INTERVIEW

Florian Flicker im Gespräch über DER ÜBERFALL

 

«Das eigentliche Thema für mich heißt: Männer unter sich. Das ist auch das Drama. » Florian Flicker über sein Kammerspiel Der Überfall.



Der Überfall ist eine sehr außergewöhnliche Geschichte, was hat Sie zu dieser speziellen Dreiecksgeschichte inspiriert?

FLORIAN FLICKER: Zunächst war da der Wunsch, mich auf die Schauspielerarbeit zu konzentrieren, damit ist man auch schnell beim Kammerspiel. Dann war plötzlich die Idee da, so schräge, seltsame, einsame Männer aufeinanderprallen zu lassen, die, jeder für sich eine Tragödie darstellen, und da diese drei Tragödien aufeinandertreffen, passiert eine vierte.


Typische Männerwelten sehen im Kino normalerweise ganz anders aus.

FLORIAN FLICKER: Ja, aber da muss man sich überlegen, welche Dialoge an den Lagerfeuern wir in diesen Filmen nicht sehen. Was mir an dem Film so gut gefällt, dass sich diese Männer Dinge erzählen, die sie noch nie jemanden erzählt haben, dass sie sehr persönlich miteinander werden und eigentlich sehr offen und uneitel sind. Männer können in der Tat so sein, so liebevoll und auch so krank, so hilflos und so machtbesessen. Es geht ja nicht nur darum, wer hat jetzt juristisch recht, sondern wer hat moralisch oder in Sachfragen recht. Das ist für mich das Herz des Films – wenn sie so völlig abgetrieben werden von der Geschichte und in Löcher reinfallen. Sei es ins Thema Frauen oder sei es die Frage, ob der Vater des einen tatsächlich in Russland gewesen sein könnte. Das sind für mich die Szenen, die, als sie mir eingefallen sind, die Geschichte so wesentlich, so liebenswert gemacht haben. Was mich so begeistert, das ist der Roland, wenn er erzählt, dass er in Scheidung lebt und dass man ihm das Kind weggenommen hat. Wenn er so weich wird, da bin ich immer so platt. Wegen dieser Szenen macht man dann diesen Film. Das eigentliche Thema für mich heißt: Männer unter sich. Das ist auch das Drama.

 
Drei grundverschiedene und stimmige Typen in einem Kammerspiel zu entwerfen, ist alles andere als einfach.

FLORIAN FLICKER:  Das Schwierige im Kammerspiel ist diese Übung im Minimalismus. Auch wenn es kein minimalistischer Film ist, so wie es dort drunter und drüber geht, du hast einfach nur sehr wenig zur Verfügung, was für die Geschichte zählen kann und jedes Requisit, jeder Satz soll die Geschichte weiterentwickeln. Deshalb muss man die Figuren sehr verschieden ansetzen, weil bei einem Kammerspiel sich die Geschichte nur aus den Charakteren heraus entwickeln kann. Das war ja auch das Schwierige beim Schreiben, du hast kein Element von außen, das die Geschichte beeinflussen kann. Das muss alles aus den Figuren kommen. Je verschiedener die drei sind, umso spannender erscheint es mir. Daher begründet sich auch die Verschiedenheit in den Sprachen: der Andi geht tief ins Wienerische, der Böckel hat als zugereister Deutscher seine Sprache und der Kopper wiederum spricht ein bemüht großbürgerliches Wienerisch. Es war mir sehr wichtig, dass Andi von der Sprache so authentisch rüberkommt. Es ist beim Kammerspiel so extrem schwierig, dass man sich mit den Figuren und der Geschichte nicht im Kreis dreht und dass einem die Figuren nicht zu nahe gehen. Mich berührt das so sehr, dass dann der Kopf anfängt, sich zu drehen und dann braucht man jemanden, der einem wieder abstoppt. Deshalb stieß nach der vierten, fünften, sechsten Drehbuch-Fassung Susanne Freund dazu. Ich glaube wir hatten dann insgesamt elf Fassungen geschrieben.


Wie kam es zu dieser Schauspielerkonstellation?

FLORIAN FLICKER: Natürlich mussten es für sich schon drei sehr gute Schauspieler sein, die darüberhinaus in der Kombination gut funktionierten. Ich hab dann zunächst den Josef Hader angefragt, denn wollte ich schon bei Suzie Washington haben. Ich schickte ihm mit wenig Hoffnung das Drehbuch, dann sah ich Hinterholz 8 und war so begeistert von Roland Düringer. Ich dachte er sei eigentlich der ideale Andi, schickte ihm das Drehbuch und wollte dann je nachdem wer von beiden zusagt, um denjenigen eine Dreierkombination bauen. Ursprünglich konnte ich mir die beiden zusammen nicht vorstellen, weil sie in der Realität gleich alt sind und im Film zwei verschiedenen Generationen angehören. Dann traf ich Roland, nachdem er sein Interesse am Drehbuch bekundete, er wirkte so viel jünger, als ich ihn aus den Filmen kannte und dann schienen mir plötzlich beide möglich. Wir suchten noch nach einem dritten und da tauchte der Joachim Bissmeier auf. Es kam zu einer ersten gemeinsamen Leseprobe, zu einem Zeitpunkt, wo noch niemandem klar war, sind das jetzt die drei oder nicht. Sie waren wie im Buch, jeder kommt mit seiner persönlichen und beruflichen Geschichte aus ganz unterschiedlichen Ecken. und irgendwie war da gleich eine Chemie da, so sehr sie sich auch fremd sind.

 
Wie verliefen die Vorbereitungen?

FLORIAN FLICKER: Ich bemühte mich sehr, dass wir uns oft zu Leseproben trafen, damit es auch eine gemeinsame und nicht nur meine Geschichte wurde. Vor Drehbeginn haben wir dann noch eine Woche lang geprobt, in der fertigen Ausstattung und so ist aus dieser heterogenen Partie etwas Homogenes entstanden. Was nicht heißt, dass wir beim Drehen nicht auch noch oft Szenen verworfen oder neu diskutiert haben. Mir war sehr wichtig, dass es für die drei auch ihre eigene Geschichte wurde.

 
Wieviel Raum überlassen Sie den Schauspielern, das Ihrige einzubringen?

FLORIAN FLICKER: Ich mache das grundsätzlich gern, bei dieser Geschichte war es besonders wichtig, dass die drei von dem Satz, den sie gerade sprechen, überzeugt sind. Der Überfall ist ja eine so schauspielerintensive Geschichte, wenn man da nur das Drehbuch herunterexerziert, ist das recht gefährlich. Es besteht natürlich auch die Gefahr, seine Autorität als Regisseur aus der Hand zu geben. Wir haben viel gemeinsam in den Leseproben verändert, oft war es aber beim Drehen auch so, dass wir plötzlich abbrechen mussten, weil jemand von uns vier gesagt hat „Das geht so nicht, die Szene ist eigentlich schlecht. Dann haben wir stundenlang diskutiert und dann wieder geprobt und eigentlich war die Szene dann genauso wie sie im Buch stand, nur war sie eben um eine Spur anders, hatte eine andere Farbe, eine andere Stimmung und das war sehr intensiv. Auch oft zu Lasten des Teams, weil die dann warten mussten und weil wir sowieso mit der Drehzeit zu knapp waren. Von der Intensität der gemeinsamen Arbeit her, war es toll. Und natürlich gibt es auch den Punkt, wo ich durchgreife und sage,  „So machen wir das jetzt“.

 
Das Ende ist ein ungerechtes Ende.

FLORIAN FLICKER: Ein ungerechtes Ende?


Weil der Falsche stirbt.

FLORIAN FLICKER:  Ich weiß nicht, aber beim Kopper hab ich das Gefühl, so einen tollen Tag wird er nie wieder erleben. Der hat das Größte erlebt in seinem Leben, da geht nichts mehr drüber. Bei den Testvorführungen haben manche Leute gesagt, dass sie es so traurig macht, dass der Kopper stirbt. Das wundert mich immer. Für mich ist dieser Film ein großes Märchen. Mein Wunsch war ja auch am Ende, wenn sie rausgehen und der Film draußen spielt, dass es etwas Märchenhaftes mit dem Schnee ins Spiel kommt.

 
Im Märchen sterben aber nicht die Guten.

FLORIAN FLICKER: Naja, in den alten Märchen. Ich halte es für sehr spannend zu sehen, sobald der Zuschauer in die Geschichte eingestiegen ist, wie sehr man abheben darf, wie sehr die Charaktere scheinbar unlogische Handlungsschritte vollziehen dürfen. Es ist ja schon völlig unlogisch, dass der Andi so lange drinnen bleibt. Ich denke, das ist eine Binsenweisheit, aber es ist das Spannende – unlogische Aktionen plausibel zu zeigen.

 
Ist der Film praktisch ein reiner Studiodreh?


FLORIAN FLICKER: Wir haben diese zwei Räume gebaut. Ich weiß nicht wie viele Tonnen Material in diesen zwei Räumen sind. Es gab mit Christoph Kanter, dem Austatter, sehr viele Besprechungen, wir besuchten viele Schneidereien um zu sehen, wie es dort wirklich ist, haben dann auch am Computer den Raum simuliert und verändert. Als ich dann zum ersten Mal ins fertige Studio hineinging, fühlte ich mich wie zu Hause. Es war ja mitten im Winter und man ging durch eine eiskalte Lagerhalle, machte die Tür auf und war – in einer Schneiderei. Das war toll, nie das Gefühl gehabt zu haben, da ist etwas extra gebaut worden. Das Schöne am Studiodreh ist, dass man so konsequent und chronologisch arbeiten kann. Man geht um 8 Uhr in der Früh hin und wenn man Glück hat um 9 Uhr abends wieder raus. Das Anstrengende daran ist, dass es pausenlos dahingeht. Man hat keine Drehortwechsel. Wovor ich am meisten Angst hatte, ist, dass es zu einem Hüttenkoller kommt, es war ja sehr eng. Wir sind zu zehnt hinter der Kamera gehockt, während die drei spielten. Die gesamte Drehzeit ging über sechs Wochen. Es gibt halt in diesem Film keine einzige Einstellung, wo man sagt, da hält man jetzt halt die Kamera hin und filmt wie er die Straße entlanggeht. Es war dauernd intensive Arbeit für die Schauspieler und die Regie. Es gibt keinen Moment, den man der Second Unit überlassen konnte, auch wenn man dabei ist.

 
Das Drehbuch hat einen sehr theaterhaften Charakter. Wie haben Sie versucht, den filmischen Charakter in Der Überfall herauszuarbeiten?

FLORIAN FLICKER: Meine optische Sicht vom Film war von Anfang an, allem Theaterhaften zu entgehen, den Film relativ hoch aufzulösen und in vielen verschiedenen Einstellungen zu drehen. Daher rührte auch die Idee, Cinemascope zu verwenden, weil dadurch die Möglichkeit besteht, zwei Menschen in relativer Nahaufnahme zu filmen, ohne dass sie beieinander kleben müssen. Die Fantasie-Szenen sind natürlich ein weiteres filmisches Mittel. Was das Theater auch nicht hat, ist die Nahaufnahme. Das Filmische liegt sicher auch im Rhythmus den man erzeugen kann durch den Wechsel in den Einstellungsgrößen und Schnitt.

 
Der Sprache der Protagonisten kommt eine besonders wichtige Rolle zu.

FLORIAN FLICKER: Damit ein Film funktioniert, ist mir wichtig, dass seine Figuren authentisch sind und er einen Boden und ein Zuhause durch die Sprache bekommt. Das mag ich an manchen englischen oder amerikanischen Filmen, dass die Menschen durch die Art und Weise, wie sie reden, ein Zuhause haben. Da weiß man gleich, in welchem Milieu ich mich befinde. Nur haben wir halt das Problem, dass unser Dialekt nur von sehr wenigen Leuten verstanden wird. Trotzdem halte ich das in einer Geschichte für eine sehr wesentliche dramaturgische Möglichkeit. Ich halte nichts von Filmen, wo ein Deutsch gesprochen wird, das zwar ein Filmdeutsch ist, das aber von keinem Menschen gesprochen wird. Roland Düringer meinte auch, als er das Drehbuch las, den spiel ich nur, wenn ich so reden darf wie ich will. Darauf sagte ich, "Wunderbar, genau das will ich."


Interview: Karin Schiefer
Juli 2000