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Jessica Hausner dreht HOTEL

 

Auf dem Speiseplan steht gebackener Fisch mit Erdäpfelsalat. Acht Leute – eine Mischung aus alteingesessenen und jungen Kellnern, Küchen- und Zimmerangestellten – sitzen am Personaltisch. Kauend, schluckend, den Blick auf den Teller gerichtet, praktizieren sie das routinierte Schweigen beim täglichen Gemeinschaftsmahl, das nur vom unrhythmischen Klirren der Messer und Gabeln am Tellerporzellan untermalt ist. Die Neue tritt auf, sucht sich einen Platz und wählt prompt den falschen Stuhl, "Da sitzt schon wer", wimmelt sie der Kellner barsch ab.

 

Doch Irene, Hauptdarstellerin in Jessica Hausners neuem Spielfilm Hotel, ist noch guter Dinge und erst am Anfang ihrer Versuche, im Team ihres neuen Arbeitsplatzes Fuß zu fassen. Sie stellt sich vor und senkt den Blick, nach einer kurzen Pause ergreift die misslaunige Frau Erika am Tischende das Wort, präsentiert so knapp wie freudlos sich selbst und ihre Tischnachbarn, um sich sogleich wieder unverständlich maulend in ihren Teller zu vertiefen. Die Szene dauert etwas mehr als eine Minute, aufgelöst hatte sie die Regisseurin ursprünglich in acht Einstellungen, letztendlich bleibt es bei sechs. Worte fallen kaum, um die geht es auch nicht vordergründig. Akribisch überwacht die Regisseurin Blicke, Pausen, Timing und Rhythmus im Zusammenspiel der Tischgenossen und legt mit Sekundenpräzision diese minimalen Komponenten einer Szene fest. Es kann schon zwölf oder fünfzehn Takes brauchen, bis sie sich zufrieden gibt und sicher ist, dass das nötige Material für den Schnitt vorhanden ist.

 

"Es gibt bei mir", so Jessica Hausner, "selten diesen Aha-Moment, wo man mit einer Szene fertig ist und sagen kann, das ist jetzt gut geworden. Was mich interessiert ist Filmsprache und ich möchte das, was ich zu erzählen habe, unbedingt mit filmischen Mitteln erzählen. Deshalb ist so vieles in Bruchstücken, in Blicken, Gesten, Schritten, Subjektiven gedreht und wird erst im Schnitt zu einem Ganzen werden." Mysteriöses Verschwinden Mit Hotel hat Jessica Hausner für ihren zweiten Langfilm das Genre des Thrillers ausgereizt: Irene tritt einen neuen Job als Rezeptionistin in einem gediegenen, etwas entlegenen Hotel an. Die Belegschaft bereitet ihr beim Jobantritt nicht gerade einen herzlichen Empfang, doch optimistisch und hochmotiviert versucht sie sich, auf ihre neue Aufgabe zu konzentrieren. Nach und nach häufen sich an diesem feindseligen Ort kleinste unerklärliche Vorfälle, die sich zum Teil mit dem mysteriösen Verschwinden von Irenes Vorgängerin verknüpfen, Irene selbst gerät in einen scheinbar unentrinnbaren Sog einer undefinierbaren Verschwörung. "Ich hatte", erklärt die Filmemacherin, "riesige Lust eine alptraumhafte Situation zu erzählen, ohne dass man die Ursache dafür einem konkreten Umstand zuschreiben kann. Das Genre des Thrillers habe ich benutzt, um behaupten zu können, es gibt etwas Schreckliches, das im Zuschauer eine Ahnung heraufbeschwört, es könnte da möglicherweise noch etwas kommen. Ich fand es einfach spannend, zu sagen, ich mache einen Genrefilm, erzähle aber auf realistische Weise und das Monster ist gar nicht da."

 

Ein Film also, der weniger mit handfester Aktion als vielmehr mit der suggestiven Kraft der erzeugten Atmosphären den Zuschauer in seinen Bann ziehen soll. Umso größer war die Aufgabenstellung an Regisseurin und Kameramann Martin Gschlacht bereits vor dem Dreh. Einerseits galt es, Lösungen für die drei Traumsequenzen im Film zu finden, die Hausner ästhetisch nicht explizit als Traumbilder erkennbar machen wollte, und andererseits anhand des Storyboards, die Kameraperspektiven mit den Bewegungen der Darsteller abzustimmen, die in eine Choreografie kleinster Gesten zerlegt sind. Endlose Verstrickungen Spätestens im Sommer nächsten Jahres wird das Endprodukt zu sehen sein, das Material für den Schnitt ist seit Ende November abgedreht. Knapp acht Wochen arbeitete das Team in Gösing, Reichenau und Gloggnitz an der Realisierung der Atmosphären im und rund ums Hotel, musste sich für die Außenaufnahmen Ende Oktober vom überraschenden Wintereinbruch gehörig stören lassen und nach einem Negativschaden nochmals an einen Ort des Geschehens zurückkehren, der bereits abgebaut war. Regisseurin Jessica Hausner sah's positiv, denn immerhin bot der Nachdreh die Gelegenheit, eine Szene nochmals zu überdenken und noch besser zu drehen.

 

Unerschöpfliche Energien legte auch Hauptdarstellerin Franzsika Weiß im Laufe dieser acht Wochen an den Tag. Kein Drehtag, am dem nicht ihr Name auf dem Drehplan zu finden war, ob sie an der Rezeption oder in der Disco vor der Kamera stand oder im weißen Blüschen ihrer Hoteluniform in der frühwinterlichen Nacht vor dem Lieferanteneingang des Hotels eine Zigarette zu rauchen hatte. Die Aufmerksamkeit der Regisseurin hatte Franziska Weiß bereits in Ulrich Seidls Hundstage erregt, wo sie in der Episode des jungen Paares spielte. Ein Casting für ein anderes Projekt gab schließlich den Ausschlag. "Sie hat", so Jessica Hausner, "für dieses zielstrebige und aufgeschlossene Wesen unheimlich gut gepasst, diese junge Frau, die da verstrickt wird und so einen Willen aufbringt, sich noch einmal rauszuarbeiten." Die Arbeit mit den Schauspielern, teils Profis teils Laien, konzentrierte sich weniger auf ausführliches Proben im Vorfeld als vielmehr auf die Feinarbeit direkt am Set.

 

"Ich bereite mich auf einen Drehtag so vor" erläutert die Regisseurin ihre Arbeitsweise, "dass ich mich am Vorabend darauf konzentriere, welchen Effekt, welches Gefühl sollen die für den nächsten Tag geplanten Szenen bewirken. Ich schaue mir dann bei der Probe zunächst an, was möglich ist und was die Schauspieler anbieten und wenn diese Basis vorhanden ist, dann bin ich sehr genau und versuche es, ganz präzise hinzukriegen, was ausgedrückt werden soll". Filmen und Zaubern Hotel ist nach Lovely Rita Jessica Hausners zweiter Langfilm, den sie als Regisseurin und Produzentin für die von ihr mitgetragene Produktionsfirma coop99 realisiert hat. Ob die Außenseiterin Rita, die sich bewusst an den Rand stellt, oder die Außenseiterin Irene, die sich um Integration bemüht, aber aus mysteriösen Umständen keine Chance bekommt und sogar das Gegenteil bewirkt – beide Protagonistinnen stehen für das Thema, um das sich die bisherige Arbeit der Filmemacherin dreht: die vergeblichen Versuche nach Zusammengehörigkeit und Verbindung zu anderen, die helfen, über die ultimative Einsamkeit des Daseins hinwegzutrösten, und sich letztendlich als Täuschung erweisen. Die Dreherfahrungen von Lovely Rita erwiesen sich als mehr als hilfreich. "Ich war", so die Regisseurin, "viel weniger blauäugig und dachte schon vielmehr an den Schnitt. Ich hab viele Dinge vorweggenommen, die uns nachher ärgern könnten, was das Ganze für mich viel anstrengender machte. Es wird jetzt im Schnitt erst entstehen, was beim Dreh so als Stückwerk gedreht ist und ich finde dieses Aufeinandertreffen von Bildern total faszinierend. Das ist wie Zauberei und ich freue mich schon aufs Zaubern".

Karin Schiefer (2004)