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HEIMKEHR DER JÄGER von Michael Kreihsl

 

Es geht ganz unauffällig los. "Wie es so ist im Leben", umreißt der Filmemacher Michael Kreihsl seine neueste im Berliner Forum präsentierten Arbeit Heimkehr der Jäger, "man kann da und dort unbemerkt seine Robin Hood- oder Don Quijote- Geschichten machen. Irgendwann aber werden sie zu einem Delikt und irgendwann muss man auch mit den Konsequenzen rechnen". Kreihsls Protagonist ist um die vierzig, ein unauffälliger Zeitgenosse von etwas trauriger Gestalt, höflich, gewissenhaft und offensichtlich ein liebender Vater. Warum seine Tochter mit allen Mitteln von ihm fern gehalten wird, warum die Stimme der Ex-Frau durch Türen und Telefonhörer gar so aggressiv auf ihn klingt, bleibt offen. Eines wird jedoch in Michael Kreihsls Tragikomödie Heimkehr der Jäger relativ rasch klar: langsam, aber sicher braut sich hier eine Verschwörung gegen den einsamen Herren zusammen: "Würden Sie bitte den Motor abstellen?" fragt Franz den Autobuslenker, der bei laufendem Motor auf dem Parkplatz wartet. Der Lenker wendet sich ab und schließt kommentarlos die Bustür. Die junge Kellnerin im Café fragt er nach ihrem Namen. Das erste Mal antwortet sie "25", als Franz die Frage wiederholt, ruft sie quer durchs ganze Lokal nach ihrem Chef, quasi um Hilfe gegen die vermeintliche Aggression.

Franz ist Kopist von alten Gemälden und arbeitet soeben im Kunsthistorischen Museum an einem Stillleben. Regelmäßig geht er ins kleine Obstgeschäft um die Ecke, um sich frische Früchte als Vorlage zu holen. Eines Morgens sind die Rollbalken herunten, das Geschäft für immer geschlossen. Lappalie reiht sich an Lappalie. Franz nimmt schweigend den leise voranschreitenden Verlust seiner vertrauten Umwelt hin. Eines Tages wird es ihm zuviel. Es ist nicht so, dass er plötzlich total ausrasten würde. Es kommt so nach und nach. Eine Reaktion auf die Plakatwand vor seinem Fenster, eine kleine Kollision mit dem Autobus, eine kurze Entgleisung an der Supermarktkasse. Zunächst bleibt alles ungeahndet. Doch letzten Endes taumelt er geradewegs in die Falle, die er sich sorgsam selber gelegt hat. Selbstzerstörungstrip eines Malers Schon in Michael Kreihsls erstem Kinospielfilm Charms Zwischenfälle, einem der Publikumsfavoriten der Berliner Filmfestspiele 1996, ging es um das Verschwinden einer Person, die, zu sensibel, um der Indifferenz und der Aggression der Umwelt standzuhalten, sich für sukzessiven Rückzug aus der Welt entscheidet.

Der Selbstzerstörungstrip des Kopisten Franz in Heimkehr der Jäger ist ein subtiler, nach innen gekehrter. Stumm lässt er mit sich geschehen, wo es längst nach Selbstschutz und einer spontanen Reaktion ruft, völlig unmotiviert lässt er an anderer Stelle seinen Frustrationen freien Lauf. Dort, wo ihm der Rettungsanker in Person der engelhaften Mathilde zugeworfen wird, ist er unfähig sich Halt zu verschaffen, dort, wo gegen die raschen Veränderungen seiner unmittelbaren Infrastruktur nichts zu machen ist, lässt er sich den Boden unter den Füßen wegziehen. "Der Franz ist keineswegs pathologisch", erläutert Michael Kreihsl seinen Protagonisten, "er ist ein ganz normaler Mensch, der durch leichte Wellen ins Schlingen gerät und als sensiblerer Mensch besonders gefährdet ist, eine Kurzschlusshandlung zu begehen. Ich zeige dem Zuschauer fragmentarisch Aspekte eines möglichen Lebensbogens, der vor unseren Augen abläuft und Assoziationen im Kopf des Betrachters auslöst.

Ich möchte dem Publikum eine Art Schipiste eröffnen, herunterfahren muss er jedoch selber, ich fahr nicht für ihn". Als thematischen Hintergrund dieser Etappen eines Amoklaufs setzt Kreihsl die Malerei: Das reglose Abbild der Wirklichkeit als Kontrapunkt zum bewegten Filmbild sowie zur galoppierenden Vereinnahmung der Umwelt durch Effizienzdenken und die allgegenwärtigen Gesetze des Marktes. Reproduktionen der Wirklichkeit Der Kopist als einer, der sich über Wochen mit einem Bild auseinandersetzt in einer Zeit, wo es keine Ruhe und kontemplative Haltung gegenüber dem Gemälden mehr gibt, treibt die Kontrastierung auf die Spitze. Das Stillleben, in der Malerei ein Symbol der Vergänglichkeit, das Franz während des ganzen Films in Arbeit hat, appelliert permanent an den schleichenden Werteverlust und das Schwinden von Lebensqualität . "Der Film kommt sehr bewusst", so Michael Kreihsl, "mit sehr wenigen Dialogen aus. Ich arbeite sehr stark mit dem Bild, genauer gesagt mit dem Abbild. Die Filmkamera, die die Wirklichkeit reproduziert ist ja fast wie ein Pinsel, der diesen Film entstehen lässt".

Die Filmkamera, die z.B. ein Portrait von Rembrandt in Laufbilder umsetzt, Franz, der seinen Alltag mit der Videokamera für seine Tochter, die er nicht besuchen darf, aufnimmt, der Kopist, der nach minutiöser Arbeit im Museum das Original auf den Farbkopierer legt und auf Knopfdruck in Sekundenschnelle Duplikate erzeugt, weisen immer wieder auf eine ironisierende Selbstreflexion zum visuellen Ausdruck und zur Reproduktion der Wirklichkeit hin. Als Franz inmitten der eindrucksvoll dem Gemälde nachgestellten Gesellschaft der Bauernhochzeit des niederländischen Meisters Pieter Breughel d. Ä. sitzt und um Feuer bittet, entsteht der Eindruck als würde er Sekunden später im letzten seiner "Racheakte" das zu Realität gewordene Gemälde den Flammen preisgeben, seine Tätigkeit und damit seine Daseinsberechtigung endgültig ad absurdum führen. Pieter Breughel, dessen detailreiche Malerei, Michael Kreihsl schon bei den ersten Museumsbesuchen seiner Kindheit tief beeindruckte, bot ihm in mehrfacher Hinsicht eine Quelle der Inspiration. Zunächst durch den Umstand, dass die Schlüsselwerke dieses Malers im Wiener Kunsthistorischen Museum ausgestellt sind und Franz, den er als zutiefst im Dreieck Wien-Prag-Budapest verwurzelten Charakter entwarf, somit in einem authentischen Rahmen agiert. Darüberhinaus ist Breughel für den Regisseur auch ein Spezialist in der Umsetzung von Licht und Atmosphäre, die besonders im Winterbild Jäger im Schnee (auf Deutsch auch lange Zeit Heimkehr der Jäger betitelt) eine unerreichte Meisterschaft erlangt. "Die Malerei", so Kreihsl, "hat mich schon seit jeher interessiert, weil man non-verbal etwas vermitteln kann, ohne dass man logisch etwas erfassen lernen muss. Sie ist spontan, emotional wie der Film". Überschneidungen zwischen den verschiedenen Sparten der Kunst ziehen sich wie ein Grundthema durch das gesamte kreative Schaffen des vielseitig begabten Künstlers.

Der 41-jährige Filmemacher wandte sich zunächst der bildenden Kunst zu, studierte Kunstgeschichte und absolvierte eine Ausbildung zum Restaurator. Kurz vor der Vertragsunterzeichnung mit einem amerikanischen Museum wurde ihm jedoch bewusst, dass er sich damit auf eine Art der Ausdrucksweise beschränken würde. Es folgte das Studium der Regie an der Wiener Filmakademie sowie in New York, seither inszeniert der in Wien lebende Regisseur nicht nur hinter der Kamera, sondern auch immer wieder für die Bühne. Erstmals Aufsehen erregte er mit seiner unkonventionellen Verfilmung der Mozart-Oper Idomeneo (1989/90), erhielt 1996 in Berlin den Caligari-Preis für Charms Zwischenfälle, seine filmische Umsetzung der surrealen Poesie des russischen Dichters Daniil Charms und firmierte auch am Wiener Volkstheater für eine preisgekrönte Inszenierung von Patrick Marbers Hautnah sowie für mehrere Musikdokumentationen für das Fernsehen. Täter oder Opfer Seine ganz eigene Filmsprache entwickelte der Regisseur bereits für Charms Zwischenfälle, indem er sich angesichts der seelischen Abgründe, die sich seinen Protagonisten auftun, stets über Absurdität und Groteske in die Heiterkeit flüchtet. "Ich liebe es", erklärt der Regisseur, "wenn die furchtbarsten Situationen eine Art Brechung drinnen haben". So beginnt Franz gemeinsam mit dem Museumswärter, den er kurz zuvor mit Gewalt gezwungen hat, die Waffenvitrine aufzusperren, mit Ernst und Eifer zu gustieren, welcher Helm wohl am besten dazupassen könnte. Michael Kreihsl: "Ich glaube, dass sich die Wirklichkeit oft durch die Überhöhung der Realität besser darstellen lässt. Das hat auch etwas mit unserer Wiener Mentalität , dieser Mischung aus Boshaftigkeit und Selbstironie, zu tun". So tief wienerisch die Wurzeln seines Humors auch sein mögen, als Darsteller des Franz stand für Kreihsl seit langem einer der renommiertesten deutschen Schauspieler – Ulrich Tukur – , an oberster Stelle in der Wunschliste, für den er das Projekt auch mehrmals verschob, um ihn in der Rolle des Verzweiflungstäters zu haben. "Ich wollte unbedingt den Ulrich, weil der kein Opfer ist", resümiert der Regisseur, "der ist eher ein Tätertypus. Der Film ist auf eine Person hingeschnitten, die Ausstrahlung hat und am Anfang kein Loser ist. So einem Typen zuzuschauen, wie er sich selber in den Untergang treibt, das ist die spannendere Version".

Karin Schiefer (2000)