INTERVIEW

«Einfach anders und weniger vorhersehbar.»

Der aktuelle Dreh findet am Hannover-Markt statt, einem der Wiener Märkte, die medial weniger wahrgenommen werden. Warum fiel die Wahl auf diesen Markt? Welche Art von Wiener Markt-Atmosphäre soll entstehen?
 
ARASH T. RIAHI: Wenn man sich für einen Drehort entscheidet, muss man mehrere Faktoren ins Kalkül ziehen: Zum einen spielt der ästhetische/visuelle Aspekt eine Rolle. Wir brauchten einen Markt, der bunt und lebendig ist, gleichzeitig nicht zu groß, um den Überblick bewahren zu können. Außerdem erzählen wir die Geschichte eines Grätzels, das als solches auch erkennbar ist. Es war uns auch sehr wichtig, dass wir mit den Menschen, mit denen wir hier drehen oder deren Stände wir mit unserem Equipment besetzen, auch gut auskommen. Mit einem weniger bekannten Ort können wir auch den ZuschauerInnen die Chance bieten, etwas Neues zu entdecken. Und wir wollten mit unserer Geschichte auch kein Wiener Viertel etikettieren, daher haben wir auch ein fiktives Stadtviertel – den Rudolfsgrund – erfunden.
 
KARIN BERGER: Dazu kommt, dass uns der Bezirksvorsteher des 20. Bezirks sowie auch die Leute vom Markt, sehr stark unterstützt haben. An einem Ort, wo viel gedreht wird, ist es wichtig, dass man auch ein Miteinander hat. Wir haben an mehreren Märkten in Wien gedreht, der Hannover Markt spielt aber eine sehr zentrale Rolle.
 
 
Wenn man als Set-Besucher an den Markt kommt und nach der Filmcrew sucht, dann steht man vor der Frage, wo hört hier der Markt auf und wo beginnt das Filmset. Zieht sich diese fließende Grenze zwischen Fiktion und Realität auch inhaltlich durch den Film?
 
ARASH T. RIAHI: Es ist sehr wichtig, dass die Grenzen ineinander fließen, weil Die Migrantigen sehr stark mit Erwartungshaltungen und Klischees spielt, die sich dann ebenso wenig erfüllen wie die Vermutungen der Zuschauer. Im Film gibt es professionelle Schauspieler, aber auch Laien, die sich selbst. Es sind Menschen, die integriert sind, die sich auch erlauben können, über das Drama, das sie teilweise in ihrem eigenen Leben erfahren haben, zu lachen. Es ist ja ein Naturgesetz, dass Lachen und vor etwas Angst-Haben, einander ausschließen. Daher müssen die Dinge ineinander fließen. Die größte Ausländerfeindlichkeit herrscht dort, wo keine Vermischung der Kulturen stattfindet. Hier am Markt sieht man das Miteinander. Wenn die Leute Probleme miteinander haben, dann schimpfen sie und kommen am nächsten Tag doch wieder, um ihre Tomaten zu kaufen. Das soll im Film spürbar sein. Wir wollen keinen Film über diese Menschen machen, sondern einen, der mit ihnen passiert.
 
 
Neben den vielen kleinen Geschichten, die einfließen, haben Regisseur Arman T. Riahi und die Hauptdarsteller Faris E. Rahoma und Aleksandar Petrovic das Buch gemeinsam entwickelt und viel Eigenes eingebracht. Stand von Beginn an fest, dass es eine Komödie werden sollte?
 
ARASH T. RIAHI: Es gab schon vor mehreren Jahren die Idee einer Serie, die dann aus verschiedensten Gründen nicht zustande gekommen ist. Auch hatten wir den Eindruck, dass die Medienlandschaft hier noch nicht bereit war, sich Serien anzuschauen, in der Ausländer die Ausländer spielen und einander auch verarschen. Die beiden Hauptdarsteller, die an der Geschichte  itgeschrieben haben sind wie Arman und ich vollkommen integrierte Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund. Trotzdem haben sie als Schauspieler nicht die gleichen Chancen in ihrem Job bekommen. Darüber begannen wir uns lustig zu machen. Viele Gags stammen aus unserem Freundeskreis und daran wird man auch spüren, dass es keine Fließband-Gags sind, sondern Gags, die jeder aus seinem engeren Freundeskreis kennt, wo ein Sager zum geflügelten Wort wird. Es ist ein Humor, der von einzelnen Menschen eingebracht worden ist, daher auch detailversessener, einfach anders und weniger vorhersehbar ist. Wir wollten eine Komödie machen, wir wollten vor allem einen Film sehen, den wir hier in Österreich noch nicht zu sehen bekommen haben. Wenn Ausländer in einem Film vorkommen, erfüllen sie entweder immer dasselbe Klischee oder es ist ein Österreicher, der mit gefärbten Haaren einen Kebab-Verkäufer mimt und dessen Sätze nie authentisch klingen. Wir wollen diesen authentischen Humor dadurch erzielen, dass wir die Menschen aus ihrem eigenen Leben erzählen lassen.
 
KARIN BERGER: Ich sehe das Projekt noch einmal aus einem anderen Blickwinkel, nämlich aus dem der Europäerin. Ich bin als Auslandsösterreicherin und Halb-Tschechoslowakin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ich kenne die Erfahrung, „nicht Fisch - nicht Fleisch“ zu sein, mit Klischees, aber auch mit sich selbst zu kämpfen. Man muss sich selbst auf eine Suche begeben, bis man die Vielfältigkeit in sich selbst als Reichtum anerkennen kann. Das Leben in der EU setzt ein Bewusstsein und ein Verständnis für Vielfältigkeit voraus. Die Migrantigen soll ein Film sein, der viele Menschen auf verschiedenste Weisen anspricht. Für mich ist es ein Film, der an das Miteinander und das Verbindende appelliert. Die Gesellschaft tut sich leicht, in Schwarz- und Weiß-Bereichen zu denken. Ich erachte es als eines meiner Hauptthemen als Produzentin, die Grauzonen zu erkunden, die ja in einer Gesellschaft dominieren.
 
 
Die MIGRANTIGEN ist ein Stoff, der über das Stoffentwicklungsprogramm Diverse Geschichten entwickelt worden ist. Wie wuchs das Drehbuch heran?
 
ARASH T. RIAHI: Im Detail kann Arman diese Frage sicher besser beantworten. Auffallend war, dass Diverse Geschichten jeweils am Jahresende in Form einer Lesung die Arbeitsergebnisse präsentiert. Der Ausschnitt, den die drei gebracht haben, ist unheimlich gut angekommen und es war sehr, sehr lustig. Diese Lesung war ein Kick, der uns Mut machte, uns auf das Projekt einzulassen.
 
KARIN BERGER: Diverse Geschichten ist ein Programm, dass sich an Stoffe mit Migrationshintergrund richtet, also für die Idee der drei Autoren –  Arman T. Riahi, Faris Endris Rahoma und Aleksandar Petrovic – wie maßgeschneidert war. Diese Lesung, die Arash hier erwähnt, war für mich ausschlaggebend, dass ich von diesem Projekt überzeugt war. Die drei sind einfach dieses Projekt und dieses Drehbuch.
 
 
Wo hat das Projekt große Herausforderungen an die Produktion gestellt?
 
KARIN BERGER: Für einen Erstlingsfilm hat der Film sehr viele Motive, sehr viele Darsteller. Im Vergleich zu Einer von uns, wo wir nur im und um den Supermarkt und mit einem kleinen Ensemble gedreht haben, ist das jetzt eine neue Herausforderung. Schwierig wurde es immer dann, wenn sich der Drehplan geändert hat und das ist sehr oft der Fall gewesen, da das Wetter diesen Frühling nicht so mitgespielt hat. Es ist ein Film mit sehr vielen Außen- und nur sehr wenigen Innenmotiven, auf die wir ausweichen konnten. Das hat uns sehr auf Trab gehalten.
 
ARASH T. RIAHI: Die Vielzahl der Darsteller hat auch eine sprichwörtliche Vielfalt am Set bewirkt. Von einigen MitarbeiterInnen habe ich gehört, dass sie noch nie auf einem Set waren, bei dem so viele verschiedene Nationalitäten vertreten waren, in der Crew und im Cast. Zijah Sokolovic, der den Vater spielt, ist eine bosnische Schauspiellegende. Er hatte nur ganz wenig Zeit, ließ es sich aber nicht nehmen, nach Wien zu kommen, um mit uns zu drehen, weil ihm die absurde Komik der Geschichte so angesprochen hat. In Österreich haben u.a. Dirk Stermann und Josef Hader eingewilligt, kleine Rollen zu übernehmen. Sie waren bereit, mitzuspielen, weil es so einen Film in Österreich noch nicht gegeben hat. Ich finde es schön, wenn diese österreichischen Publikumslieblinge ein Statement setzen, indem sie die Bühne frei geben für die noch nicht so bekannten Schauspieler. Ich will den Ausdruck „eine Chance geben“ vermeiden, weil dieser Film keine Opfer zeigen will, sondern Menschen, die ihr Leben in die Hand nehmen und über ihre Schwächen auch lachen können. Die Hauptfiguren in Die Migrantigen kriegen ihre Chance, weil sie einfach gut sind, nicht weil sie benachteiligt sind. Ich habe nun schon einiges an Material gesehen und ich muss sagen, sie sind unglaublich authentisch, super ironisch und bewegen sich zwischen perfektem Hochdeutsch und dem Versuch einer Anbiederung an etwas, was sie vielleicht einmal waren. Es führt schön vor Augen, wie jemand aufblühen kann, wenn das nötige Vertrauen von außen entgegen gebracht wird.
 
 
Die Migrantigen ist nach Einer von uns der zweite Spielfilm, der federführend von Golden Girls Filmproduktion produziert wurde. Zum zweiten Mal arbeitet Ihr nach Stephan Richter nun auch mit Arman T. Riahi mit einem Filmemacher, der seinen ersten Langspielfilm dreht. Was heißt es für eine Produktionsfirma im Besonderen einen Regisseur zu begleiten, der sein Debüt realisiert. Konntet ihr auf den Erfahrungen von Einer von uns aufbauen?
 
ARASH T. RIAHI: Man kann die beiden Projekte kaum miteinander vergleichen. Stephan ist ein ganz anderer Typus von Regisseur als Arman. Der Dreh von Einer von uns konzentrierte sich rund um einen Drehort. Jetzt haben wir was Locations und Schauspieler betrifft, eine viel wildere Mischung. Das Drehbuch von Stephans Film basierte auf einer wahren Begebenheit. Da musste man sehr achtsam und respektvoll mit den Fakten umgehen. Die Migrantigen hingegen ist ein Film über soziale Unterschiede, Vorurteile und Klischees. Wir versuchen immer, ein sehr unterstützendes Team rund um die Erstlings-Regisseure zu vereinen, welche die fehlende Erfahrung auffangen. Arman ist seit zehn Jahren als Fernseh- und Dokumentarfilmregisseur tätig – er hat alleine (Schwarzkopf) und mit mir gemeinsam zwei Kino Dokumentarfilme (Kinders und Everyday Rebellion) gemacht, aber auch kommerziellere Projekte wie die Prime Time Doku-Serie Africa Race, über die Paris-Dakar-Fahrt von Gregor Bloéb und Tobias Moretti für Servus-TV. Für ein Spielfilmdebüt sind es in der Tat sehr viele Locations, zu viele Darsteller. Was hier aber ausgleichend ist, ist der Umstand, dass es eine Geschichte von und mit Freunden ist. Die beiden Hauptdarsteller Faris Endris Rahoma und Aleksandar Petrovic sowie der Kameramann Mario Minichmayr sind mit uns schon lange befreundet und sind wie Familie.
 
KARIN BERGER: Jedes unserer Projekte ist ganz eigen und bringt neue Herausforderungen und schöne neue Seiten mit sich. Wichtig für uns ist ein enges und gutes Miteinander mit dem Regisseur oder der Regisseurin und mit sowie im Team.
 
ARASH T. RIAHI: Der nächste Film, den wir produzieren wollen, ist wieder ein Erstlingsfilm: Cops von Stefan Lukacs. Noch ist das Projekt nicht zur Gänze finanziert, es wäre der erste österreichische Film, der im Ausbildungssystem der Polizeieinheit WEGA spielt. Jeder Film basiert auf einer sehr intensiven Recherche. Stefan Richters Film forderte eine sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Fall. Für Die Migrantigen ist die Recherche eher organisch passiert, da es aus einem jahrelangen Zusammensein mit Freunden und Vorgängerprojekten gewachsen ist. Stefan Lukacs hat viel im Polizei-Milieu recherchiert. Ich glaube, dass unsere Spielfilmprojekte auch deshalb funktionieren, weil sie authentisch recherchiert sind und kein Wissen vorgeben.
 
 
Es scheint als würde Die Migrantigen geradezu einen Gegenpol zu Einer von uns setzen, thematisch gesehen ist die Golden Girls Filmproduktion innerhalb dieses Bogens ganz klar positioniert.
 
KARIN BERGER: Unsere Projekte haben ganz klar aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen. Wir wollen unterhaltsame Filme machen, die Einblicke in Lebensbereiche gewähren, die man so nicht kennt oder die etwas hinterfragen, ohne dass sie einen auf unangenehme Weise dazu zwingen. Unsere Projekte haben etwas Lebensbejahendes, weil wir davon überzeugt sind, dass wir die Menschen für eine kritische Sicht auf gesellschaftliche Umstände eher mit einer unterhaltsamen und emotionalen Erzählweise gewinnen als mit einem erhobenen Zeigefinger. Unser Ziel ist es, ein möglichst breites Publikum zu erreichen, um letztendlich im Kleinen Veränderungen in unserer Gesellschaft zu bewirken.
 
ARASH T. RIAHI: Filmemachen ist ein so mühsamer Prozess, wenngleich das Beste, was man machen kann, wenn man sich dafür entschieden hat, es mit Leidenschaft zu betreiben. Es kostet mehrere Lebensjahre, einen Film zu realisieren, daher ist es mir wichtig, mit jedem neuen Projekt den Menschen etwas Neues anzubieten und keine Kopie einer Kopie. Wenn wir jetzt unsere erste Komödie machen, dann soll sie originell sein und eine Geschichte transportieren, die nur hier mit genau diesen am Film beteiligten Menschen passieren konnte und keinem 08/15-Muster folgen. Die Menschen in diesem Film haben einen ganz eigenen Witz und Humor, der hierher gehört und genau deshalb hoffentlich universell sein kann. Es wäre schön, wenn jeder Film einen Ausschnitt der Gesellschaft zeigen kann, den man so noch nie gesehen hat und der aufgrund dieser Eigenheit einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Ich mag es, wenn unsere Filme „Gebrauchsgegenstände“ werden. Ich denke dabei an ältere Filme von mir wie Ein Augenblick Freiheit oder Nerven Bruch Zusammen, der Film über das Frauenhaus, die auch jetzt noch lange nach der Kinoauswertung bei konkreten Anlässen gezeigt werden. Es freut mich zu sehen, dass sie immer noch „benützt“ werden.


 
Interview: Karin Schiefer
Juni 2016