«Die Welt ist nicht eindimensional und unser Blick sollte es auch nicht sein. Das Kino blickt und blickt auch zurück, es blickt
in jede Richtung.» Gabriele Kranzelbinder und Alexander Dumreicher-Ivanceanu über Crash Test Dummies, den Eröffnungsfilm der Diagonale und die neuen Projekte, die in den kommenden Monaten von Amour Fou Filmproduktion zu erwarten
sind.
Die Amour Fou Filmproduktion hat seit ihrer Gründung 2001 rund zehn lange und mittellange Filme produziert und koproduziert.
Crash Test Dummies ist der erste Film, den sie nun federführend produziert hat.
GABRIELE KRANZELBINDER: Wir waren erstmals federführende Produzenten und es war auch der erste Film, der mit einem vernünftigen Budget ausgestattet
war, das von allen drei Förderinstitutionen ÖFI, FFW und ORF zur gleichen Zeit getragen worden ist. Darüber hinaus gibt es
schon auch eine kleine ausländische Beteiligung. Das Projekt war von Anfang an als Koproduktion angedacht, das war ein Wunsch.
ALEXANDER DUMREICHER-IVANCEANU: Auch wenn die Beteiligung aus Deutschland nur knapp zehn Prozent beträgt und Koproduktionen formal kompliziert und komplex,
um nicht zu sagen anstrengend sind, sind sie unterm Strich dennoch ein Gewinn, weil sie einen Marktzugang ermöglichen, zusätzliches
Know-how bieten und wieder eine Vernetzung schaffen, für die wir immer kämpfen. Das war auch in der Zusammenarbeit mit Icon
Film der Fall.
Was hat euch an Jörg Kalt gereizt, mit ihm zusammenzuarbeiten?
ALEXANDER DUMREICHER-IVANCEANU: Richtung Zukunft durch die Nacht war ein sehr spannender Film, der einen im österreichischen Film bisher unbekannten Humor
eingebracht hat.
GABRIELE KRANZELBINDER: Mich hat das Buch von Crash Test Dummies überzeugt, seine unkonventionelle Machart. Ich mochte die Verschachtelung mehrerer Geschichten und wollte schon lange mal
einen Ensemblefilm machen. Dieser trockene, skurrile Humor hat mich auch sehr angesprochen. Jedes Mal, wenn ich den Film anschaue,
und das war auch schon beim Buch so, muss ich herzlich lachen. Das passiert eh selten genug.
Wie schnell ging es dann an die Umsetzung des Buches?
GABRIELE KRANZELBINDER: Im Dezember 2002 kam es zur ersten Einreichung, in Summe haben wir das Projekt in 15 Monaten abgewickelt, was für einen ersten
Langfilm mit einer Koproduktion relativ schnell ist. Es gab eine lange Vorbereitungsphase, der erste Finanzierungsschritt
ging relativ schnell, das hat dazu geführt, dass schon alle an der Vorbereitung arbeiteten und in den Startlöchern scharrten,
auch wenn es offiziell noch nicht losging. Die letzte Finanzierungstranche hat sich eine Weile hingezogen. Es war aber schon
sehr viel vorgedacht und vorbereitet, deshalb ist es dann so schnell gegangen. Wir haben im Sommer 2004 gedreht und jetzt
im Februar war der Film für Berlin fertig.
Es war nicht nur für euch als federführende Produzenten eine Premiere, es war auch Jörg Kalts erster Langfilm und auch auf
dem Set haben sehr viele Leute gearbeitet, die auch zum ersten Mal dabei waren. Ist es eine Philosophie von euch, neue Leute
an Land zu ziehen?
GABRIELE KRANZELBINDER: Ja, auf jeden Fall. Es waren fast alle Leute in den Headdepartments und überhaupt viele Teammitglieder, die erstmals für
einen langen Spielfilm arbeiteten. Eva Testor hat erstmals bei einem langen Spielfilm die Kamera gemacht. Veronika Albert
hat zum ersten Mal die Kostüme gemacht. Es sind viele Anfänger mit einer Riesenbegeisterung hineingegangen sind. Es war ein
sehr tolles Team, Hut ab vor ihnen, wie sie sich zusammen ins Zeug geworfen haben. Es war vom ersten Tag an ein eingespieltes
Team, wie man das oft bei routinierten Leuten bis zum letzten Drehtag nicht sieht. Ich erinnere mich noch sehr gut an das
Gespräch mit dem Regieassistenten, der seinen Job auch zum ersten Mal gemacht hat. Ich sagte mir, mit der Motivation und mit
der Überzeugungskraft wird er das sicher gut machen und es war auch so. Bei uns war es letztlich nicht anders, wir haben als
Produzenten auch so begonnen. Wenn man selber unerfahren ist, ist es oft so, dass man sich von erfahrenen Leuten zu sehr dominieren
lässt und sich nicht traut, mit eigenen Füßen zu gehen. Was uns schon wichtig war, als wesentliche Säulen des Produktionsdepartments -
die Produktionsleitung mit Gabi Reisinger und Filmgeschäftsführung mit Constantin Seitz wollten wir Leute mit einer gewissen
Erfahrung haben.
Was bedeutet federführende Produktion an Mehrverantwortung und Unabhängigkeit?
GABRIELE KRANZELBINDER: Wenn wir etwas mitentwickeln, dann ist der emotionale Anteil größer. Der Vorteil ist, dass man von Anfang an richtungsweisend
ist und Entscheidungen trifft. Man geht mit dem Projekt durch eine neunmonatige Schwangerschaft und adoptiert es nicht erst
dann, wenn es schon einen Monat in der Wiege liegt. Es hat weniger mit Unabhängigkeit zu tun. Wir haben auch bei den Koproduktionen,
wo wir minoritäre Partner waren, in dem Bereich, den wir betreut haben, d.h. in der Postproduktion, sehr viel Unabhängigkeit
gehabt.
ALEXANDER DUMREICHER-IVANCEANU: Das hat sich ausgezahlt, weil wir in der Postproduktion gewisse Stärken entwickelt haben und Wien als Kompetenzzentrum, Stichwort
digitales Design gilt. Man ist natürlich ganz anders in das Projekt involviert, Gestaltungsmöglichkeiten entstehen durch Entscheidungsmöglichkeiten
und die ergeben sich aus der finanziellen Mehrheit in einem Projekt. Insofern ist Crash Test Dummies ganz anders bei uns verankert.
Wie funktioniert die Arbeitsteilung zwischen euch beiden?
ALEXANDER DUMREICHER-IVANCEANU: Crash Test Dummies hat ganz klar Gabriele federführend betreut. Es gibt zwei Formen von Projekten diejenigen, die der eine oder der andere
übernimmt, wesentliche Entscheidungen treffen wir dennoch gemeinsam und dann gibt es Projekte, an denen wir gemeinsam arbeiten,
weil sich daraus einfach nochmals mehr ergeben kann.
GABRIELE KRANZELBINDER: Es ist nicht festgelegt, wer welchen Bereich abdeckt. Das hängt auch sehr viel mit den Personen zusammen, wer mit wem ein
längeres Vertrauensverhältnis und damit eine bessere Gesprächsbasis hat. Auch wenn ich das jetzt federführend durchgezogen
habe, ist es dennoch etwas anderes, jemanden noch im Hintergrund zu wissen, als wenn ich jetzt ganz alleine dastehen würde
und die Verantwortung alleine tragen müsste.
ALEXANDER DUMREICHER-IVANCEANU: Es ist manchmal ganz angenehm, wenn der andere nicht so involviert ist und dennoch alles nebenbei mitkriegt. Wenn dann der
Punkt kommt, wo bestimmte Entscheidungen zu treffen sind, kann man dann zum anderen sagen "wirfst du bitte mal so halb einen
Blick von außen darauf". Vielleicht sieht es der andere dann anders, wenn man selbst schon so tief in einem Projekt steckt.
GABRIELE KRANZELBINDER: Und es gibt eine Schulter, an der man sich ausweinen kann.
ALEXANDER DUMREICHER-IVANCEANU: Wir sind eigentlich ein gegenseitiges Supervisionsinstitut.
Ihr seid aber nicht die beiden einzigen Gesellschafter der Firma?
ALEXANDER DUMREICHER-IVANCEANU: Wir sind fünf Gesellschafter Bady Minck, Thomas Woschitz, Virgil Widrich, Gabriele und ich, wobei wir beide die Geschäftsführung
innehaben. Die anderen drei sind RegisseurInnen, die nicht am Alltagsgeschäft beteiligt sind, die aber Feedback geben, wenn
es gewünscht wird und die nochmals zusätzliche Vernetzungen und Kreativität einbringen. Wir sind keine Regisseure dadurch
kann keine Doppelbelastung entstehen, zugleich haben wir in der Firma diesen kreativen Input, der ganz wichtig ist. Wir spüren,
dass das eine sehr sinnvolle Kombination ist in jeder Hinsicht.
Für Crash Test Dummies geht es nun national mit der Diagonale und international mit Berlin relativ gleichzeitig los. Welche Erwartungen setzt ihr
in den Film?
GABRIELE KRANZELBINDER: Der Film ist nun bei der Diagonale der Eröffnungsfilm, österreichischen Kinostart wird es im Herbst geben. Was den internationalen
Verkauf betrifft, muss ich vorausschicken, dass wir gemeinsam mit Geyrhalter Film und Navigator Film einen Weltvertrieb gegründet
haben Autlook Filmsales und dieser Weltvertrieb hat Crash Test Dummies auch in Berlin vertreten und ist bei europäischen Verleihern auf Interesse gestoßen. Es ist sicherlich ein kleiner Film,
aber ich gehe von der Möglichkeit aus, dass Crash Test Dummies in mehreren europäischen Ländern ins Kino kommen kann. Das ist unser Ziel.
ALEXANDER DUMREICHER-IVANCEANU: Das hat bei Struggle auch sehr gut funktioniert, der ist in sieben europäischen Ländern ins Kino gekommen ist, was für einen
europäischen Arthouse-Film, noch dazu einen mit der Härte und Konsequenz von Struggle, ein sehr schöner Erfolg ist.
Es fiel das Wort vom klassischen Amour Fou-Projekt. Was ist darunter zu verstehen?
ALEXANDER DUMREICHER-IVANCEANU: Amour Fou-Projekte sind natürlich alles andere als klassisch, es sind Projekte, die Neuland betreten, die Grenzen überschreiten,
Dinge miteinander vernetzen, die bisher nicht vernetzt waren. Bei Crash Test Dummies ist das für mich die Tatsache, dass wir einen sehr jungen Regisseur haben und eine Art von Humor und eine Filmsprache transportieren,
die in Österreich nicht kinoüblich sind. Taxidermia hat die internationale Dimension durch die Zusammenarbeit von Österreich
und Ungarn und auch eine verrückte Geschichte. Bei Neustadt wird es auf der technologischen Ebene, einiges für uns zu tun
geben, weil Alt-Erlaa verlängert wird. Es war eine schöne Erfahrung, bei einem unserer ersten Projekte Deanimated saßen hier
monatelang junge Leute, die wie besessen die Schauspieler aus dem Film für herausgelöscht haben. Sie wechselten nahtlos ins
nächste Projekt, um an der digitalen Welle für Pas de repos pour les braves zu arbeiten. Dafür bekamen wir dann auch einen
Preis für den besten Digitaleffekt in Naumur. Das war ein Moment, wo wir das Gefühl hatten, hier geht die Amour Fou-Idee wirklich
auf - offensichtlich unvereinbare Projekte, miteinander zu vernetzen und das ist es, was hier passiert: ein Laboratorium
der Vernetzung, wo Dinge aufeinander einwirken. Der Titel des neuen Films von Fridolin Schönwiese trifft unsere Philosophie
recht gut. Volver la Vista ist eine Koproduktion zwischen Österreich und Mexiko, es ist ein Film über Mexiko und Österreich
oder über Österreich und Mexiko und gleichzeitig ein Film, den man mit den verschiedensten Konstellationen machen könnte.
Im Kino geht es auch um Identitäten und die sollte man auch von verschiedenen Blickwinkel aus betrachten, Grenzüberschreitung
wäre einseitig, wenn sie nicht auf Reziprozität beruhen würde, wenn wir nicht auf andere Länder schauen würden und diese Länder
nicht wieder auf uns zurück. Das ist es, was es so spannend macht. Das ermöglicht einen Perspektivenwechsel, ganz unabhängig
von den ökonomischen Vorteilen und denen der Verwertung. Die Welt ist nicht eindimensional und unser Blick sollte es auch
nicht sein. Wir wollen auch, dass die Dinge uns anschauen. Das Kino blickt und blickt auch zurück, es blickt in jede Richtung.
Interview: Karin Schiefer (2005)