«Der Ruf am internationalen Fußballplatz mitzuspielen ist für mich als Produzent da, ich bekomme aber nicht das Flugticket
nach Paris gezahlt, sondern muss mit dem Fahrrad hinfahren.» Ein Gespräch mit Die Fälscher-Produzent Josef Aichholzer
Das Jahr begann für Sie mit einer erneuten Präsenz im Wettbewerb von Berlin, nun ist Ihnen mit dem Oscar ein Erfolg gelungen,
der in Österreich noch niemandem vor Ihnen gelungen ist. Was heißt dieser Erfolg für Sie persönlich?
Josef Aichholzer: Natürlich hab ich mich riesig gefreut, als es hieß And the Oscar goes to... und ich war über die Einladung
in den Wettbewerb von Berlin für Feuerherz sehr glücklich, weil es toll ist, eine Arbeit abzuschließen und zu sehen, sie bekommt
jetzt eine gebührende Plattform. Es ist nicht nur die Anerkennung, dass die Frucht reif geworden ist, wir haben auch
die Möglichkeit, sie der Welt ins Schaufenster zu stellen. Solche Erfolge sind jenseits von Machbarkeit. Wenn so ein Erfolg
eintritt, dann ist da als erstes die Freude, als zweites die Demut, denn es wäre eine völlig falsche Sicht zu meinen, man
könnte an einer Einladung nach Berlin, einer Oscar-Nominierung arbeiten. Natürlich kann man ein gutes Produkt erstellen und
dafür eine gute Strategie haben. Naiv darf man an eine solche Sache nicht herangehen. Man kann sich mit einem guten Team bemühen,
dass alles rund wird. Das passiert nicht immer. Bei Die Fälscher ist alles aufgegangen, jedes Element dient dem Ganzen. Erfolg
ist immer ein Geschenk. Und natürlich steckt auch eine Ironie dahinter, jeder hat in solchen Momenten Warhols fünfzehn
Sekunden des Ruhms im Hinterkopf. Oder anders gesagt, es gibt die sieben fetten und die sieben mageren Jahre. Es gibt
Leute, die ihr Handwerk besser oder weniger gut verstehen, jeder, der sich bemüht, wird auf seiner Ebene Erfolg haben und
manchmal keinen, so geht es allen von uns.
Was hieß es für Sie als Produzent, für Hauptdarsteller und Regisseur die Wochen und Tage vor diesen Sekunden des Ruhms
an Arbeit und Einsatz?
Josef Aichholzer: Dieser Glücksmoment fällt einem nicht in den Schoß. Jeder von uns ist ordentlich vor die Karre gespannt
worden, am meisten Stefan Ruzowitzky. Er war schon einige Male allein in Amerika, zuletzt war er seit Anfang Februar mit Karl
Markovics unterwegs, nachdem er vor der Abreise eine Woche lang hier mit der Presse telefoniert hat. Und wir als Produktionsfirma
mussten die Kurbel treten, bei uns laufen die Fäden zusammen, was die strategischen Absprachen mit Weltvertrieb und Kinoverleih
betrifft. Für mich als Produzent begann die Vermarktung des Films schon im Oktober 2006. Als ich am Tag nach der Oscar-Verleihung
mit Fieber und gebrochener Stimme die Einladung bekam, über Fernschaltung des ORF über das Ereignis zu sprechen, wurde mir
sehr bewusst, dass es eine Arbeit war, die zwar in Wellen, aber ohne Unterbrechung im Oktober 2006 losgegangen ist, die immer
neues Kraftschöpfen und neues Nachdenken erfordert hat, und der Oscar war ein sehr erschöpfender und glücklicher Abschluss
dieser eineinhalb Jahre.
Ende Februar startete Die Fälscher auch in den USA, gibt es hier konkrete Ergebnisse?
Josef Aichholzer: Für die USA waren die Zahlen mit Stand 3.März auf 330.000 USD Umsatz, die Strategie des amerikanischen Verleihs
war es, den Film zunächst nur sehr selektiv zu starten und sie ist insofern aufgegangen, als der Film am zweiten Wochenende
den USA-weit höchsten Kopienschnitt erzielt hat. Der Film hat ein immenses Image, eine immense Mundpropaganda, die Leute standen
Schlange und nun wird mit den Kopien aufgestockt. Wo der Film auch sehr gut funktioniert hat, war in Großbritannien, dort
sind wir seit Herbst 2007 auf ca. 1,3 Mio USD Umsatz, wobei man immer bedenken muss, dass es ein Film ist, der original mit
englischen Untertiteln läuft. In Österreich steht der Film jetzt bei 82.000 Besuchern.
Kurz vor dem Oscar hatte eine Ihrer Koproduktionen Premiere in Berlin Feuerherz Worum geht es in diesem Projekt?
Josef Aichholzer: Der soziale/historische Hintergrund ist Eritrea während des Bürgerkrieges. Eritrea hat heroisch einen jahrzehntelangen
Befreiungskampf gegen Äthiopien geführt, bis es zur Spaltung in der Befreiungsbewegung kam, die zu einem Bruderkrieg mit dem
Aggressor im Rücken führte. Wenn Kriege lange dauern, dann geht alles, was es als menschliches Agreement gibt, verloren und
Kinder werden eingezogen, was in Afrika ein großes gesellschaftliches Problem ergibt. Das ist die Thematik des Films. Ein
wohlbehütetes Mädchen kommt zunächst zurück in ein einfaches Dorfleben, der Vater schickt sie zur Befreiungsarmee, wo sie
zur Schule geht, aber, als die Not aber größer wird, zupacken muss. Sie erlebt den Krieg zunächst als faszinierendes
Abenteuer, bis es ihr eines Tages wie Schuppen von den Augen fällt, was Krieg bedeutet.
Was hat Sie dazu veranlasst an diesem Projekt mitzuarbeiten?
Josef Aichholzer: Dafür gibts mehrere Gründe: der eine war, dass meine Development-Leiterin drei Monate in diesem Gebiet
gereist ist. Sie hat die Kultur aus eigener Wahrnehmung kennen gelernt, war aber auch in einer heiklen Situation mit Kindersoldaten
konfrontiert. Insofern war sie dem Projekt sehr nahe. Der zweite Grund war ein tolles Drehbuch und dazu kam, dass mit Luigi
Falorni (er ist übrigens für Die Geschichte vom weinenden Kamel für den Oscar nominiert worden) ein Regisseur da war, der
mit Laiendarstellern sehr dokumentarisch eine Fiktion drehen konnte. Wir saßen übrigens in Berlin 2007 bei der Endbesprechung
zwei Produzenten gegenüber, die beide für einen Film eine Oscar-Nominierung hatten Andreas Bareiss, der mit Jenseits
von Afrika vor sieben Jahren den Oscar bekam und Sven Burgemeister, der für Sophie Scholl eine Oscar-Nominierung erhalten
hatte.
Betrachtet man beide Themen Die Fälscher greift ein historisches Thema auf, Feuerherz ein aktuelles, politisch brisantes Thema auf beide haben einen universellen
Charakter, ein internationales Potenzial, gleichzeitig haben Sie zuletzt in einer Pressekonferenz betont, dass die Filmkunst
national gesehen die wichtigste identitätsstiftende Kunstform des 21. Jhs ist. Wie sieht für sie als Produzenten da die Gratwanderung
aus?
Josef Aichholzer: Das ist sehr einfach und sehr schwierig zu beantworten, weil es ein tägliches Suchen ist. Es ist insofern
sehr einfach, weil wir auch wieder an neuen Projekten sind, die versuchen, etwas von unserer Gesellschaft zu erzählen. Wenn
wir als Produktionsfirma Filme entwickeln sind wir gefordert, nach einem Höchstmaß an dramaturgischer Kraft zu suchen. Damit
meine ich die Frage, ob sich der Zuschauer wieder erkennt und in den Tiefen seiner Emotionen etwas miterleben kann. Wenn wir
von Österreich aus Geschichten erzählen, die es schaffen, unseren Markt zu überschreiten, dann werden sie zwei Kriterien erfüllen:
Sie werden eine erzählerische Kraft haben (Buch, Inszenierung, Kamera, Bildgestaltung, Schauspiel, Schnitt etc.). Und sie
werden trotz aller universellen Themen eine eigene Handschrift haben, die man auf der ganzen Welt als etwas wahrnehmen wird,
was in dieser Form noch nie zu sehen war und die das Österreichische ausmacht. Wenn ich von Handschrift spreche ? dann meine
ich, wir sprechen, so wie wir sprechen, wir weinen, so wie wir weinen, wir lachen, so wie wir lachen. Das ist das Überraschende
für die Menschen, die in den verschiedensten Ländern ins Kino gehen. Dass sie etwas sehen, was sie in dieser Form nicht kennen.
Wenn jemand Almodóvar irgendwo in der Welt sieht, dann sieht er Spanien, aber er sieht auch sich selbst und er sieht das dank
einer hohen erzählerischen Kraft. In Österreich ist die Melodie eine andere, aber die Menschen können weltweit etwas nachvollziehen,
das sie kennen, das sie aber so nicht kennen. Würden wir das nicht haben, gäbe es keine Ruzowitzkys und Seidls und Hanekes,
wir hätten nur die Option, einfach hier handwerkliches Dienstleistungsservice als Trainingslager für Hollywood zu machen.
Als Filmland werden wir dann nicht mehr präsent sein. Das ist es, was im 21.Jh. in vielen Ländern als Strategie für die Filmpolitik
erkannt wird, arme wie reiche Länder investieren massiv nicht aus Menschenfreundlichkeit, nicht aus kulturtheoretischen Paradigmen,
sondern aus politischen Strategien. Filmpolitik ist auch Wirtschafts- und Strukturpolitik, auch Sozialpolitik, auch Tourismuspolitik,
aber die Spitze der Strategie wird von der Kulturpolitik geführt, die umso mehr der Struktur- und Wirtschaftspolitik bedarf.
Sie stehen als Koproduktionspartner beim Einstieg in ein Projekt nicht nur vor der inhaltlichen Frage, sondern auch vor der
finanziellen, da gewisse Größenordnungen den hier möglichen Rahmen übersteigen.
Josef Aichholzer: Der Sachverhalt ist natürlich sehr komplex. Ich beginne mit der Schlüsselfrage: Wo liegen die Entwicklungsmöglichkeiten
für einen österreichischen Produzenten? Am Beispiel Die Fälscher lässt sich das sehr gut darstellen: Karl Markovics, Stefan
Ruzowitzky und Josef Aichholzer sind nicht erst seit dem 24. Februar 2008 in diesem Feld tätig. Alle haben ihr Handwerk langfristig
entwickelt und ihren Status am Markt langfristig aufgebaut. Für Stefan ist der Schritt auf den Weltmarkt gut vorbereitet,
er selbst ist gut vorbereitet und ich hoffe sehr, dass ihm ein guter Schritt gelingt. Karl Markovics hat durch seine TV-Serien
den Markt vorbereitet, mit Die Fälscher steht er als respektierter Charakterdarsteller am internationalen Kinomarkt. Für ihn
sicherlich auch die Chance da, weitere Schritte zu setzen. Er ist da sehr gelassen, wartet und schaut. Er ist kein Karriereplaner,
das macht ihn umso glaubwürdiger. Meine Situation im Unterschied zu den beiden ist, dass man als Produzent mit einem Bein
in der Schlinge am österreichischen Markt gefesselt steht. Ich bin ja als ein von Österreich kommender Produzent von Interesse,
wenn ich Mittel einbringe und zwar nicht nur kreative Mittel, sondern Cash. Da sind für mich als österreichischer Produzent
die Entwicklungsmöglichkeiten äußerst limitiert. Tatsache ist, dass wir auch österreichische Filme so gut wie nicht mehr allein
finanzieren können. Wir können aber nicht auf den Weltmarkt gehen, die Hände aufhalten und wenn die anderen kommen, nein danke
sagen. Das ist ein Geben und Nehmen, eine Partnerschaft unter Produzenten, die sich gegenseitig austauscht und die auf einer
gewissen Augenhöhe funktionieren muss. Nach Oscar und Berlin Wettbewerb bringt man mir eine Wertschätzung entgegen, weil man
mir vertraut, dass bei mir etwas in guten Händen liegt. Aufgrund der fehlenden strukturellen und finanziellen Bedingungen
bleibt die Situation die, dass jedes neue Projekt wieder eine Sisyphus-Arbeit ist, die man beginnt, ohne zu wissen, ob man
in zwei drei Jahren mit einem wohlgemerkt reifen Produkt in der Finanzierung nicht doch scheitern wird. Diese limitierten
Gegebenheiten lähmen die Entwicklungschancen. Der Ruf am internationalen Fußballplatz mitzuspielen ist da, ich bekomme aber
nicht das Flugticket nach Paris gezahlt, sondern muss mit dem Fahrrad hinfahren.
Der Oscar-Gewinn hat eine ganze Welle an Rufen nach mehr Unterstützung für den österreichischen Film ausgelöst. Wie sieht
es nach der ersten Welle der Euphorie aus, wo gibt es konkreten Handlungsbedarf und Möglichkeiten. Was gibt es tatsächlich
an konkreten Signalen?
Josef Aichholzer: Was ich nicht kann, ist in die Kristallkugel schauen. Ich kann sagen, was mir kommuniziert wurde. Die Bereitschaft
ist da, sie ist insofern seriös als von maßgeblicher politischer Seite Gesprächsangebote und konkrete Termine vorliegen. Es
ist auch so, dass wir Stefan Ruzowitzky, Karl Markovics und ich die so genannte Vereinnahmung nicht unbedingt
als solche wahrnehmen. Ohne jetzt naiv zu sein, freuen wir uns, dass diese Anteilnahme von Seiten der Politik, von Seiten
der Kollegen, von Seiten eines überraschenden Teil der Bevölkerung vorliegt. Wann, wenn nicht jetzt? Wir stecken ja
nicht in der Stunde Null. Die Initiative Film gibt es seit Herbst, die kritische Situation, in der die Filmbranche steckt,
ist deutlich formuliert, wir müssen der Politik nicht etwas erzählen, was ihr völlig neu ist. Die Politik hat es wahrgenommen,
wir werden die Chance wahrnehmen, Gespräche zu führen.
Es geht ja nicht nur um mehr Geld?
Josef Aichholzer: Es geht im ersten Schritt sicherlich um mehr Geld, denn wir sind momentan ein Akut-Patient. Jede Million
ist ein Akut-Programm. Wenn sich die aktuelle Situation nicht ändert, werden Projekte nicht nur nicht gemacht, hier werden
Projekte, die über Jahre entwickelt worden sind, zerstört. Es geht um Strukturen, die seit 1980 aufgebaut worden sind. Wenn
Sie einen Unfallpatienten zur Operation bringen, muss jetzt was getan werden. Wenn man dann einen längeren Atem hat, dann
kann man auch auf einer zweiten Ebene diskutieren, auf der es klarerweise um Strukturfragen geht wie z.B. um die Frage, wie
junge Filmemacher, die Talent beweisen, an den Markt herangeführt werden. Da herrscht Wüste.
Von wem könnte man erwarten, diese Strategien zu entwickeln?
Josef Aichholzer: Das ist eine sehr wichtige Frage. Die Antwort darauf ist sehr einfach. Verantwortlich ist die Politik, kompetent
ist die Branche. Entwickelt kann es nicht mit einem Papier werden, hier muss ein Prozess in Gang gesetzt werden. Wir brauchen
Personen, die kompetent sind und langfristig Verantwortung übernehmen und wir brauchen eine Partnerschaft zwischen Politik
und Branche. Es müssen die Voraussetzungen für einen Entwicklungsprozess geschaffen werden, der fernab von engen Interessensäußerungen
erfolgt. Es geht nicht darum, dass einzelne Interessenvertretungen geringfügige Erhöhungen ihrer Budgets erzielen. Wir benötigen
ein Entwicklungskonzept, das über die Jahre weiter wächst. Wir werden mehr brauchen als die bestehenden Gremien, wir werden
auch keine ausländischen Gutachter brauchen, die fernab der Branche ein Papier für eine Behörde entwerfen, die das exekutieren
soll. Das wäre ein falscher Weg.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen dabei durch diesen Oscar-Gewinn, besondere Verantwortung zukommt?
Josef Aichholzer: Dass ich jetzt eine andere Verantwortung als vor dem Oscar habe, ist klar. Dass ich aus diesem Grund das
Wort erhebe, geschieht nicht aus Jux und Tollerei. Ich komme auf mein Einleitungszitat ? ich hatte meine 15 Sekunden des Ruhms.
Aber wer bin ich? Ich bin ein Teil der Branche. Ich bin in dieser Branche groß geworden, ich habe in dieser Branche mein Handwerk
gelernt, ich habe keine Eigeninteressen, weil sich meine Interessen mit jenen der Branche decken, was nicht heißt, dass ich
nicht für ein Projekt das ich betreue, kämpfe. Das ist mein Verantwortungsbereich, deshalb bin ich Mitglied des Produzentenverbandes.
Ich bin einer von vielen und wir sind uns in grundlegenden Fragen einig.
Interview: Karin Schiefer
März 2008