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Michael Glawogger dreht DAS VATERSPIEL

 

 

Michael Glawoggers Arbeitskalender ist 2007 wieder  besonders dicht: eine Romanverfilmung im Frühling, eine Komödie im Sommer, und die Weiterentwicklung eines neuen weltumspannenden Dokumentarfilmprojekts (Whores’ Glory). Den Beginn macht Das Vaterspiel, eine Kinoadaptierung des Romans von Josef Haslinger mit Helmut Köpping in der Hauptrolle. Die Dreharbeiten in New York, in Wien und im Waldviertel sind großteils abgeschlossen, als nächstes steht im Sommer der Dreh von Contact High auf dem Programm, ehe im Spätherbst die letzten Winterbilder für Das Vaterspiel gedreht werden.



„Jeden Tag das falsche Wetter,“ Regisseur Michael Glawogger nimmt die aprilgerechten Wetterlaunen schon recht gelassen. Heute feucht und wolkenverhangenen, gestern strahlend schön und warm. Das Begräbnis in Wintermänteln am Ottakringer Friedhof stand allerdings gestern am Drehplan, der romantische Foto-Take im erblühenden Volksgarten dafür heute. Minister Kramer posiert inoffiziell mit seiner neuen Flamme und landet ungewollt in der Boulevardpresse. Es ist einmal mehr ein peinlicher Fehltritt des sozialdemokratischen Ministers, für den 35-jährigen Sohn, Rupert, den Protagonisten in Michael Glawoggers Romanverfilmung Das Vaterspiel, nur noch ein Anlass mehr, seinen Hass auf den Vater virtuell auszuleben. Er hat dazu ein Computerspiel ersonnen, das ihm erlaubt, seinen verhassten Erzeuger, immer wieder aufs Neue zu vernichten.

600 Seiten, ein Monster von Buch, lag vor Michael Glawogger, als er daran ging, Das Vaterspiel, Josef Haslingers Roman aus dem Jahr 2000, fürs Kino zu adaptieren. Drei Erzählstränge, die langsam ineinanderfinden, drei Generationen, Vater-Geschichten: ein österreichischer Minister, Sozialdemokrat, der im Laufe der Jahrzehnte seine Ideale erfolgreich ad absurdum geführt hat und sein missratener Sohn; eine jüdische Familie, die den Massakern der Nazis in Litauen zum Opfer fällt, ein Überlebender, der dem Mörder auf den Fersen ist, ein Kriegsverbrecher, der sich in New York in einem Kellerverschlag vor der Welt und der Verantwortung verkrochen hat. „Ich war zu Beginn“, so der Regisseur und Drehbuchautor Michael Glawogger, angesichts des Umfangs sehr hin- und hergerissen. Was Josef Haslinger aber sehr gut kann, ist, verdichtete Momente zu schreiben, wo man sofort einen Film ablaufen sieht.“ Auch die lange Episode um das Pogrom in Litauen erfüllte den Filmemacher zunächst mit Skepsis, denn es warf für ihn die Frage auf, in welcher Form sich heute das Thema des Nationalsozialismus für die Leinwand verarbeiten lässt. Ein langer von Ulrich Tukur gesprochener Monolog brachte schließlich die Lösung. „Es scheint mir sehr interessant, in einem schnellen, verwobenen Film mit vielen Ebenen plötzlich eine erzählte Passage hineinzubringen. Das Reizvolle an der Umsetzung dieses Romans lag darin, Geschichten, Schauplätze, Orte und Stimmungen in meinem Stil miteinander zu verweben. Radikale Erzählformen reizen mich immer  und es geht mir um eine Mischung aus ernsthafter Thematik, schwarzer Komödie und etwas wie einer radikalen Poesie.“
 

Rupert Kramer, die Hauptfigur, ist ein Eigenbrötler, der sich dem Rest der Welt und vor allem dem anderen Geschlecht lieber fernhält. Zu Hause in seiner Wohnhöhle zwischen Computer und Katze fühlt er sich sicherer und erfindet lieber seine eigenwilligen Spielchen wie z.B. ein Fußballspiel ohne Ball oder den endlos wiederholbaren Vatermord. Ratz, wie er oft genannt wird, steht für jene Generation, die nie vor großen moralischen Entscheidungen gestanden hat, die das Glück hatte, weder Verrat am Freund noch Mord am Feind in politischer Zwangslage begehen zu müssen, sondern eher mit dem Finger auf die Generation der Vorgänger zeigen zu können. „Hass und Enttäuschung,“ so  Ratz-Darsteller Helmut Köpping, „sind bei ihm sicherlich ein Motor des Handelns, er ist aber weder ein schwermütiger Charakter noch eine reine Versager-Figur. Er führt ein zurückgezogenes Leben, das ist aber zu einem Gutteil selbst gewählt, er ist hilflos und ungeschickt, aber ein wacher Beobachter, der die Eindrücke rund um ihn nur so in sich aufsaugt.“ Glawogger hat den Grazer Theater- und Filmregisseur für seine erste große Filmrolle engagiert und auch die übrigen Rollen in einer sehr unkonventionellen Mischung besetzt: Christian Tramitz, Ulrich Tukur, Sabine Timoteo, Otto Tausig, Franziska Weisz, Michou Friesz. „ Es ist mir wichtig", so Glawogger, „ verschiedene Schauspielerwelten zusammenzubringen, die in „normalen“ Besetzungen nie zusammenkommen würden und es ist eine Freude zu sehen, wie sie miteinander spielen und reagieren.“ Ein Eindruck, der klar auf Gegenseitigkeit beruht, denn auch Helmut Köpping als ständig am Set agierende Hauptfigur genießt zum einen die Unterschiedlichkeit seiner Gegenüber, aber auch den Umstand, einmal nicht selbst Regie zu führen, sondern sich führen zu lassen. „Michael hat da eine gute Hand,“ so Köpping, „er greift immer wieder ein, aber nie so, dass es Stress erzeugt, ist ein guter Zuhörer und Zuschauer und gibt dann Akzente vor.“

Am Ende schließen sich die Erzählbögen, Ratz reist nach New York, seine Jugendliebe Mimi hat ihn zur Reise überredet. Er renoviert dort auf ihr Bitten den Kellerverschlag eines alten Mannes, erst später erfährt Ratz, dass er sich dabei mit einem Kriegsverbrecher angefreundet hat. „Diese Erkenntnis,“ so Glawogger, „macht so etwas wie einen Knopf in seinem Kopf und vielleicht ist es genau dieser Knopf im Kopf, den ich mit diesem Film erzeugen möchte“.

Karin Schiefer