«Es ist eine abgehobene Geschichte, ein eigener Kosmos. Meine Personen sind irgendwie erdig und leben doch in Fantasiewelten.»
Ternitz Tennessee spielt mit der Nostalgie der fünfziger Jahre. Ist es glaubwürdig, dass zwei etwas über 20-Jährige im Jahr
2000 einem Mythos von vorgestern verfallen.
MIRJAM UNGER: Wir haben den Elvis ja ins Jahr 2000 geholt. Das ist natürlich etwas übertrieben, denn dafür ist er ja nicht pompös genug.
Dafür müsste er in einem Raumschiff schweben. El Bresli ist ein Elvis-Imitator in einer Küchengeräte-Verkaufsshow. Die hat
einen sehr amerikanischen Touch, etwas sehr Heutiges. Wo jede Art von Pop verwendet wird, um ein Auto oder eine Jean zu verkaufen.
Er ist wie der Meister Propper, sozusagen das Maskottchen der Firma El Bresli - Küchengeräte. Ternitz Tennessee ist keine
Geschichte, die jetzt hundertprozentig realistisch ist, sie spielt mit vielen Jahrzehnten: Mit den Achtzigern, die viel mit
der österreichischen Jugendkultur zu tun haben und am Land noch stark präsent sind, mit den Neunzigern, der Elvis der aus
den Fünzigern kommt, dann auch mit dem Siebziger-Fetischismus durch den Mustang, den die Lilly fährt. Ich hab da irgendwie
an Cry Baby gedacht. Es geht auch nicht wirklich um Jugendkultur, abgesehen vom Thema Fan sein und jemanden bewundern. Es
ist eine abgehobene Geschichte, ein eigener Kosmos. Meine Personen sind irgendwie erdig und leben doch in Fantasiewelten.
Lässt sich Ternitz Tennessee einem Genre zuordnen?
MIRJAM UNGER:: Es ist schwierig einzuordnen, da es mit den Genres spielt. Es gibt Leute, die sagen Pop-Fantasie dazu. Da sind Szenen, die
sind irrsinnig spannend, dann ist es wieder komödiantisch. Ich kann's nicht genau sagen. Die Szene, wo sie da mit dem Bruder
um die Fernbedienung streiten, hat wieder etwas von einer Sitcom. Es ist ein Herumspielen mit den verschiedenen Möglichkeiten,
ich kann nicht sagen, dass ich mich da schon total gefunden habe. Zu den Überschneidungen zwischen Realität und Fernsehwelt
hab ich halt einen starken Bezug, da ich bei X-Large 1991-94 selbst Fernsehen gemacht habe und diese Welt hinter den Kulissen
stark miterlebt habe. Ich will mich gar nicht lustig machen über das Medium Fernsehen. Ich nehm das schon ernst. Ich finde
den El großartig. Ich liebe Shows und mag den ganzen Kitsch und Pomp. Ich kann auch die Betty verstehen, die ihn so anhimmelt.
Gleichzeitig ist da auch der Aspekt des Verkaufens, der da dahintersteht, den ich auch stark kennengelernt habe, wenn alles
zur Ware wird und es gefährliche Wege geht. Der El Bresley ist da natürlich extrem.
Sie bilden unter Ihren KollegInnen an der Filmakademie eine Ausnahme, insofern, als Sie für Ihren ersten Langfilm kein eigenes,
sondern ein fremdes Drehbuch verfilmt haben.
MIRJAM UNGER: Ich hab davor auch noch nie etwas Fremdes verfilmt und fand es aber sehr spannend, mit der Frage konfrontiert zu sein, wie
setze ich in Bildsprache um, was da geschrieben steht. In dieser Hinsicht hab ich etwas Neues kennengelernt. Es macht einen
großen Unterschied, ob man seine eigene Story oder eine fremde Geschichte hat und schauen muss, was steckt da drinnen, was
kann ich da rausholen. Für meine ersten Kurzfilme wie Speak Easy oder Mehr oder weniger hab ich die Drehbücher selber geschrieben.
Es bot sich für mich einfach die Chance, einen Langfilm zu drehen, als mir der Autor Manfred Rebhandl bei der Diagonale 1998
das Drehbuch zu lesen gab. Es war damals bereits ein gefördertes Drehbuch, das sich natürlich in der Vorbereitung stark verändert
hat. Die beiden Protagonistinnen, Lilly und Betty, leben jedenfalls in einer Traumwelt. Das stimmt schon, dass es sich um
Träume handelt, es sind aber Träume, die irgendwie greifbar letztlich aber doch nicht wirklich zu haben sind. Die jungen Frauen
sind aber viel weiter als die Mutter die 20 Jahre nach dem Tod ihres Mannes immer noch depressiv ist. Sie sagen sich "Go west,
wir nehmen uns, was wir kriegen können". Die haben schon Power die zwei. Die wollen was und nehmen es sich auch, das macht
auch ihre Stärke aus.
Wie stehen die beiden zueinander?
MIRJAM UNGER: Wenn es um die Träume und die Männer geht, dann lügen und betrügen sie sich. Sie mögen sich aber sehr und natürlich haben
sie auch Konflikte miteinander, zu harmonisch, das wäre ja langweilig. Freundschaft ist etwas sehr Wichtiges in dieser Geschichte,
noch wichtiger aber sind die Träume, denen sie nachjagen. Beide erleben eine Initiationsgeschichte, durch die sie ein kleines
Stück reifer werden. Beide hatten ein Bild, dem sie nachgegangen sind und haben geschaut, welche Realität, welcher Mythos
steckt dahinter. Danach können Sie das irgendwie differenzierter betrachten und haben nicht mehr nur das Plakative vor Augen.
Sie haben trotzdem noch Träume, aber sie gehen weiter, ich glaube sie sind mutiger geworden durch das, was sie erlebt haben.
Es ist auch ein trauriges Ende, so ein bisschen bittersüß.
Die Hauptdarstellerinnen, Sonja Romei und Nina Proll, sind ein starkes, aber auch sehr konträres Duo?
MIRJAM UNGER: Die Sonja ist eine Schauspielerin, mit der ich total gerne arbeite. Die Sonja hat in Mehr oder weniger gespielt, in Speak
easy hatte sie eine kleine Rolle, in meiner Regieübung hat sie schon gespielt und ganz am Anfang spielte sie schon in Betongräser
von Antonin Swoboda. Sie hat sich durch unsere Filme zur Schauspielerin entwickelt. Das war ihre erste große Rolle, sie war
so lustig und wusste auch: das ist jetzt die Möglichkeit, endlich draufloszuspielen. Das Faszinierende an der Sonja ist, dass
sie so roh ist, wie ein ungeschliffener Diamant, sie sprudelt vor Leben und überrascht einen immer. Sonja und Nina, sind sehr
starke Persönlichkeiten und haben sich auch sehr gut verstanden. Die sind so konträr, aber das Drehen war sehr harmonisch
eigentlich.
Wie sah Ihre Arbeit mit den Schauspielern aus?
MIRJAM UNGER: Wir haben viel geprobt zunächst durch Improvisation, um Figuren zu finden, dann einfach die Szenen. Wir sind also mit den
fertigen Figuren in den Dreh gegangen. Viel im Umgang mit Schauspielern hab ich natürlich erst beim Dreh gelernt. Mit den
arrivierten Schauspielern zu arbeiten war super, die bringen so viel mit. Die Birgit Doll hat sich total darauf eingelassen.
Der Matthieu Carrière ist schon ein Enfant terrible, er ist sehr unberechenbar, das ist aber sehr spannend.
Wie haben Sie die Umstellung von den ersten kurzen Arbeiten auf das erste große Projekt erlebt?
MIRJAM UNGER: Es ist alles so ohne Pause gegangen, gleich nach dem Dreh hab ich geschnitten. Ich drehe schon sehr gerne und es ist sehr
intensiv. Ich hab jeden Drehtag gebetet, dass ich es den nächsten gut schaffe. Ich hab schon Tagesverfassungen und manchmal
auch Unsicherheiten gespürt. Dann aber wieder die Freude, wenn etwas aufgeht. Ich hab mit einem großartigen und wunderbaren
Kameramann, Jürgen Jürges, gedreht, der schon sehr viel gemacht hat. Bei der Diagonale 99 lernte ich Roland Klick kennen lernte,
der uns dramaturgisch und drehbuchmäßig beraten hat und auch den Kontakt zum Jürgen hergestellt hat. Das war eine riesengroße
Hilfe, weil der alles so umsetzen kann und ich mich auf die Darsteller konzentrieren konnte, er gab mir sehr viel Sicherheit.
Auch wenn Sie soeben Ihren ersten Langfilm fertiggestellt haben, können Sie schon auf jede Menge Erfahrung im Bereich der
Medien vorweisen.
MIRJAM UNGER: Ich begann mit 17 mit Radio, in einer Sendung, die hieß ZickZack. 1991 ergab sich dann die Gelegenheit, bei der Jugendsendung
X-Large auch Fernsehen zu machen, und zwar machte ich Redaktion und Moderation. 1993 begann ich die Filmakademie und beschränkte
meine Tätigkeit auf die Radiomoderation, weil ich das sehr gerne mache. Dieser Erfahrung bei Radio und Fernsehen hab ich zwei
wesentliche Dinge zu verdanken - erstens kriegte ich durch diese Arbeit immer mit, was so läuft und zweitens machte ich selbst
die Erfahrung, vor der Kamera zu stehen. Auch wenn es nicht Schauspiel war, aber allein das Gefühl "Kamera läuft" zu kennen,
ist wichtig.
Entstand aus dieser Erfahrung schließlich das Bedürfnis, Filme zu machen?
MIRJAM UNGER: Wenn ich den Wunsch Filme zu machen zurückverfolge, dann geht das bis in die Kindheit zurück. Auslöser war aber das Fernsehen.
Es war beim Fernsehen definitiv so, dass mir so viel gefehlt hat un dich im Lauf der Zeit spürte, ich will hier raus Ich begann,
viel ins Kino zu gehen, den Unterschied zwischen beiden visuellen Medien zu erkennen und sehr stark zu spüren. Die Erfahrungen
aus dem Fernsehen waren mir sehr hilfreich, ich erkannte aber auch, dass es Dinge gibt, die ich nur durchs Tun allein nicht
lerne, deshalb entschied ich mich für eine Ausbildung.
Wie sehen die nächsten Pläne aus?
MIRJAM UNGER: Ich weiß es nicht ganz genau, es kann sein, dass ich wieder etwas auf der Filmakademie mache, mit all dem, was ich jetzt
gelernt habe. Ich finde es einfach spannend, mit Leuten wie Nina Proll, Sonja Romei, Doris Schatzmayer oder Gerald Votava
weiterzuwachsen und zu arbeiten. Ich hab zur Zeit einige Sachen an denen ich arbeite, aber nicht ein konkretes Buch. Ich bin
schon auch am Suchen. Wenn ich ein Buch finde, dann kann ich mir schon vorstelllen, das zu wagen. Aber ich weiss im Moment
nicht genau, wie ich weitermache. Ich hab jetzt zwei Möglichkeiten Entweder ich setze mich hin und schreibe, lasse meine neuen
Erfahrungen einfließen, in der Hoffnung, dass mir das gelingt oder irgend einen Stoff finden, den ich gut bearbeiten kann.
Ich kann mir beides sehr gut vorstellen: eigene Sachen ebenso wie fremde Bücher zu verfilmen.
Interview: Karin Schiefer
2000