Dreißig Kilometer südlich von Wien steht ein Tor zum Wilden Westen: eine grüne Prärie und das holzverkleidete Inventar einer
Cowboy-Siedlung liefern die Kulisse für einen kleinen, etwas mager besuchten Freizeitpark. Ein Auslauf für Phantasie und Freiheitsliebe,
wenn auch nicht so sehr für die Besucher, so umso mehr für jene Eigenbrötler und Alltagsflüchtlinge, die sich in dieser von
Hollywood inspirierten Enklave eine kleine Existenz aufgebaut haben. Sie können sich täglich mit einem Gefühl, auf den Weg
zur Arbeit machen, sich immer wieder aufs Neue in ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu begeben.
Zu Beginn entwerfen drei Akteure der Western-Stadt ein Banküberfall-Szenario: ein Sheriff und zwei Banditen die
beiden ergattern das Gold in der Bank, doch bezahlen schließlich mit dem Leben. Der Sheriff hat Ordnung hergestellt. Das Gute
besiegt das Böse, Punkt. So einfach könnte das Leben sein, wäre nur klar, wer gut und wer böse ist. In der No Name City weiß das keiner mehr. Alle wollen das Beste für die Stadt, aber vor allem für sich selbst. Mit einem neuen Manager bläst plötzlich
ein frischer Wind und die Pächter sehen ihr bisheriges Werk bedroht. Der Konflikt eskaliert und er wird nur an der Oberfläche
wieder gekittet, da kann auch die Intervention vom allseits geschätzten Waterloo im Winnetou-Kostüm nicht mehr viel Frieden
stiften. Die kleine Welt schafft nur noch Sorgen.
Florian Flicker hat die eigenwilligen Dynamik der künstlichen Welt von No Name City aufgespürt und in dieser Zwischenwelt aus Träumen und Wirklichkeit seine erste dokumentarische Arbeit entstehen lassen. Mit
einem Minimalteam von Kamera (Birgit Gudjunsdottir) und Ton (Georg Misch) hat der Regisseur vier Wochen im Zentrum des Geschehens
gelebt und hautnah mitverfolgt, wie eine Handvoll individueller Träumer an der gemeinsamen Wirklichkeit scheitert. Florian
Flickers Dokumentarfilmdebüt ist der Eröffnungsfilm der diesjährigen Diagonale in Graz.
Karin Schiefer
2006