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Michael Glawogger: Reisen als Prinzip

 

 

Wenn er Filme macht, zieht Michael Glawogger durch die Welt und streift dabei durch die Genres. Während er zur Zeit die ersten Bilder für seinen neuen Dokumentarfilm  Whores' Glory in Bangladesh einfängt, sind die Kopien der Komödie Contact High und der Josef Haslinger-Verfilmung Das Vaterspiel bereit für den Kinostart.



Eine Romanverfilmung, die in New York, Wien und im Waldviertel spielt, ein psychodelisches Roadmovie von Wien bis ins polnische Nest Drogomysel, ein Dokumentarfilm, dessen Dreh rund um den Globus angelegt ist und ein soeben fertig gestelltes Originaldrehbuch – soweit die Bilanz für das ablaufende Jahr. Michael Glawoggers Filmschaffen kennt keinen Stillstand und keinen festen Wohnsitz. Geografisch wie inhaltlich liegt seinen Arbeiten das Prinzip Reisen zugrunde, er lässt sich nirgends beheimaten und ist doch da und dort zu Hause -  im Dokumentarfilm wie im Spielfilm, im ernsten wie im heiteren Fach. „Ich betrachte Filmemachen,“ so der Regisseur, „als eine tägliche Beschäftigung wie jede andere. Ich mag es nicht, wenn das Filmemachen zu einem theatralischen Akt stilisiert wird, es ist eine alltägliche Betätigung, auch wenn es durchaus etwas Künstlerisches hat. Mir hätte immer der Gedanke gefallen, wie früher in den USA, in einem Studio fix angestellt zu sein und sich dabei Filme auszudenken und zu machen.“

Einen Fulltime-Job bedeutet sein kreativer Output allemal. Allein für die Adaptierung von Josef Haslingers Vaterspiel galt es eine 600 Seiten starke Romanvorlage zu bearbeiten und mehrere Erzählstränge, die langsam ineinander finden, filmisch aufzulösen:  da ist ein österreichischer Minister und Sozialdemokrat, der im Laufe der Jahrzehnte seine politischen Ideale ad absurdum führt und sein missratener Sohn; eine jüdische Familie, die den Massakern der Nazis in Litauen zum Opfer fällt und ein Überlebender, der einem der Mörder auf den Fersen ist; ein Kriegsverbrecher, der sich in einem New Yorker Keller verkrochen hat und seine Enkelin, die ihn mit ihrer Wiener Jugendliebe bekannt macht. „Das Reizvolle an der Umsetzung,“ so der Regisseur, „lag darin, Geschichten, Schauplätze, Orte und Stimmungen in meinem Stil miteinander zu verweben. Josef Haslinger hat selbst gesagt, dass ich eine Bresche durch das Buch geschlagen habe.“ Ein Buch, das Generationen von Söhnen und Vätern auf ihren sich kreuzenden Wegen verfolgt - gewaltsam verlorene  oder verhasste Väter, nachsichtige oder maßlos fordernde Väter. Vater-Sohn-Geschichten, die sich aufgrund der politischen Verhältnisse in nur zwei Generationen nicht stärker hätten wandeln können. Während Jonas Shtrom Jahrzehnte nach dem Krieg nicht müde wird, den Nazi-Mörder seines Vaters aufzuspüren, ersinnt Ratz als Kind der ersten Computergeneration ein Spiel, das zum virtuellen Mord am Vater anleitet und versäumt dabei, sein Befinden emotional zu ergründen. „Ratz“, so Michael Glawogger, „steht für jene Generation, die das Glück hatte, nie in einer politischen Zwangslage vor moralischen Entscheidungen gestanden zu haben.“ Die Computeranimationen ins narrative Geflecht einzubauen, stellte in zweifacher Hinsicht seine Anforderungen: Ratz’ Spielentwurf musste glaubwürdig einer Heimcomputerkreation aus den Achtzigern nahe kommen, doch gibt es auch Passagen, wo Ratz’ Vater als Computerfigur durch die reale Jetztzeit hetzt und damit auch die technologische Entwicklung sichtbar macht.

Auf viel verspieltere Weise konnte da das CGI-Team des zweiten Spielfims Contact High an die Arbeit gehen, einer „Komödie über Rauschmittel“ aus der Feder des Duos Glawogger & Ostrowski. Auch wenn Nacktschnecken ein Film über Sex war, Contact High als einer über Drogen interpretiert werden könnte und irgendwann auch noch einer über Rock‘n’Roll kommen soll, gibt der Filmemacher dem Begriff Rauschmittel den klaren Vorzug. „Drogen,“ so meint er, „werden ja heute nur in ihrer negativen Auswirkung diskutiert, ohne dass jemand davon spricht, dass sie auch Spass machen, warum würden so viele Menschen sie sonst nehmen?“ 

Drogenräusche – aber freudvoll und konkret, so lautete also die Prämisse für Contact High. Der Film entspinnt sein heiteres Delirium rund um die Jagd auf eine Tasche ominösen Inhalts, die in einer Hotelrezeption im polnischen Lodz zu holen ist. Harry und Georgie, zwei blonde harte Kerle im Ford Mustang (Detlef Buck, Georg Friedrich) liefern sich ein Verfolgungsduell gegen  zwei Schlaumeier im Schlafwagen (Michael Ostrowski, Raimund Wallisch), für die sich die kleine Osteuropa-Mission als Kurz-Trip in ein fröhlich-abstruses Wunderland voller Anspielungen aus Literatur, Musik und Film entpuppt. „Alice in Wonderland“, so Michael Glawogger, „ist ein sehr gescheites Drogenbuch, auf das es viele Querverweise gibt, aber nicht nur darauf. Man wird sehen, wie der Film vor lauter Rauschmitteln, Farben, Musiken und Dialogen aus allen Fugen quillt. Man kann ihn wahrscheinlich dreimal anschauen, um zu sehen, was alles drinnen vorkommt.“ Wichtig war es dem Regisseur dabei, in der Computeranimation keine technologische Leistungsschau abzuziehen, sondern einen Bogen zu spannen von dreidimensionalen Tricks, Zügen, die durch den Himmel schweben, Mosaiken, die sich in Bewegung setzen, bis zu einem von Mara Mattuschka von Hand gezeichneten Trickfilm. Eine Einschränkung, die nicht zuletzt auch finanzielle Gründe hatte. „Bei unseren Budgets,“ so Glawogger, „muss man sehr präzis im Denken und in der Arbeit sein. Ich glaube, wir haben jeden Zentimeter, der gedreht wurde, auch verwendet, um überhaupt das Tempo dieses Films herzustellen. Komödie ist noch dazu immer eine Frage des Timings und die Geschwindigkeit allein bietet keine Lösung, sie muss auch richtig eingesetzt sein. Nicht umsonst ist die Komödie die Königsdisziplin des Filmemachens.“

Mit dem beinahe gleichzeitigen Abschluss der Postproduktion beider Spielfilme, ist nun auch die Route frei für die nächste längere Dokumentarfilmreise. In Whores’ Glory, plant Michael Glawogger eine Hommage ans Phänomen der Prostitution und versucht in der gewohnten Methode des globalen Rundblicks ihren Alltag, ihre Rituale und ihren Platz in verschiedenen gesellschaftlichen Verhältnissen zu erfassen. „Prostitution“, so der Regisseur, „ist vielleicht nichts anderes als die verkürzte Form dessen, was Männer und Frauen in einer gegebenen Gesellschaft sowieso miteinander tun, nur die Rituale sind aus Zeitgründen verkürzt“. Einfach wird die Arbeit nicht werden, denn die Kamera ist an den Orten des Geschehens alles andere als erwünscht und offenes Drehen für Glawogger oberstes Gebot. Die erste Drehetappe Bangladesh wird dabei gleich zur harten Probe werden. „Wenn ich dort in einem Prostituierten-Ghetto, wo 3.000 Frauen arbeiten, drehen will, dann kann ich entweder versteckt arbeiten oder ich werde mich auf einen langwierigen Prozess einlassen müssen“.

 

Karin Schiefer
2008