«Mit meinen Schauspielern spreche ich selten direkt, vielmehr indem ich ihnen in der Zeit der Vorbereitung Geschichten erzähle.
Ich schreibe auch oft Szenen kurz vor dem Dreh wieder um. Leider kommt mir das Beste immer erst im letzten Moment in den Sinn.
Mit den Schauspielern spreche ich über mehrere Dinge oder sagen wir lieber ich deponiere Zeitbomben. Ich erzähle eine Geschichte
mit der Hoffnung, dass sie während des Drehs explodieren wird.» Regisseur Raoúl Ruiz über seine Interpretationen zu Klimt und seiner Epoche.
Dieter Pochlatko hatte einen vagen Drehbuchentwurf zu Klimt, mit dem er Sie in Paris kontaktiert hat. War es schwierig für
ihn, Sie zu überzeugen?
RAOÚL RUIZ: Nein, es war von Anfang an eine faszinierende Geschichte, weil Klimt eine faszinierende Persönlichkeit ist und - weil Wien
und ich - auch eine alte Geschichte ist, wenn auch indirekt. Das Drehbuch, das Dieter Pochlatko hatte, war von einem und für
einen anderen Regisseur. Ich interessierte mich eher für den phantastischen und irreellen Aspekt von Wien, man könnte auch
sagen, den schnitzler'schen Aspekt. Das Wien, das ich kenne. Wien hat nicht nur viel mit mir, sondern auch mit vielen Leuten
meines Landes Chile zu tun. Es gab im letzten Jahrhundert zwei Kriege und die Leute, die etwas gegen den Krieg hatten, haben
sich auf eine sehr weite Reise gemacht. Sehr weit, das hieß z.B. mein Land. Es gab eine Menge Österreicher, Serben, Kroaten,
Ungarn, Polen die diesen nicht enden wollenden Kriegen entkommen wollten. Man nannte sie Österreicher, weil sie den Reisepass
des Habsburgerreiches hatten. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, kamen Juden, Pazifisten, viele Künstler. Ich war damals noch
zu klein, ich war erst vier zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Aber es gab darunter Leute, die geblieben sind, Universitätsprofessoren
z.B., die mich indirekt an Wien teilhaben ließen. Dann war da natürlich Hollywoods Sicht auf Wien durch Max Ophüls zum Beispiel.
Und es gab die Lektüre meiner Eltern, sie lasen viel Zweig, Schnitzler - wie Sie wissen war Der Reigen ein weltweiter Erfolg. Es gab diesen Mythos Wien dank Vicki Baum und Grand Hôtel. Das waren sozusagen meine Schulen. Und es gab auch eine ganz konkrete Sache: es gab Wiener, die Wiener Kaffeehäuser organisiert
haben. Valparaiso war ein sehr kosmopolitisches Zentrum, es gab dort drei davon. Eines vom schönsten, das ich gemacht habe,
als ich mit Klimt begonnen habe - ich bin nach Valparaiso zurückgekehrt, um die Reste des kulturellen Lebens Chiles der
fünfziger und sechziger Jahre im Mantel des Wienerischen wieder zu finden. Die jungen Leute, die im Café über Philosophie
diskutierten, das waren meine Freunde. Ich vermische diese Dinge einfach und schaffe Brücken, damit es an Emotionen gewinnt.
Wenn Sie von einer Dimension Schnitzler in Ihrem Film sprechen, worin besteht diese?
RAOÚL RUIZ: Ich war auf der Suche nach Verbindungen, die mir einen Zugang zu Wien verschafft. Ich fand sie zunächst in den Geschichten
Schnitzlers, die so ganz eigenartig sind - zwischen Phantasie, Phantasmagorie und Psychoanalyse. Es ist so eine Mischung,
bei der es sehr schwierig ist, die wirklichen Geister und Phantasiebilder zu erkennen. Ich hatte schon lange zuvor, bereits
in Chile ein konkretes Projekt, das in Wien spielte, das aber von Kubrick realisiert wurde Traumnovelle. Diese Mischung aus
Psychoanalyse und Phantastischem faszinierte mich ich komme aus einem Land, wo das Phantastische große Bedeutung hat,
es gibt dort viele Geister, Erscheinungen. Am Anfang war es vor allem Schnitzler, dann bin ich auf andere gekommen. Was das
Besondere des Alltagslebens in Wien betrifft v.a. Joseph Roth, weiters Polgar, Musil, die ich kannte und natürlich
wieder Stefan Zweig. Schnitzler hat eine Theaterstück geschrieben, das Komödie der Verführungen heißt und es gibt darin einen
Maler, der Klimt ist. Er ist keine Karikatur, aber er ist als mondäner Maler beschrieben, der seine Zeit damit verbringt,
den verschiedenen Damen zu sagen, dass ihr Bild noch nicht fertig ist. Das war ein wenig die Sichtweise, die Schnitzler von
Klimt hatte, auch wenn ich glaube, dass sie einander nie begegnet sind.
Kann man dann sagen, dass es sich um einen Film handelt, der sich klarerweise von der Epoche, in der er spielt, aber auch
vom Werk Klimts - seinen Allegorien, seiner symbolhaften Malerei inspirieren ließ.
RAOÚL RUIZ: Auf jeden Fall. Ein Gesichtspunkt, der für einen Filmemacher sehr interessant sein kann, ist sein Interesse für die Flachheit
des Hintergrundes. Es gibt keine Tiefe in Klimts Malerei. Wenn man etwas machen will, das ihm in visueller Hinsicht nahe kommt,
dann geht das mit einem bestimmten Typ von Objektiv oder man bringt, was ich gemacht habe, den Sethintergrund in Bewegung.
Der Prozess der Inszenierung wird zu einem Prozess der Verflachung. Es betraf also die Verflachung einerseits und dann auch
das Gold und die extremen Posen.
Ein Begriff, der im Bezug auf den Film immer wieder fällt, ist der des Walzers, der nicht in musikalischer Hinsicht eine Rolle
spielt. Wie ist er zu verstehen?
RAOÚL RUIZ: Nein es geht um den visuellen. Die Kamera hat sehr viele 360-Grad-Einstellungen gemacht, als würde die Kamera Walzer tanzen.
Ich verdanke sehr viel Max Ophüls, der darin ein Meister ist. Mit meinem Kameramann Ricardo Aronovich war Klimt erst die zweite
Zusammenarbeit, wir kennen uns aber schon lange. Er hat eine Art, mit Licht umzugehen, die mir ideal für diesen Film erschien.
Wir haben schon den Proust-Film Le temps retrouvé gemeinsam gemacht, ihm gelingt es mit seiner Licht- und Laborarbeit, einen Effekt von alten Fotos zu erzielen, ohne dass
es zu aggressiv ist. Es bedarf eines bestimmten Prozesses im Labor und der Verwendung einer gewissen Art von Licht, die der
Beleuchtung der damaligen Epoche entspricht, der Beleuchtung mit Kerzen oder mit Gas. Sie ist subtil, aber erzeugt keine Kontraste.
So wie es hier ist, ist es für diese Art von Film ideal.
Es kommt im Film zu einer Begegnung zwischen Meliès und Klimt, die sehr wahrscheinlich nicht statt gefunden hat. Spielen Sie
damit auf die Entstehung des Kinos, auf die Möglichkeit des Spiels zwischen Illusion und Wirklichkeit an?
RAOÚL RUIZ: Ganz genau. Meliès steht für die Künstlichkeit, Klimt auch. Man hat sie ihnen beiden vorgeworfen. Meliès vertritt im Vergleich
zu den Brüdern Lumière eine konträre Richtung, die Lumières stehen für die Realität, in ihrer Nachfolge stehen Filmemacher
für ein bestimmtes realistisches französisches Kino und das geht bis zum Neorealismus und zum realistischen amerikanischen
Kino. Meliès steht für alle Kunstgriffe, ich zähle mich heute zu den Erben von Meliès. Dauerhaftigkeit mit der Künstlichkeit
zu schaffen, wo alles Fälschung ist.
Klimt scheint selbst ein Gefangener der Illusion zu sein.
RAOÚL RUIZ: Ja und das ist erstaunlich, denn dahinter steckt ein Widerspruch. Klimt ist ein Mann der Arbeiterklasse, ein Handwerker, der
die Haltung der Arbeiter mag, der zu seiner Herkunft als Mann aus dem Volk klar und deutlich steht, was ihn nicht daran hindert,
sehr raffinierte und feinsinnige Dinge zu entwerfen. AFN: Ein Bild, das immer wieder kehrt, sind der Schnee, die Schneeflocken,
die vom Himmel fallen. Raoúl Ruiz: Der Schnee hat per definitionem einen märchenhaften Charakter und es gibt eine Art von
Schnee, die beinahe einen pointilistischen Effekt erzielt. Für mich war er immer besonders zauberhaft, weil ich ihn sehr spät
entdeckt habe, bei mir zu Hause hat es keinen Schnee gegeben. Der Schnee repräsentiert das Zauberhafte, aber auch das, was
der Traumwelt angehört.
Sie haben schon mehrmals mit John Malkovich zusammengearbeitet. Was schätzen Sie an ihm als Schauspieler?
RAOÚL RUIZ: Ich glaube es war das dritte Mal. Als ich Fotos von Klimt gesehen habe, hat er für mich etwas wie ein Unbehagen ausgestrahlt,
ein Gefühl, als würde er lieber anderswo sein und gleichzeitig hatte er ein unheimliches Gespür dafür, sich am optimalen Ort
für das Foto zu platzieren. Dieser Aspekt hat uns an John Malkovich denken lassen und es stimmt, sie sehen einander ähnlich,
weniger vom Gesicht als vielmehr vom Körper her. Malkovich ist ein Schauspieler, der sehr stark den Aspekt des Geheimnisvollen
vermitteln kann. Klimt war, nach den Anekdoten, die man mir so erzählt hat, jemand, der diskret war und sich nicht sehr stark
bemerkbar gemacht hat, er sprach nicht viel, aber wenn er sprach, dann sprach er zuviel. Er war ruhig, aber er konnte auch
ausrasten.
Wie bereiten Sie Ihre Schauspieler auf die Rollen vor?
RAOÚL RUIZ: Mit meinen Schauspielern spreche ich selten direkt, vielmehr, indem ich ihnen in der Zeit der Vorbereitung Geschichten erzähle.
Ich schreibe auch oft die Szenen kurz vor dem Dreh wieder um. Leider kommt mir das Beste immer erst im letzten Moment in den
Sinn. Mit den Schauspielern spreche ich über mehrere Dinge oder sagen wir lieber, ich deponiere Zeitbomben. Ich erzähle eine
Geschichte mit der Hoffnung, dass sie während des Drehs explodieren wird. Das können Geschichten sein, die nichts mit dem
Film zu tun haben, da kann es um Quantenphysik gehen oder auch um nordamerikanische Indianer. Wenn der Schauspieler Phantasie
hat, dann taucht es auf. Die Schauspieler sagen manchmal zu mir - "Gib mir ein paar Elemente, damit ich mir selber Geschichten
erzählen kann". Das sind Schauspieler, die eine "psychologische Geste" einsetzen. D.h. wo ein, zwei Bewegungen des Schauspielers
zu verstehen geben, was sich im Kopf abspielt. Es ist nicht so, dass man, weil man ehrlich in seinen Gefühlen ist, sie auch
vermittelt. Manchmal ist das Gegenteil der Fall. Ich mache nicht sehr viele Einstellungen, dazu habe ich keine Zeit. Meine
Kamerafahrten sind lang und kompliziert, sie aufzustellen. Deshalb ist es mir lieber, die Schauspieler vorher schon vorzubereiten,
das bedeutet, ihnen ein Gefühl der Entspanntheit zu vermitteln und ihnen Elemente zu geben, die es ihnen ermöglichen, das
Innenleben ihrer Figuren entsprechend auszustatten.
Sie sagten bei der Pressekonferenz, dass Sie beim Dreh von Klimt mit einem der besten Teams zu tun hatten, mit dem Sie je
gearbeitet haben. In welcher Hinsicht?
RAOÚL RUIZ: Es war beeindruckend. Technisch und auch was die inhaltliche Aufmerksamkeit angeht. Ich werde nichts Schlechtes über andere
Teams sagen, aber in anderen Teams geht es oft um die Dinge, die zu tun sind, die rein technischen Fragen, so als ob der Film
sie nichts angehen würde, hier fühlten sich die Techniker auch von künstlerischen Belangen betroffen. Ich werde Ihnen ein
Beispiel erzählen: ich habe eine Szene gedreht, die nur in der Langversion zu sehen ist, wo man die Ausstellung der Kannibalen
sieht, die man in Käfige steckte und bei der Weltausstellung 1900 ausstellte. Man sieht im Film Klimt, wie er sie ansieht,
und da sagte einer der Techniker zu meinem Assistenten: "So hat der Zweite Weltkrieg begonnen." Der hat sich sehr viele Gedanken
darüber gemacht, was da entstand. Das gibt es nicht überall.
Sie können auf eine unglaublich große Filmographie verweisen? Wie erklärt Sie sich diese unglaubliche Produktivität?
RAOÚL RUIZ: Ich liebe es, schlicht und einfach zu filmen, das ist alles. Ich arbeite die ganze Zeit. Ich bin es nicht, es ist mein Kopf.
Interview: Karin Schiefer
2006