INTERVIEW

Nikolaus Geyrhalter und Wolfgang Widerhofer über UNSER TÄGLICH BROT

 

"Es ist natürlich riskant, das Publikum neunzig Minuten ohne irgendeine Form der Narration alleine zu lassen. Keine Frage. Für mich war das auch ein schöner Schritt. Ich hatte eine ganz klare Vision, das machen zu wollen und wir haben das durchgesetzt. Ich glaube, dass Qualität auch daher kommt, sich über Konventionen hinwegzusetzen und mehr auf ein eigenes Gespür zu hören." Nikolaus Geyrhalter und Wolfgang Widerhoferüber Unser Täglich Brot

 

Das Thema Nahrung scheint einen Nerv der Zeit zu treffen?


NIKOLAUS GERHALTER: Man erfindet kein Thema: Zu Dayton gab es mehrere Filme, zu Tschernobyl auch, zum Millennium ohnehin. Es kann nicht der Anspruch sein, ein Thema zu finden, das keiner macht, sondern es geht darum, zu einem Thema, das einen interessiert, seinen Film und sein Statement zu finden. Ich bin an das Thema, das offensichtlich für viele Leute gleichzeitig in der Luft liegt, herangegangen, weil es mich interessiert hat und weil ich immer die Filme mache, die ich selber vermisse und gerne sehen würde. Ich hab davor keine Marktanalysen gemacht, um zu schauen, ob das Thema jetzt ein Publikum findet. Es schien mir persönlich interessant und es hat dann seine Form gefunden.

WOLFGANG WIDERHOFER:  Filme zu diesem Thema Nahrung und ihre Erzeugung hat es immer gegeben, auch schon vor 30 Jahren. Uns hat der futuristische Aspekt an der momentanen Gestalt der industrialisierten Produktion interessiert. Es ist eine Parallelwelt, die da stattfindet, die sich in dieser Konstruktion und in dieser Kühle findet, aber etwas Elementares ist. Spannend ist im Vergleich zu unseren vorangegangenen Arbeiten, dass diesmal ein Thema im Vordergrund steht und kein konkreter Ort. Es gibt ein übergeordnetes Thema, der Ort verflüchtigt sich.

NIKOLAUS GERHALTER: Durch dieses Weglassen von den eigentlichen Orten wird es wieder zu einem Ort, zu einer Welt.


Wann begann die Recherche und wie erfolgte die Eingrenzung des Themas?


NIKOLAUS GERHALTER: Das war ein langer Prozess. Es war das erste Projekt nach Elsewhere und wir haben schon 2003, noch als Teil der Recherche, zu drehen begonnen. Wir haben zwei Jahre lang gedreht und gleichzeitig geschnitten, am Schluss dann nach dem vorläufigen Rohschnitt noch einmal bis Oktober 2005 ganz gezielt gedreht, um diese Version zu vervollständigen. Letztendlich weggelassen habe ich die verarbeitende Industrie, die Pizzafabriken u.ä., die ursprünglich auch recherchiert waren. Das wäre ein Schritt zu weit und irgendwie schon ein anderer Film gewesen. Wir haben bei Probescreenings gemerkt, dass das Publikum noch viel emotioneller auf die Tieraufnahmen reagiert, als wir uns das vorgestellt haben. Vielleicht waren wir durch die lange Schnittzeit auch schon ein bisschen betriebsblind. Jedenfalls haben wir in der letzten Drehrunde noch einmal versucht, ein stärkeres Gegengewichte auf dem pflanzlichen Sektor zu schaffen. Es sollte ja kein Vegetarier-Film werden, sondern ein Film, wo kaum ein Ausweg bleibt, wo eine Gesamtheit des Systems dastehen soll aus dem man nicht so leicht auskommt - zumindest nicht, indem man sich z.B nur gegen Fleisch entscheidet.

WOLFGANG WIDERHOFER: Es ging auch sehr darum, die Bereiche einzufangen, wo das Industrielle auf das Organische trifft, zu zeigen, was von der Industrie auf die Natur, auf das Tier, die Pflanze, die Erde gestülpt wird. Den ganzen Film über geht es sehr stark um die Berührungsfläche zwischen dem industriellen Fertigungsprozess und dem Organischen. Es gibt im Film sehr oft diesen Übergang vom Lebewesen, das geschlachtet wird und sich noch wehrt, in die Industrie, es braucht nur eine mechanische Bewegung der Maschine und es ist schon zu einem Produkt geworden, wird zerlegt und verarbeitet.


Man kann auch immer wieder den Kontrast zwischen der hochtechnisierten Verarbeitung und beinahe archaischer Handarbeit feststellen, z.B. das Spargel stechen?


WOLFGANG WIDERHOFER: Das stimmt ja nur zum Teil. In der Totale ist das Spargelstechen dann ja schon zum Muster geworden. Es schaut ja nur in der Nähe so aus, als wäre es noch individualisierte Handarbeit. Wenn Nikolaus es dann in der Totale filmt und alles in Muster und Segmente eingeteilt ist, dann sieht man, dass die Menschen in diesen Bahnen wie kleine Maschinen funktionieren müssen.

NIKOLAUS GERHALTER: Es geht auch um Effizienz. Ob ein Teil dieser Maschinen noch Menschen sind oder nicht, ist eigentlich im Produktionsablauf fast egal.


Waren Interviews diesmal von Anfang an ausgeschlossen?

NIKOLAUS GERHALTER: Der Film hatte ursprünglich ein anderes Gesicht. Es war immer als Film geplant, der die Menschen porträtiert, die in diesen Produktionsabläufen arbeiten. Wir haben lange Zeit dutzende Interviews gedreht. Wir haben nur mit Arbeitern gesprochen, wir wollten nur auf der untersten Ebene der Arbeitshierarchie bleiben. Aber in den verschiedenen Schnittfassungen sind den Zusehern hauptsächlich die Bilder, in denen nicht gesprochen wurde, in Erinnerung geblieben. Es hat sich herausgestellt, dass es aus verschiedensten Gründen die Bilder waren, die zwischendurch die Spannung getragen haben, wahrscheinlich auch, weil sie Platz für individuelle Gedanken lassen.

WOLFGANG WIDERHOFER: Es ist alles in den Bildern drinnen. Der industrielle Produktionsprozess, die Ausbeutung, die Arbeit, die Ermüdung, die Dimensionen, es ist alles da. Jedes Interview hätte einen Fluchtpunkt -einen Ausweg- für den Zuschauer geboten.


Geht es im Film mehr um den Entstehungsprozess der einzelnen Produkte?

NIKOLAUS GERHALTER: Überhaupt nicht. Es geht mir um die Menschen und ich glaube, dass wir so in Endeffekt und in dem, was nach dem Film bleibt, näher am Menschen dran sind. Dadurch, dass wir so viel auslassen und so viel Raum für Assoziationen lassen, schaffen wir im Kopf des Zuschauers ein Umfeld, auf das er sich dann mehr einlassen kann. Die Bilder erzählen mehr, als wenn der schwarze Gurkenarbeiter von seiner Flucht nach Europa erzählt. Das weiß man ohnehin, man hat es im Kopf und kann das reflektieren.


Was hat es beim Schnitt bedeutet, einen Film, der nur aus Bildern besteht, dramaturgisch zu begleiten?

WOLFGANG WIDERHOFER: Das Material ist einfach vorgegeben. Wir hatten rund 150 Stunden. Am Anfang haben wir intensiver geschnitten, dann gab es wieder längere Pausen und die letzten Monate wurde wieder sehr intensiv geschnitten. Es gab auch Drehs, die ganz bewusst erst für den Schluss aufgehoben wurden. Es wurde immer klarer, dass die Interviews nicht zum Film gehören, dass sie zuviel Gewicht auf die Leute legen und die Bilder einfach viel stärker sind. Ich finde es nicht gut, wenn die Interviews nur Mittel des Regisseurs sind, um etwas zu transportieren. Ich finde es ehrlicher zu sagen, ich gehe einen Schritt zurück. Was es bedeutet, einen Film ohne Kommentar, ohne Musik, ohne Narration, ohne Interview, ohne die gängige Form von Erzählung zu machen, das sieht man auf der Leinwand. Es ist eine offene Fläche entstanden, wo man sich sehr episodisch fortbewegt, wo es sehr wenige Bedeutungszusammenhänge gibt und man sich einfach durchtreiben lässt. Natürlich gibt es Verankerungen, Wiederholungen und Verknüpfungen über den Film hinweg. Es geht aber vor allem auch um eine Erfahrung des Zuschauers, dass man sich ein bisschen verirrt, dass man ein bisschen den Schutz verliert. Wie z.B. in den Pauseneinstellungen, wo man aus der funktionalen Kette rauskippt, plötzlich sitzt da jemand und isst ein Brot - Unser Täglich Brot - man ist als Zuschauer fast weniger geschützt als die Person, die da ruhig auf der Leinwand isst.

NIKOLAUS GERHALTER:  Gleichzeitig passiert da sehr viel. Man spürt in diesen Pausenbildern sehr stark die Interaktion zwischen uns und den Leuten, durch verhaltenes Lächeln, durch eine gewisse Nervosität. Man spürt das Team in diesen Bildern am stärksten und das wirft den Zuschauer auf sich selber zurück.


Bei diesem Ansatz kam sicherlich dem Ton eine große Rolle zu?

WOLFGANG WIDERHOFER: Es war ein ziemlich langer Prozess. Das ist beim Schneiden auch sehr wichtig, dieser Wechsel zwischen Stille und Maschine, wo Reibungspunkte entstehen. Deshalb gibt es auch bei den Tonschnitten sehr harte und reibende Schnitte. Es gibt eine Rauheit. Der Ton ist eine eigene geschlossene Welt - die industriellen Klänge, das Maschinenhafte, der Ton, der die Arbeitsbedingungen beeinflusst. Der Ton dient dazu, Dinge klarer zu machen. Zum Beispiel das Quietschen der aufgehenden Wasserstreuer, sodass plötzlich auch der Außenraum spürbar wird. In diesem Sinne ist jedes Bild immer ein Bild-Ton-Ensemble und ist nicht voneinander zu trennen.


Wie gelang der Zugang in den einzelnen Betrieben?

NIKOLAUS GEYRHALTER:  Viele Betriebe haben sich natürlich verschlossen, es gab aber auch jene, die durchaus ein Mitteilungsbedürfnis hatten. Wir sagten, wir würden einen Film ohne Kommentar machen, der nicht wertend ist. Das hat vielen Leuten gefallen, weil ihr Problem eher darin liegt, in einer Industrie zu arbeiten, von der man kein realistisches Bild hat. Was die Verpackung, was die Werbung nicht vorgibt, existiert nicht. Wir sind auf Leute gestoßen, die uns sagten, macht diesen Film, sonst weiß man nicht mehr, woher das Essen wirklich kommt. In vielen Betrieben, glaube ich, erlangten wir die Möglichkeit zu drehen aus einer Frustration heraus, dass das Bild in der Öffentlichkeit nicht stimmt. Die Menschen arbeiten in einem Umfeld, das sich niemand mehr vorstellen kann, und haben uns glaube ich auch deswegen oft Zugang zu den Betrieben gewährt. Manchmal hatte ich nur wenige Stunden zur Verfügung, manchmal so viele Tage, wie wir eben brauchten. Dort, wo es anfangs am schwierigsten war, eine Drehgenehmigung zu bekommen, hatten wir schließlich oft die besten Arbeitsbedingungen wie z.B. auf der polnischen Hühnerfarm. Diese Firma war auch die einzige, die sich das Recht eingeräumt hatte, den Film vorab zu sichten. Die Direktion, die eigentlich nur am Anfang zehn Minuten abzunehmen hatte, sie haben einfach nicht mehr abgedreht. Sie haben 90 Minuten angesehen und anschließend gab es auch noch eine Diskussion. Für sie war das ein Industriefilm, ein Blick hinter die Kulissen der Kollegen und das finde ich schön an diesem Film, dass er das alles kann. Man kann Unser Täglich Brot als einen sehr kritischen Film betrachten, ihn gleichzeitig auch nur als einen Film sehen, der den State of the Art festhält. Diese Offenheit wollten wir uns unbedingt behalten.


Manche Bilder lösen beinahe martialische Assoziationen aus: reflektieren die Bilder das aggressive Agieren dieses Industriezweiges?

NIKOLAUS GEYRHALTER: Es war oft sehr beeindruckend. Man muss Realist genug sein, um diese Realität zu akzeptieren. Wenn man so einen Film macht, darf man sich nicht fürchten. Das wäre eine völlig falsche Herangehensweise und würde dem Sujet nicht gerecht werden. Man muss da zunächst einmal wertfrei hineingehen, auch wenn man es oft arg findet. Ich habe gesehen, dass das, was man ahnt und nicht sehen will, in Wirklichkeit dann auch so ist, manchmal sogar noch einen Schritt weiter.

WOLFGANG WIDERHOFER: Einen Schritt martialischer und brutaler, manchmal aber auch einen Schritt komischer und surrealer als man es geglaubt hat. Man ist immer auch an der Grenze zum Surrealen und Futuristischen. Man sieht oft Erfindungen, wo man sich denkt, welch absurder Plan hat sich das einfallen lassen, wie z.B. die Fischausnehmemaschine. Es sind große Spielzeuge, es geht nicht nur um den kritischen Aspekt, sie haben ja auch etwas von einem Automaten. Wir sind ja nicht nur in einer Kubrick'schen Welt, sondern auch in einer Tati'schen Welt. Man muss auch immer wieder Lachen angesichts dieser Grausamkeit, auch die Kückenzählmaschine ist in ihrer ganzen Funktionalität erschreckend und komisch zugleich.

NIKOLAUS GEYRHALTER: Für einen Maschinenbauer ist das ganz normal, es ist für mich auch ein Film über Normalität und über Respekt: gegenüber den Menschen in diesem Prozess, gegenüber Tieren, gegenüber Pflanzen. Für mich ist da sehr viel mehr drinnen, aber das kann jeder für sich selber lesen.


Der Film stellt auch an den Zuschauer hohe Anforderungen?

NIKOLAUS GEYRHALTER: Natürlich verlangt dieser Film dem Zuschauer extrem viel ab. Es ist schon klar, dass so etwas ein großes Risiko beinhaltet. Aber die Reaktion bei den ersten Vorführungen war eindeutig so, dass wir den Eindruck gewonnen haben, die Leute sehnen sich wieder nach Filmen wie diesen. Endlich wieder Kino auf der Leinwand, endlich wieder selber denken dürfen und keine Fernsehmagazine, die man hinprojiziert bekommt. Es ist natürlich riskant, das Publikum 90 Minuten ohne irgendeine Form der Narration alleine zu lassen. Keine Frage. Für mich war das auch ein schöner Schritt. Ich hatte eine ganz klare Vision, das machen zu wollen und wir haben das durchgesetzt. Ich glaube, dass Qualität auch daher kommt, sich über Konventionen hinwegzusetzen und mehr auf ein eigenes Gespür zu hören. Dazu würde ich auch mehr ermutigen. Es hat mir auch die Redakteurin von 3-Sat, Inge Classen, die mit sehr viel Geld dabei ist und lange diesen Prozess begleitet hat, gesagt, "mach, was du für richtig hältst, es wird das Beste sein". Das finde ich eine sehr mutige Haltung von einem Fernsehsender und gleichzeitig zeigt es, dass man auch dort weiß, dass irgendwann das Publikum mit den üblichen Erzählformen abgefüttert sein wird. Ich glaube, es gibt für diese Form von Film ein größeres Publikum, als wir gedacht haben, es wird natürlich immer auch Leute geben, die dafür nicht offen sind. Man muss wissen, mit wem man es zu tun hat und für wen man arbeitet. Die Verkäufe in Amsterdam haben jedenfalls sehr stark angefangen. Das Erstaunliche in Amsterdam war, dass einer der schwierigsten Filme des Festivals sich so gut verkaufte. Er hat dort unter anderem einen Verleih für die USA gefunden, der ihn unbedingt in die Kinos bringen möchte.


Was machte diese Besonderheit des Films eurer Meinung nach aus?

NIKOLAUS GEYRHALTER: ch finde, ein Kinopublikum hat das Recht auf gute Qualität, künstlerisch wie auch technisch. All diese aufgeblasenen Mini-DV-Filme mit Wackelkamera halte ich in der Inflation, in der sie auftreten, für sehr, sehr fraglich. Wir legen starken Wert darauf, dass das Kinoerlebnis auch auf einer sauber funktionierenden Technik basiert. Dann kann man sich voll auf die Inhalte einlassen. Die oft zweifelhafte Qualität der Bilder fällt einem meistens nicht mehr auf. Es fällt einem erst dann auf, wenn man wieder mal ein ganz klares, scharfes, hochauflösendes Bild im Kino sieht. Das ist dann wie ein Wunder, obwohl es eigentlich normal sein sollte.

WOLFGANG WIDERHOFER:  Mich hat es ganz stark an so frühe Versuche erinnert, das Kino vom Gewicht der Literatur, vom Romans des 19.Jhs. abzukoppeln, wo man sich gefragt hat, was kann die Kinomaschine, was die literarische Erzählung nicht kann? Daran musste ich oft denken. Dass man sich wieder ganz pur nur mit Bildern und Tönen beschäftigt und versucht, andere Formeln und Stereotypen auszuschalten.


 

Interview: Karin Schiefer
© 2006