht, wie der Mann und die Frau in meinem Film zusammenkommen. Sie sind zusammen, weil sie zusammen sein müssen, die Frau aus ökonomischen Gründen und der Mann, weil er emotional völlig fertig ist.

 

Was ist die Fiktion, was das Dokumentarische daran?

RUTH MADER: Die direkte Recherche machte ich erst vor dem Dreh, ich habe sehr viel auf Basis des Artikels gearbeitet. Dazu kamen persönliche Erinnerungen von mir dazu, mein Vater hatte immer Frauen aus dem Osten, die er ausgenutzt hat und die auch ihn ausgenutzt haben. Das war immer eine ökonomische Beziehung zwischen Menschen und daraus hab ich die Verbindung hergestellt, dass diese Frauen so eine Erdbeerpflückerin sein könnten. Die Geschichte von Struggle ist erfunden, aber ich arbeite mit dokumentarischem Material. Ich dachte ein Fleisch verarbeitender Betrieb wäre gut, weil Reinigungsindustrie, Lebensmittelindustrie und Landwirtschaft die gängigen Bereiche für ausländische Arbeitskräfte sind. Die Arbeitsabläufe an den Maschinen müssen echt sein. Eine Putenfarm kann man nicht nachstellen, da müssen die Abläufe, die Gesichter, die Fingerfertigkeit haargenau stimmen, sonst wäre es nicht authentisch ist.

 

Wie sah das beim Erdbeerpflücken aus?

RUTH MADER:  Da sieht man Dinge, die auch tatsächlich so passieren. Hier haben wir versucht, möglichst gut nachzustellen bzw. dokumentarisch zu filmen. Die Erdbeerfelder sind eine Mischung. Es gibt diese Agenturen im Marchfeld, die Leute wohnen in Containern. Bei den großen Firmen gibt es noch viel mehr Container als man bei uns sieht, es war nur sehr teuer, solche Container aufzustellen. Es gibt auch tatsächlich die Agenturen, die Arbeitskräfte vermitteln, es stimmen auch die Preise, die wir nennen, das Scannen an der Waage ist auch dokumentarisch, das ist auf einem niederösterreichischen Erdbeerfeld gedreht. Es stimmt alles. Der Mann von der Agentur ist von einem Laien dargestellt, der sehr gut spielt.

 

Wie erarbeiten Sie das Drehbuch?

RUTH MADER: Wir haben mit Martin Leidenfrost und Barbara Albert im Team geschrieben. Da mein Interesse dem Thema "Arbeit" an sich galt, hatten wir die Idee, eine Geschichte nur in Arbeitsprozessen zu erzählen. Überhaupt nicht, wie es zu etwas kommt, sondern sehr faktisch. Ich mache am Anfang eine Sammlung von Ideen, dann arbeite ich schon mit Martin Leidenfrost und Barbara Albert, die dann ihre Ideen in unterschiedlicher Weise einbringen, da haben wir schon ein System: Ich maile ungefiltert Material an Barbara Albert, die macht eine erste, noch sehr rohe Fassung, wo schon tolle Ideen dabei sind. Mit Martin Leidenfrost arbeite ich direkt zusammen in einem Raum, mit Barbara kommuniziere ich schriftlich und wir treffen uns dann. Das geht so lange zwischen uns dreien hin und her, bis das Drehbuch erarbeitet ist.

 

Die Arbeitswelt ist eher von einer sehr harten Seite dargestellt?

RUTH MADER: Ich war sehr um Sachlichkeit bemüht. Es werden Leute gezeigt, die sehr hart arbeiten und sehr schlecht bezahlt werden. Sie müssen in einem Niedriglohnsegment arbeiten, wo eine riesige Konkurrenz herrscht und wo die Löhne bis ins Bodenlose gedrückt werden, weil Arbeit dort nichts mehr wert ist.

 

Soziale Randfiguren von Niedriglohnarbeitern, allein erziehenden Müttern, Ausländern stehen bei Ihnen im Mittelpunkt?

RUTH MADER:  Aber nicht nur. Ihnen gegenüber stehen die Figuren des Westens. Die Ärztin z.B. ist sehr hoch im sozialen Rang, sie muss aber auch viel einstecken. Ich will die Härte der Arbeit, dieses Lebens- und Arbeitskampfs an sich zeigen, den man jeden Tag bewältigen muss, ganz egal auf welcher Stufe man steht. Nach dem Prolog mit der Ärztin geht es um jene, die ganz unten stehen, aber auch bei der Ärztin, die oben steht, wird klar, dass sie eine sehr harte Arbeit leisten muss und der Immobilienmakler führt auch vor Augen, wie sinnentleert und einsam seine Arbeit ist.

 

Welche Rolle spielt die Welt der psychiatrischen Anstalt mit der Mutter des Maklers?

RUTH MADER:  Das stellt für mich eine Welt dar, die eine Station am Ende des Lebens sein kann. Ich habe den Eindruck, dass es in der westlichen Welt für alles örtliche Bereiche gibt, die eine bestimmte Funktion haben. Da gehe ich hin, um Sex zu machen, dort geht man hin, um einzukaufen, dort ist der Ort, wo man die Alten ablädt. Alles ist getrennt und funktionalisiert, das ist für mich das Wesen der westlichen Welt.

 

Ihre Weltsicht erscheint klar antikapitalistisch?

RUTH MADER:  Es ist völlig klar, dass wir keine Alternative haben, aber es ist in Wirklichkeit nicht auszuhalten. Aussaugen, Ausquetschen, Auspressen auf der einen Seite, andererseits haben meine westlichen Figuren zwar das Geld, sind aber innerlich fertig und kaputt. Die Mutter des Immobilienhändlers ist in der Psychiatrie vorübergehend entsorgt. Die Ärztin hat, obwohl sie Geld und Status hat, einen wahnsinnig harten Job, den sie aushalten muss. Es macht keinen Unterschied, der "Struggle" existiert auf allen Seiten, egal, wie alt man ist, welcher Schicht man angehört, ob man aus dem Westen oder Osten kommt, es betrifft alle, es wirkt sich nur anders aus.

 

Haben Sie bei den Darstellern eher mit Laien oder mit Profis gearbeitet?

RUTH MADER: Gemischt. Die Hauptdarstellerin Aleksandra Justa ist eine professionelle Schauspielerin aus Polen, der Immobilienmakler, Gottfried Breitfuß, kommt aus Stuttgart, wo er eher Theater macht. Der Agent im Autobus ist ein Laie, die Ärztin ist von einer echten Ärztin gespielt. Es war mir sehr wichtig, dass die Leute bei der Darstellung der Arbeitssituationen auch tatsächlich den Beruf ausüben. Ich finde, man sieht das immer sofort, wenn einer nur spielt, oder ein echter Berufsausüber ist. Die Arbeit mit der Hauptdarstellerin Aleksandra Justa war ganz toll. Mit ihr war ganz einfach ein Draht da. Aleksandra Justa ist eine besonders herausragende und charismatische, wandelbare Schauspielerin, die es versteht, jede ganz kleine Nuance einzubauen und Normalität darzustellen. Mit ihr würde ich gerne weitere Filme machen. Ich denke, ich werde auch in Zukunft mit Leuten aus Osteuropa zusammen arbeiten, es war ein sehr konzentriertes Arbeiten, das ich so geschätzt habe.

 

Ihre Erzählweise ist sehr elliptisch und langsam?

RUTH MADER:  Es war mir z.B. ganz wichtig, dass es diese Szene, wo der Mann und die Frau einander begegnen, im Film nicht gibt. Es interessierte uns das Faktum, aber nicht wie etwas zustande kam. Beim Kind wird angedeutet, dass es eine billige Unterkunft gibt, wo es sich wahrscheinlich tagsüber aufhält. Manchmal werden Erklärungen nachgeliefert, es wird aber nicht immer alles erklärt. Es war mir ganz wichtig, mich vom Ballast der konventionellen Erzählweise zu befreien, damit meine ich das Auserzählen von Dingen, die keine Emotion erzeugen. Wir haben versucht, in jeder Szene Emotion zu erzeugen. Was die Langsamkeit betrifft, ging es mir darum, zu zeigen, wie mühsam diese Prozesse sind, wie sieht Arbeit ganz genau aus? Wie sieht das aus, wenn man tagein tagaus Erdbeeren pflückt, bis sie dann im blauen Körberl sind, das wir kaufen. Wie sieht es aus, bis ein Vieh zum Fleisch wird. Wieviele Leute stehen da und tun, bis es so ist, wie wir es gewohnt sind.

 

Das Ende hat trotz aller Härte und Radikalität einen versöhnlichen Ausblick?

RUTH MADER:  Versöhnlich würde mich nicht freuen, aber es gibt einen Funken Hoffnung. Es endet ja nicht mit einem Familienbild, sondern es gibt Nahaufnahmen, wo jeder irgendwie für sich bleibt: das Kind, das sich eine tolle Zukunft vorstellt, der Mann, der über seine Welt reflektiert und die Frau, die ihn hoffentlich verlassen wird. Er ist nur eine Durchgangsstation für sie, sie zahlt halt diesen Preis fürs ökonomische Überleben.

 

Was repräsentiert das Puppentheater am Ende?

RUTH MADER: Das Theater zeigt, was man sich als Kind vorstellt und erträumt. Da geht es eher darum, was wünscht man sich als Kind und was tritt ein, was schafft man nicht, als Erwachsener einzulösen? Das sehe ich allgemein so, dass es erheblich schwieriger ist, als es als Kind zu sein scheint.

 

Wie sieht es mit den nächsten Projekten aus?

RUTH MADER: Ich werde gleich im Anschluss an Cannes, einen Dokumentarfilm über ausländische Arbeiterinnen drehen, der schon länger in Planung ist. Recherchiert habe ich schon, während ich Struggle schrieb. Das nächste Spielfilmprojekt – wenn es uns gelingt, diese Nuss zu knacken - wäre ein Thriller in einem katholischen Mädcheninternat, mit einer Nonne als Hauptfigur, die Themen sind Opfer, Glaube, Vertrauen.

 

Der Film ist sicherlich mit einem sehr kleinen Budget entstanden?

RUTH MADER: Struggle ist mein Langfilmdebüt. Ich wollte eigenständig etwas tun, und konnte die Amour Fou Filmproduktion als Koproduzenten gewinnen, die ihr Know-how und ihre Infrastruktur zur Verfügung stellten. Es ist trotzdem ein Film mit einem Minimalbudget, der von BKA, ORF, Stadt Wien MA 7, Filmakademie und Land NÖ unterstützt wurde. Es ist unglaublich für mich, was da mit so wenig Geld zustande bringen ließ und es war mir total wichtig, selbst zu definieren, wie der Film ausschaut und mich keinem Marktschema unterordnen zu müssen. Es war mir ganz wichtig, das zu machen, was ich für wichtig halte. Dann kann ich mir auch überlegen, wie ich die Mittel gewichte. Ich kann mir selber überlegen, wo ich sparen will und kann auch selber verhandeln. Am Set ist es natürlich so, dass bei jedem Take in der zweiten Gehirnhälfte mitläuft, oje, das kostet jetzt ein Geld und die andere Hälfte sagt es ist aber notwendig, um einen guten Film zu machen.

 

Was bedeutet Cannes für Sie?

RUTH MADER:  Cannes bedeutet viel für mich, weil ich vor zwei Jahren, als ich in die Cinéfondation eingeladen war, schon den Eindruck gewonnen habe, dass wirklich Qualität zählt und es um die Substanz beim Filmemachen geht. Ich traf damals Kollegen aus China, Korea oder Rumänien, aus lauter Ländern, wo es wenig Geld gibt und wo ganz tolle Filme entstanden. Es kommen hochinteressante Filme an einem Ort zusammen und werden auch gesehen. Das ist das wichtige. Sie gehen nicht unter. Ich hab sehr das Gefühl, dass da Respekt, Wissen und Verständnis vorhanden ist. Und es ist einfach ermutigend zu sehen, dass es hier und dort Kollegen gibt, die dasselbe wollen und dass es eine Stelle gibt, die das erkennt.

 

Interview: Karin Schiefer
April, 2003