INTERVIEW

Götz Spielmann im Gespräch über DIE FREMDE

 

"Es geht um Genauigkeit im Blick auf seine Zeit, auf die Gesellschaft, auf sich selbst." Götz Spielmann über Die Fremde.

 

Beim Festival von Toronto, wo der Film seine internationale Premiere hatte, lief er unter dem Titel The Stranger. Was da in der englischen Übersetzung nicht mehr zu hören ist, ist die Doppeldeutigkeit des deutschen Titels.

GÖTZ SPIELMANN: Der Titel ist natürlich in seinem doppelten Sinn gemeint, auch wenn das leider in andere Sprachen nicht zu übersetzen ist. Der Titel gefiel mir ja deshalb so gut, weil er eben beides bedeutet. Nicht nur vordergründig die weibliche Hauptfigur, sondern versteckt auch das innere Thema der Heimatlosigkeit. Die Fremde entstand ja auch vor dem Hintergrund dieses ganzen fremdenfeindlichen Unglücks, das es bei uns gibt.

 

Eine Frau und ein Mann, die mit dem Taxi fahren, er, der aussteigt um Zigaretten zu holen, sie, die mit dem Taxifahrer auf und davon fährt, nannten Sie in einem Interview als eine der Situation, um die Sie gerne einen Film entstehen lassen würden. Ist diese Situation der Kern der Geschichte?

GÖTZ SPIELMANN: Nein, aber offensichtlich ist dies in der Stillen Post so weitergetragen worden. Von einem Ausgangsbild zu sprechen, ist schwierig. Es ist ja so, man arbeitet ja immer in einer gewissen Form. Der Großteil der Arbeit besteht natürlich nicht im konkreten Schreiben an einem Projekt, sonst würde ich ja fünf Drehbücher im Jahr schreiben. Ein großer Teil von Arbeit ist eigentlich das Suchen, das Wachsam sein für Geschichten oder nur für Augenblicke, Figuren, Bilder. Für mich war das Schlüsselbild ein Gemeindebau, in dem eine Lateinamerikanerin sitzt und ein Lied hört und sich nach ihrer Heimat sehnt. Ich hab vor vielen Jahren, bevor die Rennbahnsiedlung renoviert wurde, da recherchiert. Ich begleitete da eine Frau, die Mitgliederbeiträge für die SPÖ kassierte. Das war in Wahlzeiten, als das Ausländerthema von den sogenannten Freiheitlichen so grauslich thematisiert wurde. Ich kam da in unzählige Wohnungen und hab unglaublich viel gesehen. Nachdem ich soviel über Ausländer gehört hatte, kam mir in so einer Wohnung, wo wir warteten, dieses Bild. Ich wollte dann wissen, wie diese Fremde da hingekommen ist, was sie macht, warum sie weg will. Die anderen Dinge wie das mit dem Taxi das kam halt dazu. Die Geschichten kommen aus dem Leben aus dem Wachsamsein, aus dem eigenen Leben natürlich auch. Das kann man nicht wirklich logisch auseinanderdividieren, ich kann Arbeiten und Leben nicht voneinander teilen, das Arbeiten ist ein organischer Teil davon.
 

Stand von Anfang eine Spanierin als Protagonistin fest?

GÖTZ SPIELMANN:  Ursprünglich hatte ich die Rolle für eine brasilianische Schauspielerin, die ich kannte, geschrieben. Die Zusammenarbeit klappte aber schließlich doch nicht. Ich hab aber in Brasilien weiter gesucht, auch die Musik, aber nichts hat dem entsprochen, was ich mir so vorgestellt hatte. Eigentlich schien mir die Mentalität von Brasilien gar nicht mehr so das Richtige für den Film. Das Spanischsprechende, das Rauere also, hat mehr Kraft, auch mehr Pathos. Das Brasilianische trägt mehr Sehnsucht, das Spanische hat mehr Pathos und auch mehr von verborgenen seelischen Grundstimmungen in sich. Auch in der brasilianischen Musik, die ich gefunden hatte, kam ich nicht auf den Punkt, wo ich das Titellied, dem im Drehbuch eine sehr entscheidende Rolle zukommt, haben wollte.

 

Wie fiel schließlich die Entscheidung für Mexiko?

GÖTZ SPIELMANN:  Es stand schon halb der Entschluss fest, in Mexiko zu suchen. Ich begann mich dann in der lateinamerikanischen Musik umzuschauen. Es hat mir dann jemand diese Sängerin, Lhasa de Sela, empfohlen, die völlig unbekannt war und ihre erste CD herausbrachte. Damit stand fest, dass ich diese Musik wollte und dass "die Fremde" eine Mexikanerin sein musste.

 

 ... die dann auch schnell gefunden war?

GÖTZ SPIELMANN:  Nein, es war ein unglaublich langer Weg, zur Goya zu finden. Wir haben dann zunächst über einen Mittelsmann in Mexiko gesucht. Wir haben alle in Frage kommenden mexikanischen Schauspielerinnen auf Cassette gesehen, nichts überzeugte mich so, um ein Casting in Mexiko zu organisieren. Schließlich entschieden wir uns, in Spanien zu casten. Ich hatte dort einen befreundeten Produzenten, der ein sehr großes Casting in Madrid organisiert hat, an dem auch Goya Toledo teilnahm.

 

Ist es nicht ein Risiko, mit einer Protagonistin zu drehen, die die Sprache nicht spricht?

GÖTZ SPIELMANN: Das kann ein Risiko sein, aber bei einer guten Schauspielerin, die mit einer Leidenschaft bei ihrer Arbeit ist, ist es eigentlich keines. Es ist sehr viel Arbeit für die Betreffende, das schon, aber wenn jemandem seine Arbeit wichtig ist, dann kann man eigentlich sicher sein, dass die das bringt. Sie hat natürlich ein ins Spanische übersetztes Drehbuch gehabt, sie bekam eine Kassette mit allen Dialogen, die sogar ein Spanisch-Muttersprachler gesprochen hat, damit der leichte spanische Akzent schon drinnen war und natürlich war ein Dialogue-Coach dabei. Mit der Goya war das so, dass sie von Lanzarote kommt, dort ist das Spanisch ziemlich nah am mexikanischen Spanisch, denn das musste sie ja auch noch können, in den Szenen, wo sie betet, musste ihr Spanisch mexikanisch gefärbt sein.

 

In Ihrem Film sind eher die kleineren Rollen mit bekannten Leuten besetzt.

GÖTZ SPIELMANN:  Dass der Hary Prinz weniger bekannt ist, wird sich hoffentlich ändern. Ich kümmere mich nicht um Namen. Wenn ich gleichwertige Schauspieler habe, dann nehme ich natürlich den größeren Namen. Für den Harry hat niemand von den Bekannten gepasst und ich hab halt dann auch unter den unbekannteren, die weniger in der Öffentlichkeit stehen, gesucht. Ich mag es auch zu entdecken. Das hat etwas von Goldgräbertum und es macht auch die Qualität von einem Regisseur aus, ein Auge und ein Gefühl für Schauspieler zu haben und nicht auf eh schon abgesegneten Besetzungspfaden zu wandeln.

 

 Ist Harry nicht eigentlich die stärkere Figur?

GÖTZ SPIELMANN:  Das kann ich nicht sagen. Ich glaube es gibt keine verschiedenen Tiefen zwischen Menschen, es gibt nur eine verschiedene Sichtbarkeit. Der Harry ist am Anfang als Persönlichkeit weniger präsent als die Mercedes, aber vielleicht stärker im Lebenskampf. Für mich macht die Mercedes auch eine sehr große Entwicklung durch, nur umgekehrt. Sie ist jemand, der sehr äußerlich lebt. Geld und Drogen sind die Hauptsuchtmittel, um inneren Problemen äußerlich zu begegnen. Geldgier und Drogensucht ist für mich dasselbe, diejenigen, die reich werden, sind zwar gesellschaftlich anerkannt, und die anderen sind Outcasts, beides ist versäumtes Leben. Mercedes glaubt am Anfang noch, dass sie die Problematik, die sie spürt, durch Äußerlichkeiten lösen kann. Das sind zwei Figuren, die beide in der Krise stecken, der eine ist zu innerlich, die andere zu äußerlich. Und jeder vermisst das andere in seinem Leben. Sie sind einander völlig fremd und helfen einander, das andere zurückzuerobern. Darum machen für mich beide eine gleich große Entwicklung durch. Beim Harry ist sie leichter sichtbar, weil er erstarrt ist und in Bewegung kommt, das sieht man in einem Film leichter. Sie ist in Bewegung und kommt zur Ruhe, das ist aber eine ebensogroße Entwicklung. Für mich ist es so, dass beide eine gleich große, aber völlig konträre Entwicklung durchgemacht haben, beide entwickeln sich zu einer größeren Ganzheit hin. Ich glaube auch, dass ihre Entwicklung über den Film noch hinausgeht, vielleicht ist deshalb seine auch offensichtlicher, da sie mit Ende des Films weitgehend abgeschlossen ist. Bei ihr geht es weiter, die wird noch eine Zeitlang mit sich beschäftigt sein. Dieses Weitergehen wird halt nicht mehr erzählt.Der Nachbar wurde einmal als sanfter Psychothriller bezeichnet, auch in Die Fremde erscheint das Drogen-Milieu nicht mit aller Brutalität.

 

Ist es ein Stilmittel, die Klischees, die mit einem Milieu verbunden sind, bewusst aufzuweichen?

GÖTZ SPIELMANN:  Es gibt natürlich unglaubliche Brutalitäten in der Welt, ich glaube nur, dass in diesem Milieu von mittelgroßen Koksdealern sie einfach nicht stattfinden. Ich denke, es ist realistisch im Film. Ich hab nichts gegen Klischees. Etwas, was sich als Klischee herausgebildet hat, beruht meistens auf Richtigkeit. Nur glaub ich, ist es wichtig, dass man in der Realität Klischees entdeckt und nicht die vorhandenen Klischees im Erzählen wiederholt, da verlässt man dann den Strom von Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit im Erzählen. Es geht auch um Genauigkeit im Blick auf seine Zeit, auf die Gesellschaft, auf sich selbst. Ich unternehme den Versuch, Figuren und Milieus aus sich selbst heraus zu begreifen, aus dem heraus, dass Geld das grausamste Suchtmittel unserer Gesellschaft ist und nicht die Drogen.

 

Der Drogendealer im Film ist ein leicht pervertierter Geschäftsmann.

GÖTZ SPIELMANN: Ich hab den Dealer einfach als einen Geschäftsmann gezeichnet. So sind Geschäftsleute, die erfolgreich sind, selbstbewusst, glatt, unglaublich wachsam und ihr Ziel, ihre Gier, geschickt hinter einer Freundlichkeit verbergend. Mich hat mehr der Geschäftsmann interessiert als der Drogendealer. Mir war wichtig in einem Film, wo Sucht und Drogen eine Rolle spielen eben nicht die bestehenden Klischees die Drogen betreffen zu wiederholen. Es gibt zwei Klischees: da ist der moralische Standpunkt, der zeigt wie unglaublich furchtbar Drogen sind, andererseits gibt es die Verherrlichung als Lösung. Meine Sorge bei dieser Geschichte war, sie so wahrhaftig wie möglich zu machen, ohne einen moralischen oder unmoralischen Standpunkt einzunehmen.

 

Intervie: Karin Schiefer 

2000