INTERVIEW

Marco Antoniazzi über KLEINE FISCHE

 

«Was mich thematisch interessiert, ist der Frage nachzugehen, wie der Einzelne in größeren Strukturen agieren kann, welchen Raum das Individuum hat.» Ein Gespräch mit Marco Antoniazzi über seinen ersten Spielfilm Kleine Fische



Der Titel Kleine Fische kündigt eine Erzählung von kleinen Problemen, über kleine Fragen an. Letztendlich stellt sich aber heraus, dass die beiden Brüder Martin und Kurt, ganz ordentliche Fragen und Probleme zu bewältigen haben. Wie stehen Sie selbst zu diesem Titel und was verbirgt sich dahinter?
Marco Antoniazzi: Der Titel stand schon sehr früh fest. Zunächst war da das Thema – das Sterben des Einzelhandels, dieser Wunsch entstand aus meiner Biografie heraus.

... weil Sie selbst damit aufgewachsen sind?
Marco Antoniazzi: Ich bin Sohn eines Kleinunternehmers, der Zulieferer für die Baubranche war. Ich bin in diesen Betrieb hineingewachsen und habe seine Entwicklung miterlebt, gesehen, was sich im Laufe der Zeit verändert hat, wo die Schwierigkeiten liegen und, wieso so ein Betrieb in dieser Form heutzutage keine Chance mehr hat. Das war der erste Zugang. Es war stets für mich klar, dass es eine Geschichte sein würde über „kleine Fische“, - kleine Fische, die sich im großen Meer des globalen wirtschaftlichen Kontexts bewegen. Dann war da auch das Bild vom großen Fisch, der den kleinen frisst und in der Recherche hab ich herausgefunden, dass das Besondere beim Fischhändler der Umstand ist, dass man den Geruch auch in der Freizeit nicht los wird. Ich war lange mit einem Fischhändler in Kontakt, der immer drei Garnituren Kleidung dabei hat – das Arbeitsgewand, dann eines, mit dem er nach Hause fährt und kaum ist er zu Hause, schmeißt er dieses gleich in die Waschmaschine und geht duschen. Er hat Anekdoten erzählt, wenn er z.B.  während der Arbeit schnell auf die Bank muss, drehen sich alle nach ihm um, weil er nach Fisch stinkt. Diese Idee hat mir gefallen, denn darum geht es auch im Film ? dass das Berufliche, das Wirtschaftliche vom Privaten nicht getrennt werden kann. Es ist alles miteinander verquickt. So haben mehrere Komponenten zu diesem Titel geführt.

Der Plot verbindet eine klassische Konstellation – den Bruderzwist – mit einem aktuellen Thema –  den Konsequenzen der Globalisierung. Der Ansatz lag ganz klar im aktuellen Thema. Warum hat sich dieses Globalisierungsthema so aufgedrängt? Ist es auch in Hinblick auf kommende Projekte, ein Anliegen Ihres filmischen Erzählens, auf aktuelle politische Entwicklungen einzugehen?
Marco Antoniazzi: Nein, dass kann ich ganz klar verneinen. Es ist keine Priorität. Ich möchte das nicht unbedingt als Globalisierungsthema ausformulieren. Das gewinnt jetzt natürlich an Aktualität, die Umstände bringen mehr Leute dazu, sich darüber Gedanken zu machen. Wie die Wirtschaft das Alltägliche beeinflusst, das würde ich als Thema nennen, das mich sehr interessiert, das aber wieder sehr zeitlos ist. Wir hatten bei der Arbeit an Kleine Fische nie den Eindruck, ein aktuelles Thema zu behandeln. Es passt vielleicht gerade in die Zeit. Martin war von Beginn an die Hauptfigur, dann waren die Beziehungen zum Vater und zur Mutter wichtig, der Bruder und auch die Geschichte mit Karin sind erst später hinzugekommen.

Betrachtet man die Figuren, so steht einerseits der Konflikt zwischen den Brüdern im Mittelpunkt und dann auch die Mutter, die zwischen den beiden steht. Wie sind die Figuren langsam gewachsen?
Marco Antoniazzi: Wir sprechen ja von einem Strukturwandel. Dadurch, dass der Vater ganz am Anfang stirbt, ist die Mutter die einzige, die mit der alten Struktur aufgewachsen ist, mit ihr gut gelebt hat und auch noch lebt und sich mit Veränderungen schwer tut. Andererseits war uns auch die Familie wichtig, wie sie funktioniert. Und es geht vor allem um Emanzipation. Jede Figur muss sich mit neuen Gegebenheiten auseinandersetzen, sich zurechtfinden und einen eigenen Weg finden. Das macht Martin, weil er in den Fischbetrieb hineingeboren ist und draufkommt, dass es vielleicht doch nicht Seines ist. Die Mutter, die sich vom Vater emanzipieren und auch damit abfinden muss, dass das Geschäft, so, wie sie es gewohnt war und wie sie sich damit wohl fühlte, nicht mehr existiert. Sie beginnt andere Interessen zu haben und ihren Horizont zu öffnen. Und von Kurt wird nur angedeutet, dass er von zu Hause abgehauen ist, weil er eine andere Vorstellung vom Leben hatte. Seine Ziele hat er nicht so umsetzen können, wie er sich das vorgestellt hätte und gibt nun vor, es im Leben geschafft zu haben. Er findet heraus, dass er die Rolle, die er den anderen vorspielt, auch aufgeben kann. Familie und Geschäft sind die beiden Säulen der Erzählung und irgendwann wird klar, es passt alles super zusammen und wird zu einem Ganzen.
 

Kleine Fische ist natürlich auch eine Vater-Geschichte – er ist dafür verantwortlich, dass es mit dem Geschäft bergab gegangen ist, dass der Bruder abgehauen ist, dass der Konflikt zwischen den Brüdern letztlich eskaliert. Der Vater stirbt ganz früh in der Geschichte und er wirft sozusagen als Abwesender seine Schatten auf den Alltag seiner Hinterbliebenen.
Marco Antoniazzi: Ja genau, ich erzähle vom Erbe, das er hinterlassen hat und mit dem jeder umgehen muss. Es gibt ihn nicht als Figur, es gibt ihn nur als Altlast und das muss jeder  für sich verarbeiten und einen neuen Zugang zum Vater finden, um frei etwas Neues beginnen zu können. Das Geschehen bis zum Tod des Vaters ist eigentlich eine Einführung – was ist der Ist-Zustand, von dem sich dann jeder loslösen muss und mit dem sich dann jeder auseinander setzen muss.

Es war Ihr erstes Langfilm-Drehbuch. Haben Sie ganz alleine am Drehbuch gearbeitet?
Marco Antoniazzi: Nein, von mir ist das Exposé und das erste Treatment. Nach dem ersten Treatment ist dann Gregor Stadlober dazugekommen. Er hatte mit Kotsch schon ein Buch für einen ersten Langfilm geschrieben hat, Experimentalfilme gemacht und wir haben auch schon einen Dokumentarfilm gemeinsam gedreht. Es war dann eine gleichberechtigte intensive Zusammenarbeit. Wir haben parallel gearbeitet. Der Vorteil an dieser engen Zusammenarbeit ist, dass man das, was man geschrieben hat, auch verteidigen und argumentieren muss, dass man selbst überhaupt versteht, was man macht und ob man mit den eingesetzten Mitteln sein Ziel erreicht.

Ab wann war die  Novotny&Novotny-Film als Produktionsfirma dabei?
Marco Antoniazzi: Zur Zusammenarbeit mit der Novotny-Film kam es auf sehr unübliche Weise. Ich habe meinen Diplomfilm Das Kettenkarussell bei einer Kompilation von Akademie-Filmen, die eine Woche lang im Votivkino gelaufen sind, gezeigt. Zur Premiere haben wir Produzenten eingeladen und u.a. kam auch Franz Novotny. Er hat daraufhin einen Termin mit mir vereinbart, bei dem ich ihm erzählte, was ich so vorhabe. Zwei Dinge haben ihn interessiert und daraufhin sagten wir, gut, dann machen wir Kleine Fische. Eigentlich ist er zu einem Zeitpunkt auf mich zugekommen, als ich noch sehr vage Ideen davon im Kopf hatte, was ich machen könnte. Die Zusammenarbeit hat eigentlich in der Entwicklungsphase eingesetzt. Wir haben relativ früh für Projektentwicklung Geld bekommen, das war Geld fürs Drehbuch und eine Dramaturgin wurde uns zur Verfügung gestellt. Wir haben dann schließlich die elfte Fassung verfilmt, mit einem Budget von etwas mehr als einer Mio. Euro für ein Werkstattprojekt; und ich bin mit dem Ergebnis recht zufrieden.

Erster Spielfilm heißt auch erste lange Zusammenarbeit mit Schauspielern – wie verlief zunächst das Casting, das besonders für die beiden Brüder sicherlich eine Herausforderung war?
Marco Antoniazzi: Zum Teil kennt man die Leute. Michael Steinocher und Sabrina Reiter sind beide aus In 3 Tagen bist du tot bekannt. Als wir casteten, war der Film noch ganz neu. Ich kannte Michael aber bereits aus echos von Michael Ramsauer, wo er mich beeindruckt hatte. Volker Schmidt, der Darsteller des Kurt, ist als Schauspieler weniger bekannt. Er kommt vom Theater, ist ein erfolgreicher Theaterregisseur und -autor, er arbeitet in Berlin, hat letztes Jahr auch einen Nestroy für die beste Off-Produktion gewonnen. Viele der jungen SchauspielerInnen haben noch nie in Filmen gespielt. Ich habe sie am Theater gefunden. Brigitte Kren hingegen stand sehr früh fest, sie war großartig.

Wie sah die Vorbereitungsarbeit mit den Schauspielern aus?
Marco Antoniazzi: Sehr unterschiedlich. Mit den beiden Brüdern und der Mutter haben wir zwei Wochen vorher geprobt. Das war meine Bedingung und es war auch möglich, dass wir an den Originaldrehorten – dem Fischgeschäft und der Wohnung – probten. Mit den kleineren Rollen habe ich nicht geprobt, da verlasse ich mich auf das persönliche Gespräch vorher. Ich hatte sie ausgewählt, weil mir auf einem Band oder bei einer Aufführung von ihnen etwas gut gefallen hat und dann geht es darum, die Rolle zu besprechen. Ich bin bei den Dreharbeiten sehr genau und gehöre nicht zu denen, die gleich drehen. Wenn man mit professionellen Schauspielern arbeitet, dann entwickeln sie etwas und mein Zugang ist eher der, dass ich etwas erarbeiten will, das dann gefilmt wird. Ich finde, dass man an Momenten feilen kann.

Wo haben die Dreharbeiten stattgefunden?
Marco Antoniazzi: Ich glaube, wir haben beinahe vier Wochen im neunten Bezirk gedreht, wo wir in einem leer stehenden Geschäftslokal ein Fischgeschäft eingerichtet hatten. Es war sehr lustig, denn die Anrainer haben das zum Teil für real gehalten und es ist mindestens einmal pro Tag jemand ins Geschäft gekommen und wollte tatsächlich Fisch kaufen. Oder nebenan hatten wir einen Plattenladen eingerichtet, da sind auch Leute reingekommen und wollten ihre alten Platten loswerden. Die Bewohner vom Haus wären sagten, sie starten jetzt eine Initiative, um einen Fischladen dorthin zu kriegen. Ob es wirklich einen Bedarf gibt, würde ich nicht so einfach behaupten, es gab auch um die Ecke unserer Dreharbeiten einen kleinen Drogeriemarkt, der von zwei älteren Leuten betrieben wurde. Der ist inzwischen zugesperrt, weil auch keine Zukunftsperspektive für eine eventuelle Übernahme da war.

Wenn Sie jetzt an zukünftige Projekte denken, wo hat der Film etwas, wo Sie Ihre Linie im filmischen Erzählen definieren möchten?
Marco Antoniazzi: Thematisch interessiert es mich nach wie vor, der Frage nachzugehen, wie das Individuum in größeren Strukturen agieren kann, welchen Raum das Individuum hat. Bis jetzt habe ich es immer so gehalten, dass ich mir zunächst das Thema suche und dazu die Geschichte finde und mir anschließend überlege, wie ich es umsetze. Es war anfänglich nicht ganz einfach zu erklären, warum ich diese Form wähle. Es ist sehr früh die Kritik gekommen, dass die Erzählweise von Kleine Fische ein bisschen altbacken ist. Es ist keine moderne Erzählweise, das ist richtig, aber es war eine bewusste Entscheidung, weil es zum Inhalt passt. Wenn ich so ein angestaubtes, muffiges bürgerliches Milieu erzähle, dann macht es wenig Sinn, dass ich mit der Handkamera herumfetze. Ich finde also immer sehr spät zur Form. Ich kann daher noch nicht sagen, welche Form ich fürs nächste Projekt wählen werde.

Der Film hatte seine internationale Uraufführung in Saarbrücken beim Max Ophüls-Festival. Wie hat das Publikum dort auf den Film reagiert?
Marco Antoniazzi: Für mich war es sehr positiv. Es ist ja ein Film, bei dem man lachen darf. Diesbezüglich die Reaktionen des Publikums zu überprüfen, ist einfach. Wenn im Saal der erste Lacher das Eis bricht, dann ist man als Autor erleichtert zu erleben, dass die Rechnung aufgeht und die Lacher dort kommen, wo man sie sich vorgestellt hat. Bei einem komplizierteren Film kann man am Ende ein wenig den Applaus messen. Im Grunde ist die Reaktion des Publikums viel schwieriger spürbar. Bei diesem Film hingegen geht das Publikum mit und man weiß während der Vorstellung schon, wie er ankommt. Ich bin bei drei Vorstellungen sitzen geblieben und grundsätzlich hatte ich den Eindruck, dass der FIlm gut angekommen ist, v.a. bei den Schülervorstellungen war ich sehr zufrieden, da ich befürchtet hatte, dass die Lacher zwar funktionieren, es aber auf der Ebene der Komödie bleiben würde. Im Gespräch mit den Kindern und Jugendlichen hat sich aber herausgestellt, dass auch die Schicht darunter angenommen und verarbeitet wird.

Der Film wird auch Eröffnungsfilm der Diagonale sein, was bedeutet diese Einladung für Sie?
Marco Antoniazzi: Ich hatte damit nicht nur nicht gerechnet, sondern diese Möglichkeit nicht einmal in Erwägung gezogen. Es freut mich ganz besonders, weil die Diagonale meine Entwicklung wesentlich begleitet hat. Ich war sehr früh mit einem meiner ersten Akademiefilme dort vertreten. Die Diagonale war immer meine Öffentlichkeit, wo ich sehen konnte, wie das Publikum reagiert und ich hatte eine Plattform, um wahrgenommen zu werden.

Wenn ein fertiger Film in die Verwertung geht, dann könnte es sein, dass bereits ein neues Projekt erste Konturen annimmt?
Marco Antoniazzi:  Ich habe ein Treatment für einen Spielfilm in Arbeit, wofür ich mir aber Zeit nehmen möchte. Ich werde demnächst, wenn Zeit ist, einen Experimentalfilm beginnen und ich würde auch gerne wieder einen Dokumentarfilm mit Gregor Stadlober drehen, weil unsere erste gemeinsame Arbeit eine sehr gute Erfahrung war.


Interview: Karin Schiefer
März 2009