«Es ist immer alles möglich, das ist es, was die Donau für mich ausdrückt: Begegnungen, Entwicklungen, Erinnerungen, die plötzlich
unerwartet aus den Tiefen hervor schießen. Die Donau mit ihrem Donauwasser, mit allen ihren Schichten und Ablagerungen, die
vergegenwärtigen, was die Donau durch Jahrhunderte, die sie durchflossen hat, gesehen hat, das macht sie zu einer Metapher
für das Leben in diesem Teil von Europa.»
Eine Reise entlang der Donau bedeutet heute eine Reise in die ferne und nahe Vergangenheit und auch in die Zukunft von Mittel-
und Osteuropa. Welche Themen standen am Ausgangspunkt des Drehbuchs?
GORAN REBIC: Die Donau ist ein sehr komplexes Lebewesen und beinhaltet viele Schichten - geschichtliche, politische, soziale. Die
Donau ist auch die Verbindung in die östliche Hälfte Europas und war auch Jahrhunderte lang das Tor zum Orient, wo Abendland
und Morgenland aufeinander trafen. Schon allein aus diesem Umstand heraus war ich bemüht, eine Form zu finden, die sich an
eine Art des Geschichtenerzählens anlehnt, die mehr in Richtung 1001 Nacht tendiert. Und ich hatte eine Art Roadmovie auf
einem Schiff im Sinn, auf dem sich eine Schicksalsgemeinschaft bildet, die sich auf eine Suche begibt und Entscheidungen für
ihren Lebensweg trifft. All das bot die Donau für mich an, dazu kam mein persönliches Interesse, das sich durch alle meine
Arbeiten zieht, einen Blick in den Osten zu werfen und zu fragen, was geschieht da?
War es ein Projekt, das Sie über sehr lange Zeit entwickelten?
GORAN REBIC: Da die Donau beinahe 3000 Kilometer zurücklegt und dabei zehn Länder durchquert und klar war, dass ich kein Filmepos in mehreren
Teilen machen konnte, musste ich eine sehr schwierige Entscheidung über die Figuren treffen, worauf sie sich beziehen. Meine
Filme haben sich meist mit den kriegerischen Auseinandersetzungen und deren Folgen im ehemaligen Jugoslawien beschäftigt.
Die "Donau" als Idee für ein Spielfilmprojekt gibt es schon seit 1993/94. Es war klar, dass, solange auf dem Territorium des
ehemaligen Jugoslawiens all diese Zerstörung passierte, das Projekt nicht realisiert werden konnte. Man hätte natürlich sagen
können, man klammert das Stück Donau von Kroatien bis Serbien aus, und tut so als ob. Dazu war ich aber inhaltlich und politisch
nicht bereit. Außerdem war die Donau für die freie Flussschifffahrt gesperrt. Es lagen noch Barrieren mit vertäuten Frachtkähnen
aus der Milosevic-Ära als auch zerstörte Brücken aus der Zeit des NATO-Bombardements im Wasser. Erst nach dem Umsturz und
dem Funktionieren der neuen Regierung wurde der Fluss freigeräumt und dann erst fiel der wirkliche Startschuss für die Realisierung
des Projekts Donau.
Die Figuren sind in gewisser Weise im Leben Gestrandete, was lässt sich zur Zusammensetzung dieser Gruppe und den einzelnen
Figuren sagen?
GORAN REBIC: Die Zusammensetzung erinnert an die der Arche Noah. Mir war wichtig, dass es ein deutsches Schiff ist, da der Ursprung der
Donau in Deutschland ist. Ich hab nach einem deutschen Kapitän gesucht, der auch altersmäßig eine Generation repräsentiert,
die eine Verbundenheit zum Osten hat, aber auch Angst, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Dann war mir wichtig,
dass es einen serbischen Protagonisten gibt, einen, der meinem Erleben nahe kam. Jemand, der zur Zeit des Krieges nicht dort
war, jemand, der geflohen war und auch bereit war, sein bisheriges Leben, die Familie zurückzulassen. Dann wollte ich einen
Protagonisten dieser verlorenen Generation des Ostens, der 20-bis 30-Jährigen, die in dem Alter, wo man bereit ist, die Welt
zu entdecken, aber durch den Umstand, dass sie im ärmeren, abgeschotteten Osten Europas geboren wurden, nicht diesen Zugang
haben. Das ist der Rumäne, der seit vielen Jahren vergeblich versucht, im Westen ohne Papiere Fuß zu fassen. Sein weiblicher,
westlicher Gegenpart ist die Figur des farbigen Mädchens, das von einem märchenhaften Vogel gewarnt und auf die Reise geführt,
in genau die andere Richtung aufbricht, nämlich Donau abwärts. Und schließlich brauchte es eine Figur, die den roten Faden
im Film darstellt, das ist Bruno, der Junge, der am Ende der Reise bei Kilometer Null steht. So wie sich die Donau aufbaut
und immer mächtiger und größer wird, so wird auch dieser Junge erwachsen. Er erfährt nach und nach, dass eigentlich gar nichts
so ist, wie es war. Wenn er bei Kilometer Null steht, wo sich das Meerwasser mit dem Donauwasser vermengt, dann ist das ein
Neubeginn, ein Reset. Wie sein Leben weiter gehen soll, ist offen. Das ist es, was die Donau für mich ausdrückt, es ist immer
alles möglich: Begegnungen, Entwicklungen, Erinnerungen, die plötzlich unerwartet aus den Tiefen hervor schießen. Die Donau
mit ihrem Donauwasser, mit allen ihren Schichten und Ablagerungen, die vergegenwärtigen, was die Donau durch Jahrhunderte,
die sie durchflossen hat, gesehen hat, das macht sie zu einer Metapher für das Leben in diesem Teil von Europa.
Der Cast ist sehr international, es wurden sehr viele gute Schauspieler gebraucht, es war sicherlich sehr aufwändig zu casten?
GORAN REBIC: Wir haben tatsächlich in jedem Land, das an der Geschichte beteiligt war, ein groß angelegtes Casting veranstaltet, u.a. in
Kiew, Budapest, Bukarest, in Belgrad, Sofia, Wien und Berlin. Manche Schauspieler kannte ich schon, wie Sonja Savic,
Nikolas Frau, mit der ich schon in The Punishment zusammengearbeitet habe, sie ist eine Kinolegende, hat aber all diese Jahre nicht gespielt. Otto Sander kannte ich nicht,
aber ich wollte ihn unbedingt kennenlernen, weil der die zwei Seiten der Figur für mich vereint hat, er war einerseits in
meiner Erinnerung der betrunkene Wehrmachtsoffizier in Das Boot und genau so der Engel in Wenders- Himmel über Berlin.
Mein Kapitän sollte hart und gebrochen zugleich sein, natürlich hing alles davon ab, welchen Jungen man ihm zur Seite stellt.
Es war Glück, dass das mit Robert Stadlober so gut geklappt hat. Spätestens als sich die beiden in Berlin bei einer Probe
gegenüberstanden, war es für mich klar - es ist wirklich glaubhaft, dass sie Vater und Sohn sein können. Für beide war es
genau so ein Abenteuer wie für uns und sie haben sich dem, ohne Wenn und Aber, bis zum Schluss ausgesetzt. Otto hat auch selbst
das Schiff gefahren, er hat ein Patent und fährt wirklich selber bei Regatten mit. Es fügte sich alles zusammen.
Das Thema Schuld ist ein Thema, das stark im Vordergrund steht?
GORAN REBIC: Ich lebe unweit der Donau und bin unweit der Donau in der Vojvodina geboren, wo ich aus einer serbischen Familie komme, die
zum Großteil im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurde die Rache ist wie eine Flutwelle über das Land gezogen und hat im
Gegenzug die Schwaben und Deutschsprachigen getroffen. Ich denke, dass viele dieser geschichtlichen Wunden tief in mir drinnen
sein müssen. Als Kind habe ich als Gastarbeiterkind die Migration und den Kontrast vom reichen, westlichen und dem armen,
damals sozialistischen Teil Europas erlebt. Als ich knapp über 20 war, begann der gesamte östliche Block zu zerbrechen, der
Zerfall des ehemaligen Jugoslawien und das Ausbrechen der Kriege und der Gewalt betraf mich besonders. All diese Geschichten
sind voller Schuld. Da die Donau auch diese Geschichten in sich trägt, war das ein Aspekt, von dem ich erzählen wollte.
Eine wichtige Rolle spielt der Off-Text, der sich mit der Symbolik des Flusses auseinander setzt. Welche dramaturgische Funktion
kommt diesem Text zu? Von wem stammen die Texte?
GORAN REBIC: Der Off-Text war nicht von Anfang an Teil des Drehbuches. Je weiter die Montage fortschritt, umso klarer wurde, dass man eine
Ebene benötigte, die ohne viel Aufwand die Struktur des Filmes deutlich macht. Der Film ist eine poetische Reise. Der Aspekt,
dass die Donau eine Hauptfigur ist, lief immer mit, und letztendlich ist eine Stimme der Donau daraus geworden, die mit der
Stimme von Eva Mattes auch genau das richtige Gefühl vermittelt. Geschrieben ist der Text teils von mir, teils von Ilse Aichinger.
Der zweite Block über die Erinnerung stammt von ihr. Das Anfangszitat "Der Unterschied zwischen Wasser und Fluss ist, dass
der Fluss eine Erinnerung hat" stammt von Heinrich Heine.
Fühlen Sie sich in Ihrer Erzählweise eher der Welt im Westen oder im Osten verbunden?
GORAN REBIC: Worüber ich in meiner Arbeit sehr oft nachdenke ist, dass ich in beiden Welten zu Hause bin und dass es zwei Dinge gibt, die
mich geprägt haben. Wenn ich an Donau denke, dann sind es sicherlich Filme aus dem ehemaligen Jugoslawien, von Petrovic und
Makavejev, aber auch das osteuropäische Kino generell, Kalatosov, Paradshanov, Güney... das mich in der Erzählform geprägt
hat, wo Dinge, sich oft nicht an eine Logik halten, sondern mehr durch Gefühle, Farben, Musik ausgedrückt werden. Natürlich
sind da Begriffe wie Orient und Okzident nicht weit hergeholt, denn schließlich war und ist die Donau eine Grenze zwischen
der christlichen und der orthodoxen bzw. früher islamischen Welt. Mit dem Vertrag von Versailles verschwand auch der Einfluss
des Sultans in Europa, mit dem Kraftwerksbau zwischen Rumänien und Jugoslawien verschwand die letzte türkische Niederlassung
nahe dem Eisernen Tor. Das ist europäische Geschichte. Der orthodoxe Osten ist sehr byzantinisch geprägt, auch ein europäisches
Gesicht, das verdeckt ist und manchmal zum Vorschein kommt und eine besondere Faszination für mich hat.
Es gibt in diesem Film auch einen märchenhaften Aspekt?
GORAN REBIC: Für mich ist die Donau vielmehr ein mythisches Element im Osten Europas, einer antiken Gottheit gleich, lenkt sie das Schicksal
von Menschen, wie es schon bei Jason und den Argonauten überliefert wurde. Hier in Österreich wird sie so nicht wahrgenommen
oder es ist wieder in Vergessenheit geraten - die Donau scheint überhaupt vergessen. Je weiter man Richtung Osten fährt,
desto mehr spürt man auch wie der Fluss Teil des täglichen Lebens ist, ob nun gefischt oder gebadet wird, man mit dem Boot
auf die andere Seite fährt, weil die Brücke so weit weg ist, man an ihren Ufern große Feste feiert oder alleine ins Wasser
schaut und über das eigene Leben nachdenkt.
Sich im Laufe der Dreharbeiten entlang eines Flusses zu bewegen war sicherlich eine ganz besondere Herausforderung. Wie war
diese Reise?
GORAN REBIC: Es kamen sehr viele Umstände zusammen, die diese Reise zu einem sprichwörtlichen Abenteuer von Anfang an machten. Es war im
Sommer 2002 die Jahrhundertflut, die uns zu allererst bedroht hat. Wären wir ein paar Tage später aufgebrochen, wäre das Filmprojekt
regelrecht ins Wasser gefallen. Wir haben die Flutwellen immer wieder gespürt, ab Ungarn ist die Donau weniger reguliert,
in der Vojvodina hat sich das dann verloren. Wären wir weiter oben gewesen, dann hätten wir nicht einmal die Brücken passieren
können, abgesehen davon, dass die Schifffahrt gefährlich gewesen wäre. Wir hatten erst ab dem Eisernen Tor ein Schiff, das
unsere Basis bildete, auf dem wir essen und schlafen konnten. D.h. durch Kroatien und Serbien mussten wir mit einem ganzen
Fuhrpark von Hotel zu Hotel uns vorwärts arbeiten, was für das gesamte Team sehr anstrengend und aufreibend war. Wir mussten
zahlreiche Grenzen überschreiten, was immer entsprechende administrative Prozeduren bedeutete. Und schließlich kam noch die
Dimension des Flusses als Naturgewalt hinzu. Ich bin heilfroh, dass wir all diese Nächte überlebt haben und die Donau niemanden
geschluckt hat. Wir haben gesehen, wozu die Donau fähig ist, dass da plötzlich zwei Meter hohe Wellen daher kommen, dass der
Wind so heftig bläst, dass man nicht an Land fahren kann, weil man nicht ankern kann und dass man dem auch auf einem großen
Schiff ausgeliefert ist. Der Film war so gedacht, dass er produktionsmäßig im Verlauf einer Reise passiert, d. h. die Dinge
mussten chronologisch gedreht werden. Ein Schiff hat eine gewisse Trägheit, ein Manöver ist nicht schnell getan, es geht alles
nicht einfach, sondern dauert ein Vielfaches von dem, was man dachte. Wir mussten stets reagieren und schauen, dass das in
diesen Parametern funktioniert, man konnte nicht einfach wieder nach zwei Tagen zurück und noch einmal drehen. Ich weiß, was
es für alle Beteiligten für Anstrengungen bedeutet hatte, aber ich weiß auch darum, wie sehr diese Reise, diese Begegnungen
mit all diesen Menschen, Städten und Ländern für viele einfach schön und einmalig gewesen ist.
Und es gibt nun rückblickend eine Reihe abenteuerlicher Geschichten rund um die Dreharbeiten, die glimpflich verlaufen sind.
GORAN REBIC: Ein serbischer Stuntman wäre fast in den Tod gesprungen, weil er sich selbst unterschätzt und wahrscheinlich etwas getrunken
hatte. Das hätte ihm, aber auch uns fast Kopf und Kragen kosten können. Die Hartnäckigkeit unseres Schweizer Produktionsleiters,
der gesagt hat, ohne die Taucher drehen wir nicht, hat dem das Leben gerettet. Eine andere Geschichte war zumindest für fünf
lange Tage eine Katastrophe. Nach den letzen Drehtagen und der Abschlussfeier ist das ganze Team per Bus zum Flughafen nach
Bukarest aufgebrochen um nach Wien zurückzufliegen. Ich blieb mit dem Kameramann, Jerzy Palacz, um die ganze Reise mit dem
Schiff retour für die Second Unit-Shots, Landschaften usw. machen. Am Abend erfuhr ich, dass eine Tasche mit zehn Filmdosen
gestohlen worden war. Das letzte Material, das unentwickelt mitgenommen werden sollte, verschwunden vom Busbahnhof, von wo
Busse bis nach Istanbul und Ankara weggingen. Durch eine enorme Polizeiarbeit und Einschaltungen über Radio und Fernsehen
wurde diese Spur nachrecherchiert. Eine alte Frau war nur 50 Kilometer weit gefahren, und zeigte das Material ihrem Enkel.
Der machte eine der Dosen auf und bekam Angst, es wäre militärisches Material. Zunächst wollten sie es verbrennen, nur hatten
sie inzwischen soviel Polizeipatrouillen gesehen, dass sie beschlossen, es in einem Kukuruzfeld zu vergraben. Dort gab es
einen Polizeieinsatz und das Filmmaterial wurde umstellt. Für mich brach in diesen Stunden eine Welt zusammen, es war alles
sinnlos, warum diesen Film gedreht haben, um an den Punkt Null zu gelangen und gerade das Sterben von Franz, die Szenen zwischen
Franz und Bruno, der Leuchtturm, das Schwarze Meer wären nicht da gewesen. Das Martyrium hat noch einen Tag gedauert, denn
da war noch die Frage, welche der zehn Dosen belichtet und zerstört ist. Wir hatten das Glück gehabt, auf 35 mm gedreht zu
haben, es gab einen Lichteinfall, der aber den Kader nicht berührt hatte, auf Super-16mm wäre das kaputt gewesen. So hatten
wir bis zum letzten Kilometer immer wieder Glück gehabt.
Interview: Karin Schiefer (2003)