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EIN FLÜCHTIGER ZUG NACH DEM ORIENT von Ruth Beckermann:

 

Auf Reisen geht der Mensch aus verschiedensten Gründen. Konvention. Abenteuerlust. Langeweile. Elisabeth, Kaiserin von Österreich, reiste aus Angst vor dem Stillstand. Eingepfercht in die statische Enge des Habsburger Hofes, war ihr die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit, die sie von ihrem Ehemann Franz Joseph einforderte, der einzige Ausweg, um nicht wie eine sonnenhungrige Pflanze hinter den imperialen Mauern zu verkümmern.

Die Filmemacherin Ruth Beckermann reiste nach Ägypten – die vom Wiener Hof am weitesten entfernte Destination, die Elisabeth je erreichte – um die Spuren der Fremde zu verfolgen. "Vielleicht ist die Vergangenheit ein fernes Ausland", heißt es am Anfang ihres filmischen Essays Ein flüchtiger Zug nach dem Orient, der seine internationale Premiere bei den diesjährigen Filmfestspielen von Berlin feiert. "Es war für mich einer der Gründe", so die Filmemacherin, "warum ich in Ägypten gedreht habe, weil es unmöglich ist, in die Vergangenheit zu reisen und ich gleichsam die Vergangenheit durch die Fremde ersetzt habe".

Ein flüchtiger Zug nach dem Orient begibt sich nicht auf die Spuren Elisabeths, um ihre Wege gut hundert Jahre später mit einem moderneren Blick nachzuzeichnen. Er versucht vielmehr über das Wesen des Reisens als Überlebensform einer Persönlichkeit, die von tiefer Unruhe heimgesucht war, zu reflektieren. Er hört in die Einsamkeit einer der faszinierendsten Frauen ihrer Zeit hinein, die sich gerade weil sie in der Öffentlichkeit exponiert war, dieser entziehen wollte, die es gleichzeitig aber verstand, genau dadurch einen unantastbaren Mythos ihrer selbst zu schaffen. Die Starrheit des höfischen Umfelds stellte für Elisabeth umso mehr eine unerträgliche Last dar, als sie bereits ahnte, wie der technische Fortschritt ihrer Epoche Bewegung ins Leben brachte und Mobilität ermöglichte. Das ausklingende 19. Jahrhundert geht ebenso mit dem Beginn des Tourismus und den ersten Reisen der Fotoreporter an die mondänen Destinationen einher, wie auch mit den ersten laufenden Bildern des Kinos. Die Reiserouten der Kaiserin deckten sich mit denen der ersten Kameraleute. Elisabeth ahnte auch, dass die Weigerung fotografiert zu werden, die einzige Möglichkeit war, ein Image von Dauerhaftigkeit zu kreieren. "Lasst mich allein, lasst mich in Ruhe," sagte Elisabeth lange bevor sich Diven wie Greta Garbo bewusst aus der Öffentlichkeit zurückzogen.

"Es gibt", so der Filmkommentar, "zwei Möglichkeiten zum Mythos zu werden: Früh sterben oder aus dem Bild verschwinden". Elisabeth war vielleicht die erste legendäre Schönheit, die sich bewusst den Objektiven der Fotografen entzog und sich ab dem 31. Lebensjahr nicht mehr abbilden ließ. "Faszinierend ist" unterstreicht Ruth Beckermann "wie sehr Elisabeth noch immer eine Projektionsfläche der Fantasien ist, – ein Mythos eben. Ich wollte aber keinesfalls den Versuch unternehmen, einen biografischen Film zu drehen und damit die Fantasien der anderen zu reproduzieren, ich wollte meine eigenen hinzufügen." "Durch die ganze Welt will ich ziehen, ein weiblicher Fliegender Holländer, bis ich einmal versunken und verschwunden sein werde", sagte Elisabeth zu ihrem Vorleser Constantin Christomanos, der seine Tagebuchblätter kurz nach ihrem Tod 1898 herausgab. Ein Text, der Anfang des Jahrhunderts unter französischen Intellektuellen und Schriftstellern Furore machte und die wichtigste Grundlage für Ruth Beckermanns Recherche bot. In Wien stieß das zu intime Bild Elisabeths, das dieser Text vermittelte, zum Zeitpunkt des Erscheinens auf heftigste Ablehnung. Mythos Romy Schneider Eine interessante Parallele zog die Regisseurin in diesem Zusammenhang zur legendären Darstellerin der Kaiserin, Romy Schneider, deren Karriere sie seit den Sissi-Verfilmungen verfolgte. Um das Klischee, das ihr seit dieser Rolle als junge Kaiserin anhaftete, loszuwerden, musste die außergewöhnliche Schauspielerin ihr Land verlassen, in Frankreich eine neue Karriere starten und den Zorn des im Stich gelassenen Publikums über sich ergehen lassen. Während eines mehrjährigen Aufenthalts in Paris entdeckte Beckermann eine grundlegend andere Rezeption dieser beiden Frauen. "Mir wurde klar", so die Regisseurin, "dass es eine ganz andere Sicht auf die Dinge gibt, wenn man anderswo ist. Das hat mit dem Blickwechsel zu tun, mit dem ich mich grundsätzlich zu beschäftigen begann. Ein langes Projekt mit einer breitangelegten Recherche. Dass die Ägyptenreise dabei herauskam, hat sich im Laufe der Auseinandersetzung ergeben. Der Reiz lag auch darin, sich auf die Spannung zwischen zwei grundverschiedenen Dingen wie Elisabeth und dem heutigen Ägypten, einzulassen".

Ein flüchtiger Zug nach dem Orient ist ein sensibles Bilddokument aus dem sogenannten "Orient", das die romantisierende Märchenwelt aus opulenten Farben und Düften ebenso links liegen lässt wie die von den heutigen Medien transportierte fanatische Terrorwelt. Die weiche Kamera der Nurith Aviv streicht durch Straßen Kairos, durch die sich der endlose Autoverkehr wälzt, fängt Details aus dem Alltag ein wie wertvolle Museumsstücke, verharrt lange auf ausdrucksstarken wie in sich gekehrten Frauengesichtern oder fährt in licht- und farbintensiven Travellings, an die Peripherie, wo der Wüstensand die Ränder der Stadt auflöst. "Während der Nomade eine Handvoll Sand aufnimmt", zitiert die Stimme der Regisseurin, deren Textkommentar sich wie eine zweite Schicht über die Bilder legt, "sagt er "das ist mein Leben-, und mit der anderen Hand dieselbe Geste wiederholend  – und das ist mein Tod. Alles andere ist Fata Morgana'". Dieses Dazwischen in Bildern und Worten auf die Leinwand zu bringen war Anliegen von Ein flüchtiger Zug nach dem Orient. Constantin Christomanos sagte über Elisabeth: "Sie ist ein Wesen, das zwischen Leben und Tod lebt oder in beiden zugleich". Am Westbahnhof in Wien steht eine Statue Elisabeths. "Vielleicht der beste Ort", ,meint Ruth Beckermann, "als Schutzheilige der Reisenden, oder als Warnung vor dem Reisen - schließlich wurde sie auf einer Reise ermordet."

 

Karin Schiefer