INTERVIEW

Kurt Ockermüller über ECHTE WIENER

 

«Ich war mir schon in gewisser Weise bewusst, dass es eigentlich ein Erfolg sein muss. So, wie das ganze Projekt zustande gekommen ist und alle wieder dabei waren. Das war eine außergewöhnliche Sache.»  Ein Gespräch mit Kurt Ockermüller über Echte Wiener.



Mit Ein echter Wiener geht nicht unter und Ernst Hinterberger verbindet sie eine lange Geschichte. Was machte Ihrer Meinung nach die Popularität dieser Geschichte aus?
Kurt Ockermüller: Ein echter Wiener geht nicht unter war mein Einstieg in die Regie. Ich war von Anfang an dabei, zunächst als Assistent und Inspizient und habe die ganze Entwicklung verfolgt. Seither kenne ich Ernst Hinterberger. Ich schätze ihn so sehr, weil ich kaum einen Autor kenne, der so treffende und gute Dialoge schreiben, der mit drei Sätzen eine Figur zeichnen kann. Er ist ein Unikat - mittlerweile auch 75 - immer noch unverändert schnell und präzise und ist dieser einfache, bescheidene Mensch geblieben. Er hat ein besonders ausgeprägtes Gespür für die Menschen und, wie er selber sagt, was ihn interessiert, sind die kleinen Leute. Das war wahrscheinlich einer der Gründe für den Erfolg der damaligen Fernsehserie und dass man eine proletarische Familie in den Mittelpunkt stellt, das war thematisches Neuland. Diese Schicht hatte im Fernsehen der siebziger Jahre bis dahin nicht existiert, im Theater ein wenig, aber im Fernsehen war alles gesellschaftlich viel höher angesiedelt. Damals hat sich der ORF was getraut, da wurden Themen angepackt und etwas gemacht. Da hat sich leider vieles verändert. Der Grund für den damaligen Erfolg lag darin, dass es etwas ganz anderes war und dass es sehr authentisch war. Deshalb hat es sicherlich auch jetzt funktioniert hat. Abgesehen davon, dass sehr viele Leute das Sujet gekannt haben, hat es auch ein ganz junges Publikum gegeben, das die Familie Sackbauer von DVD-Editionen kennt. Sie hat einen Kult-Status erreicht. Es war eine einmalige Geschichte, dass nach dreißig Jahren der Großteil der Besetzung da war. Kurt Weinzierl hat uns leider inzwischen verlassen, er war schon sehr schlecht beisammen, wollte aber unbedingt mitmachen und es war ein schöner und würdiger Abschied für ihn.

Sie waren der letzte der drei Fernsehregisseure von Ein echter Wiener geht nicht unter und so mit auch wieder der logische Nachfolger, der die Fortsetzung übernahm. Wie ist es zum Kinoprojekt gekommen?
Kurt Ockermüller: Ja, nach Reinhard Schwabenitzky, hat Rudolf Jusits die Regie übernommen und nach drei Folgen an mich abgegeben. Ich war derjenige, der die Geschichte zu einem organischen Ende gebracht hat, gemeinsam mit Ernst Hinterberger und der Redaktion haben wir mit Mundls 50. Geburtstag einen Schlusspunkt gesetzt. Damals hielt man 24 Folgen für genug, obwohl es dann mit Kaisermühlen eine viel längere Serie gegeben hat. Es war auch Wunsch des ORF zehn Jahre Pause zu machen und zu schauen, was aus der Familie geworden ist. Diese Idee hat sich aber dann zerstreut, Karl Merkatz wollte auch nicht unbedingt. Inzwischen hatte er auch Der Bockerer begonnen und auch viel Theater gespielt. Reinhard Schwabenitzky hat mal ein paar Highlights zusammengefügt, das wurde auch im Kino gezeigt. Die Idee, nach so vielen Jahren eine Fortsetzung fürs Kino zu machen, ist erst vor zwei Jahren konkret geworden. Klaus Roth hat ein Karli Sackbauer-Programm gemacht, wofür Robert Winkler die DVD produziert hat. Bei der Präsentation davon entstand die Idee zur Fortsetzung, Karl Merkatz hat sich auch eher positiv dazu geäußert und so ergab es sich, dass wir innerhalb kürzester Zeit inklusive Ernst Hinterberger alle im Boot hatten. Und auch die Produktion ist innerhalb kürzester Zeit zustande gekommen. Ich hatte zunächst an Fernsehen gedacht, aber Robert Winkler schlug vor, das Projekt fürs Kino zu entwickeln und die Förderer stiegen sehr rasch auf die Idee ein.

Vor welchen inhaltlichen Aufgaben standen Sie bei der Drehbuchentwicklung?
Kurt Ockermüller: Ja, erst dann begannen wir, über die Details in der Dramaturgie nachzudenken. Wir hatten ja nicht nur eine Hauptfigur, sondern zehn Figuren. Was ist mit ihnen in dreißig Jahren passiert, das ist ja eine ganze Generation. Wir hatten die Chance, vier Generationen in einer allseits bekannten Familienkonstellation zu erfinden, aber es war nicht ganz einfach. Ich hab dann mit Ernst Hinterberger Kontakt aufgenommen, er meinte zwar, dass er noch nie ein Kinodrehbuch geschrieben hätte, aber er hatte auch schon ein paar Ideen im Kopf - vom Älterwerden usw. Es hat sich alles in einer Eigendynamik recht mühelos entwickelt, für mich war es sehr spannend, die Leute nach so vielen Jahren - und einige hatte ich völlig aus den Augen verloren - wieder zu treffen. Wir waren damals eine Familie, auch innerhalb des ORF waren wir eine verschworene Bande. Und so begann das Ding zu leben. Eine Schwierigkeit war auch, zum bestehenden gewichtigen Cast die neuen Rollen dazu zu besetzen. Sie mussten einerseits Sackbauers sein, andererseits ist das Leben 2009 ein anderes als 1979 und es muss auch eine andere Generation von Kinogehern bedient werden. Wir wissen wie jung das durchschnittliche Kinopublikum ist.

Hat es für Sie einen großen Unterschied gemacht, fürs Kino und nicht fürs Fernsehen zu arbeiten?
Kurt Ockermüller: Nicht wirklich. Natürlich muss man anders arbeiten, eine 45-Minuten-Episode hat einmal eine andere Dramaturgie. Wir haben damals entgegen den üblichen Gepflogenheiten beim Fernsehspiel nur mit einer Kamera und langen Einstellungen gearbeitet, oft fünf, sechs Drehbuchseiten geprobt, dann zwei, drei Mal gedreht und dann war es aus, ohne viele Zwischenschnitte. Das hatte eine eigene ästhetische Qualität, die man nicht 1:1 ins Kino übernehmen konnte. Wir waren bei der Kinofassung zunächst sehr lang, der erste Rohschnitt lag bei 137 Minuten. Es waren einfach so viele Geschichten zu erzählen und dann kommt in der Kinodramaturgie dazu, dass man das emotionale Potenzial stärker nützen muss. Und es ging mir um eine gewisse tragikomische Mischung – es ist ja keine reine Komödie, das war es ja auch damals nicht, sondern es gab sehr naturalistische, drastische, sozialkritische Themen, das ist auch heute noch der Fall. Die Themen sind die gleichen, dazu gekommen ist, dass wir eine immer älter werdende Bevölkerung haben. Eine gut funktionierende Familie, wie das in den siebziger Jahren der Fall war, kann ich heute nicht mehr glaubwürdig hinstellen. Das hieße ein Märchen erzählen. Es gibt ein paar Szenen, da muss man schon sehr abgebrüht sein, wenn einem das nicht nahe geht und das liegt auch an der Qualität der Schauspieler.  Wenn der schwer kranke Götz Kaufmann nach Absprache mit ihm seine Rolle so spielt, dann geht einem das einfach nahe. Und es war mir wichtig, dass die Geschichte nicht zu sehr an den Haaren herbei gezogen ist, wir wollen ja ein bisschen was vom Leben zeigen. Es ist ja kein abgehobener Arthouse-Film, sondern eine Geschichte, in der sich jeder auch selbst erkennen kann.

Wie war es für Sie und die Beteiligten, sich nach so vielen Jahren wieder zu treffen?
Kurt Ockermüller: Es war wirklich schön, es haben sich alle herzlich gefreut und alle haben sich eingebracht, was nicht immer leicht war, denn es waren sehr lange und harte Drehtage. Es war einfach ein gutes Klima da. Spannend war für mich, mit einer relativ jungen Produktionsfirma zu arbeiten, die sich sehr bewährt hat. Ich hatte vorausgeschickt, dass wir es mit älteren Herrschaften zu tun hatten und wir haben das gemeinsam tapfer durchgestanden, weil jeder das wollte, das hat man einfach gespürt.

Das Thema des Films – das Älterwerden, die Vergänglichkeit – wird ja von vornherein von allen Darstellern aus der Serie schon getragen.
Kurt Ockermüller: Absolut, alle tun das. Sogar der Jüngste hat das verstanden. Es war ein Glückfall, dass wir Pascal gefunden haben, der beim Dreh noch nicht einmal 14 und beim Casting der Kleinste und Jüngste war. Er war es aber dann. Manuel Ruby als sein Vater ist erst relativ spät ins Gespräch gekommen und dann habe ich beim Casting die beiden zusammen improvisieren lassen.
Manuel Rubey ist ein sehr sensibler und introvertierter Typ und genau so etwas fehlt ja in der gesamten Familienkonstruktion. Er ist eine Art Außenseiter. Darüber gab es geteilte Meinungen, ich stehe dazu, weil ich es gut finde, dass er für eine andere Generation steht und ein bisschen ein Fremdkörper ist, es muss ja nicht jeder ein Rabauke sein Und ich wollte einen allein erziehenden Vater zeigen. Im ganzen Sackbauer-Clan sind die Frauen die Stärkeren, ob Toni, Hanni oder Irmi. Ein Mann ist überfordert, das hat mich thematisch interessiert, dass ein Mann mit so einer Situation einfach nicht zurechtkommt und er merkt nicht einmal, dass sein Bub zum Saufen beginnt. Er stürzt sich in die Arbeit, hat einen Schuldkomplex und er ist ein klassischer Fall für eine Depression.

Was sehr frappierend war, war das Thema Alkohol. Es wird ganz schön gesoffen in der ganzen Familie.
Kurt Ockermüller: Das war aber immer so. Ich wollte am kleinen Edi zeigen, dass er gefährdet ist. Das Koma-Saufen hat es vielleicht immer gegeben, früher hat man es vielleicht nicht so thematisiert. Der Alkohol hat durch die gesamte Serie hindurch eine wichtige Rolle gespielt und ich wollte auch zeigen, dass jemand daran zugrunde gehen kann, siehe Kurti Blahovec. Das war bewusst so gedacht, ohne den Zeigefinger zu erheben. Der exzessive Konsum von Alkohol hat in Österreich noch immer etwas von einem Kavaliersdelikt. Auch das ist kein neues Thema. Das Gleiche gilt fürs Rauchen, die Idee, mit 80 zum Rauchen anzufangen stammt von Karl Merkatz und ich fand sie toll. Jetzt, wo es verboten ist, damit zu beginnen, das steht für seinen störrischen Charakter. Da ich ja selber ein Raucher bin, hat mir das Freude gemacht.

Wie haben Sie die Arbeit mit Karl Merkatz erlebt?
Kurt Ockermüller: Er ist natürlich die zentrale Figur, um die sich in der Serie alles gedreht hat und er ist ein grandioser Charakterschauspieler. Je älter er wird, umso besser wird er. Mit ihm verbindet mich seit langem eine Freundschaft. Er hat diese Figur damals geschaffen und auch darunter gelitten, dass er als private Person mit dieser Figur identifiziert wurde. Aber er hat so viel Menschliches eingebracht und ist natürlich auch älter geworden. Er ist nun 79 geworden und verfügt auch über eine gewisse Weisheit und Abgeklärtheit. Wir haben sehr viel im Vorfeld besprochen, wie wir die Rolle anlegen. Da ist es sehr hilfreich, dass wir uns sehr lange kennen und gut miteinander können. Er ist kein unkomplizierter Mensch, ich habe früher auch schwierige Situationen mit ihm erlebt, aber er ist auch ruhiger geworden. Er ist immer für die Sache da und er ist wohl einer der ganz großen lebenden Volksschauspieler und ein Menschendarsteller hier in Österreich. Karl Merkatz ist jemand, der sehr viel selbst einbringt, es war für ihn auch nicht einfach und er hat in gewissen Momenten im Film bewiesen, wie stark er ist.

Der Einstieg, mit dem Bagger, der quasi aus dem Nichts auftaucht und die Gartenzwerge niederwalzt und die Idylle zerstört, hat ja beinahe etwas Surrealistisches an sich.
Kurt Ockermüller: Es ist die direkte logische Folge vom Ende der Fernsehserie. Mundl bekommt zum 50. Geburtstag einen Schrebergarten und bei der Feier im Gasthaus bekommt er von jedem Familienmitglied einen Gartenzwerg. Das schien mir ein schöner Ansatzpunkt zu sein, dreißig Jahre später ? er ist längst in Pension und hat sich in den Schrebergarten zurückgezogen. Der Garten ist seine neue kleine Welt geworden. Der Film musste mit einem Hammer beginnen und gleichzeitig ist es ein Augenzwinkern auf seine Schrebergartenmentalität. Die Gartenzwerge sind quasi die Ersatzfamilie, die alle einen Namen haben,  denn die Kinder und Enkel kommen nicht mehr, außer zum Pflichtbesuch bei Oma und Opa.

Wie lange haben die Dreharbeiten gedauert?
Kurt Ockermüller: Wir hatten 35 Drehtage, das ist für einen Kinofilm nicht sehr viel, unser Budget lag bei 2,5 Mio Euro. Damit kann man nicht wirklich weit springen - wir haben ja auf Film gedreht, auch wenn es kein Ausstattungsschinken ist, so kostet doch alles etwas. Die kurze Drehzeit war durchs Budget vorgegeben. Technisch und logistisch ist in den letzten Jahrzehnten vieles einfacher und schneller geworden, aber auch anspruchsvoller. Dadurch dass die Erwartungen von den amerikanischen Großproduktionen bestimmt sind, muss man versuchen, irgendwie mitzuhalten. Ohne vom Inhalt zu sprechen, ist ein formaler und optischer Anspruch einfach da. Es waren sehr anstrengende zwei Monate, vor allem war es zu Beginn der Dreharbeiten im April noch erbärmlich kalt. Manchen Bildern merkt man es fast an, weil ich noch weiß, wie sie gefroren haben. Die Planung seitens der Produktion war sehr gut und die mediale Begleitung auch. Und letztendlich haben wir letzte Woche offiziell das Goldene Ticket für mehr als 300.000 Kinobesucher verliehen bekommen. Das ist wirklich sehr schön.

Gibt es schon Gedanken über eine weitere Kinogeschichte aus dem Hause Sackbauer?
Kurt Ockermüller: Natürlich gibt es die, wir wollen aber nichts überstürzen. Der Film ist so angelegt, dass er bewusst nicht alles zu Ende erzählt hat. Themen und Ideen gäbe es genug für eine Fortsetzung. Je mehr ich darüber nachdenke, wird mir natürlich auch bewusst, dass es auch sehr gefährlich ist, einen Nachzieher oder eine Fortsetzung zu machen. Weil wir die ohnehin schon große Erwartungshaltung noch einmal überbieten müsste. Da den richtigen Weg zu finden, ist nicht einfach. Wir haben aber schon mal sehr konkrete Ideen und Gedanken gewälzt, mal sehen. Es gibt zwei Meinungen - jene, die sagen, sofort nachschießen, andere, die meinen, es wäre besser zu warten. Dann kann es natürlich zu einem biologischen Problem werden. Das muss man leider sagen. Stoffe, Themen, Ideen gäbe es genug. Es wird eifrig nachgedacht.

Interview: Karin Schiefer
2009