INTERVIEW

Antonin Svoboda über SPIELE LEBEN

«Der Film wird als sehr schauspiellastig wahrgenommen, die Energie der Darstellung steht sehr im Vordergrund. Das ist es auch, was mich abgesehen vom Geschichten erzählen, interessiert. Insgesamt glaube ich, dass Schauspieler mehr gepusht werden sollten, damit sie stärkere Konturen bekommen. Ich rede jetzt von den österreichischen Stars. Die brauchen Zündstoff, sie müssen wie geladene Handgranaten über die Leinwand rennen, sonst passiert nichts.» Antonin Svoboda über Spiele Leben. Nach den Premieren in Toronto und San Sebastian ist der Film bei der Viennale erstmals in Österreich zu sehen.


Der Film feierte im September Nordamerika-Premiere in Toronto, Europa-Premiere in San Sebastian. Wie war es für Sie als Regisseur vom Gefühl her, den ersten Langfilm dem Publikum zu überlassen?

ANTONIN SVOBODA: Als Regisseur hat man definitiv ein anderes Erwartungs- und Anspannungsgefühl. Als Produzent lässt es sich leichter relativieren, da ist man emotional nicht gar so verwickelt. Natürlich war die Nervosität groß, aber auch nicht überwältigend. Ich hatte schon vorab in einer großen Tageszeitung, dem Toronto Star, eine tolle Kritik, von daher sagte ich mir, was kann jetzt noch passieren. Meine Sorge war eher die – es waren Vorführungen mit ca. 400 Sitzplätzen und großen Leinwänden – ob das Videoformat auf der großen Leinwand halten würde. Das stellte aber kein Problem dar. Und über den Daumen gepeilt kann ich mir sagen, bevor der Film nach Österreich ins Kino kommt, haben ihn geschätzt schon um die 2000 Leute gesehen.


Waren die Reaktionen unterschiedlich zwischen San Sebastian und Toronto?

ANTONIN SVOBODA:In Toronto fragten die Leute sehr einfach und direkt, interpretierten sehr wenig in ihren Fragen. Ich fand es dort sehr angenehm, mich dort mitzuteilen, weil ich nicht das Gefühl hatte, ich müsste etwas verteidigen. In San Sebastian geht es nicht so direkt, weil ja auch auf Spanisch gefragt wurde und das erst übersetzt werden musste. Georg Friedrich und Birgit Minichmayr sind beide sehr wohlwollend aufgenommen worden.


Der Film war im November letzten Jahres abgedreht. Wie ist diese Phase der Postproduktion verlaufen?

ANTONIN SVOBODA: Es ist aufgrund meiner sonstigen Tätigkeit als Produzent natürlich so, dass ich mich dazwischen auch auf anderes konzentrieren muss. Es nimmt alles immer sehr viel Raum ein. Den Schnitt hat Oliver Neumann gemacht, die Endphase hat Karina Ressler zusätzlich begleitet. Wir haben in zwei Blöcken mit einer Pause dazwischen geschnitten, dann ließen wir es liegen, um dann ?unter sechs Augen? über den Film zu diskutieren. Oliver hat schon während des Drehs Vorschläge gemacht, ich habe ihm schon so viel Raum gegeben, dass er alleine über etwas sitzt, was wir besprochen haben. Ich möchte nicht jemandem ständig über die Schulter schauen, sondern möchte auch überrascht werden, das ist das Schöne.


Es hat beim Dreh auch oft längere Passagen der Improvisation gegeben, war es beim Schnitt schwierig, sich von dem entstandenen Material wieder zu trennen?

ANTONIN SVOBODA: Eigentlich nicht. Ein Film entwickelt eine gewisse Notwendigkeit. Schnittwoche für Schnittwoche kristallisiert sich so etwas wie ein roter Faden heraus. Es ist gar nicht zu schwer gewesen, die allzu privaten Momente herauszunehmen und auch jene Momente, die zwar spannend waren, aber auch woanders hingeführt hätten. So gesehen war ich froh, mehr zu haben und aussortieren zu können.


Der Schnitt ist sehr schnell. War das Tempo eine Vorgabe?

ANTONIN SVOBODA:  Entsprechend dem Charakter der Hauptfigur – ein manisch Süchtiger – war es mir wichtig, das in gewisser Weise als wieder erlebbares Element durch den Filmschnitt transparent zu machen. Kurt ist eine Figur, die auf der Stelle tritt. Er rennt im Prinzip im Kreis, borgt Geld aus, verspielt es wieder und hat wieder nichts. Das wollte ich konterkarieren, was die Dynamik angeht. Das Ganze ist auch enervierend und sollte diesen Druck einer Sucht oder Manie vermitteln, sodass sich nach fünfzehn Minuten schon eine Erschöpfung einstellt. Ich habe absichtlich die epischen Momente nicht ausgewalzt und nicht viel Raum für Atempausen gelassen. Mir gefallen diese Charaktere, weil sie mit ihren Handlungen immer vorpreschen. Mir gefällt es, weil sie dadurch nicht so steuerbar und berechenbar sind und sich selber immer wieder überraschen. Ab einem gewissen Zeitpunkt ist der Würfel immer eine Nasenlänge voran. Der Würfel trifft eine Entscheidung, lässt Kurt mit der Konsequenz allein.


Hat es sich bewährt, in diesem sehr offenen Stil Regie zu führen?

ANTONIN SVOBODA: Ich habe über Kathrine Cartlidge meine Diplomarbeit geschrieben und war sehr daran interessiert, wie sie mit Mike Leigh oder Lars von Trier gearbeitet hat. Die Vorstellung, einmal so ähnlich, so frei und mit Einbeziehung der Darsteller und auch der Menschen dahinter arbeiten zu können, das war schon immer ein Wunsch von mir, der sich in den Reaktionen bestätigt. Der Film wird als sehr schauspiellastig wahrgenommen, die Energie der Darstellung steht sehr im Vordergrund. Das ist es auch, was mich abgesehen vom Geschichten erzählen, interessiert. Insgesamt glaube ich, dass Schauspieler mehr gepusht werden sollten, damit sie stärkere Konturen bekommen. Ich rede jetzt von den österreichischen Stars. Die brauchen Zündstoff, sie müssen wie geladene Handgranaten über die Leinwand rennen, sonst passiert nichts.


Wie kann man sie pushen?

ANTONIN SVOBODA: Indem man ihnen Rollen schreibt und indem man ihnen den Raum gibt, gewisse Dinge auszuprobieren. "Authentisch" ist so ein abgenütztes Wort. Letztendlich geht es aber darum. Ihnen im Gegensatz zu klischeehaften Charakteren und stereotypen Handlungsabläufen etwas zu bieten, das originäre und spontane Momente hat und ihnen ermöglicht, dabei auch mal so richtig frech sein zu dürfen. Diese Arbeitsweise hat das erleichtert. Es hat auch einfach gepasst. Es geht in Spiele Leben darum, dass sich ein manisches Spiel, das auf eine materielle Gewinnchance fokussiert ist, in ein Spiel zwischen Menschen transformiert wird. Nicht jetzt im Sinne von Gefühle spielerisch zu betrachten, sondern etwas Emotionales und etwas, das zum zwischenmenschlichen, spontanen, überraschenden Zusammensein zählt, zu entwickeln.


Das Drehbuch war total auf die Figur des Kurt fokussiert, im Endergebnis ist der Schwerpunkt nicht mehr so deutlich, auch Tanja bekommt ziemliches Gewicht, v.a. die Beziehung zwischen beiden.

ANTONIN SVOBODA: Das war eine Dynamik, die sich bei den ersten Proben ergeben hat. Georg Friedrich stand fest, wir haben dann ausführlich für Tanja gecastet. Es hat bei den beiden einfach gezündet, da war eine gegenseitige Spielfreudigkeit. Die Tatsache, dass sich die beiden von so entfernten Enden des Universums treffen, aber erstaunlicherweise sich auch schauspielerisch sehr viel zu geben haben, das war ein totaler Glücksfall. Und dieser Umstand hat auch im Film seinen Platz gefunden. Dadurch dass ich einen spielsüchtigen, getriebenen Taugenichts habe, dem das Leben widerfährt, den das Leben mit- und auch aufreißt.


Als Sie zu schreiben begonnen haben und Georg Friedrich schon als Protagonisten im Auge hatten, war noch nichts von diesem Karriereschub zu ahnen, zu dem es die letzten Jahre gekommen ist. Was war damals schon so faszinierend, ihm unbedingt eine Hauptrolle auf den Leib zu schreiben.

ANTONIN SVOBODA: Ich war vielleicht zehn und sah Lumpazivagabundus im Fernsehen. Das war seine erste Rolle und das Bild, wo er da als Dreizehnjähriger das Hobellied gesungen hat, hat sich mir eingeprägt, ich hatte damals schon den Eindruck – der ist ein Fremdkörper. Er ist immer wieder aufgetaucht und verschwunden, spielte meistens Strizzis mit einer klischeehaften Schwere. Ich hatte als Grundlage für diesen Film einen Freund, der spielsüchtig war. Mich hat an ihm begeistert, dass er so getrieben und verhängnisvoll agiert, und gleichzeitig als Mensch irrsinnig wach und lebendig und neugierig durchs Leben geht. Für mich war das immer eine perverse Kombination – A lebenshungrig und wach – B lebensunfähig, weil er sich nicht in dieses System integrieren kann, weil ihm die nötige Fertigkeit fehlt. Bei Georg spürte ich das: süchtig sein, manisch sein, ohne dass er als Schauspieler so wirken will wie. Das spielt man ja nicht so einfach. Es ist schwierig, so etwas in der Aura entstehen zu lassen, ohne klar dechiffrierbare Akzente zu setzen. Es ging darum, mit einer gewissen Leichtigkeit und Sehnsucht leben zu wollen und das Leben zu suchen. Die Kombination bei ihm ist wunderbar – so brüchig er wirkt, so ist er auf der anderen Seite so transparent, dass man so richtig reinschauen kann.


Das Spiel als solches nimmt eine sehr ambivalente Rolle ein – einerseits als destruktive und auch als konstruktive Kraft.

ANTONIN SVOBODA: Das ist wirklich ein sehr komplexes Thema, wo es viele Ansätze gäbe. Es war meine Absicht, dass ein gesellschaftlich systematisiertes, ersatzmäßiges Spielen wie die Spielsucht (das Spielen um Geld im Casino) eine Wandlung erfährt, von einem Spielen, das sich nicht von materiellen Werten bestimmen lässt, zu einem Spielen miteinander, wo ich aufmache, wo ich meinen ganzen Charakter erlebe und offenbare und den anderen dazu einlade, Schönes und Hässliches zuzulassen. Ich erlebe es immer wieder, dass jede Art von Vitalität und zwar im kleinsten Zustand etwas wie eine hemmende Gegenkraft produziert. Es wird so viel Lebendigkeit nicht wahrgenommen und deshalb gibt es bei mir diesen Fokus auf das Spielen miteinander. Wir kennen nichts anderes mehr als das materialisierte Spielen. Alles hat seinen Preis. Das spannendste Material zum Spielen sind immer noch die Menschen untereinander. Es gibt so viele Teile der Persönlichkeit, die man ausleben kann, man muss nicht immer gleich ein anderes Leben leben, sondern es genügt, mehr Variations- und Spielfreudigkeit innerhalb des Lebens zuzulassen. Dann verändert sich auch etwas, weil andere Erfahrungen hineinkommen und man aus einem inneren Bedürfnis heraus einen Weg findet. Angesichts unserer Überfluss- und Überdrussgesellschaft, so wie ich sie erlebe, mit ihrem zwanghaften Bedürfnis nach Fun war es mir wichtig, diesen Fokus zu setzen.


Sexualität spielt in diesem Spiel eine wichtige Rolle?

ANTONIN SVOBODA: Ich glaube Spiel ist Teil der Sexualität. Sie ist mir als Thema im Film wichtig, weil sie auch viel zu sehr kommerziell und manipulativ ausgeschlachtet wird. Ich spreche nicht von Pornografie. Es geht um Sexualität vor dem Hintergrund des Einflusses der katholischen Kirche, auch wenn man das im Kino gar nicht mehr sehen will. Die meisten Menschen sind sich gar nicht bewusst, wie subtil das wirkt. Es wird ein Moralkodex weitergegeben, der heute zwar eher durch die Gesellschaft als direkt durch die Kirche auferlegt wird. Sexualität ist heute nach wie vor ein großes Tabu und man kann nicht aufhören, darüber Filme zu machen oder sie zu thematisieren. Mir war es wichtig, sie in einer selbstverständlichen Weise zu thematisieren. Ich wollte es in keiner Weise relativieren. Die sollten einfach ihr Ding machen, Spass dabei haben und das entwickeln, worum es eigentlich geht. Der Zuschauer kann dann sagen, das ist interessant oder sich vielleicht doch sagen, ist doch nicht meins.


Am Ende des Films gibt es verschiedene Optionen. Warum?

ANTONIN SVOBODA: So wie ich in meinem Film die Beziehung porträtiere, ist es immer so, dass es gerade am Überlaufen ist. Irgendwann wird es zuviel. Es ging auch darum etwas zu finden, was den Würfel, diesen Despoten in Frage stellt. Es ist natürlich eine filmische Spielerei und natürlich gibt man sich als Regisseur auch gerne der Möglichkeit hin, den Zuschauer zu verführen und ihn quasi zu überrumpeln. Man hat etwas gesehen, das offensichtlich Realität war und dann wird man wieder zurückversetzt und man fragt sich, ist das jetzt ein Traum. Was sehen wir da jetzt? Wünscht er sich das jetzt? Oder wünschen wir uns das jetzt. Wie empfinden wir das? Das löst sich erst später auf, wenn man mit der Zwei wieder zurück zur Tankstelle kommt, dann kommt. Das Publikum erlebte diesen Moment als Irritation, weiß aber ab Drei, dass das System ist und wird zuvor in einer Übergangsphase in einem filmischen Schwebezustand gehalten. Was ist jetzt eigentlich los? Kino ist immer auch ein Spiel mit dem Zuschauer, ich konnte mir nur einfach nicht vorstellen, dass man diesen Film mit einem klaren Ende oder einer klaren Message beendet.


Wie wird es mit neuen Projekten weitergehen?

ANTONIN SVOBODA: Ich betreue produktionstechnisch Projekte in der coop99. Da wird die Frage interessant, was Hubert Sauper oder Hans Weingartner machen, was nicht unbedingt heißen muss, dass sie wieder mit uns arbeiten werden. Von unserer Seite besteht natürlich Interesse. Es wird ein neues Projekt von Jessica Hausner geben, es geht darum, dass Barbara Alberts Film Fallen oder Schweben eine entsprechende Plattform findet. Dann gibt es ein paar Projekte, die als minoritäre Koproduktionen hier landen, die aber noch nicht spruchreif sind. Für mich persönlich gibt es ein Projekt, das ich mit Grissemann und Stermann vorbereite. Es ist ein Projekt, das aus ihrer Feder stammt, es ist entsprechend bitterböse und bizarr. Sie schreiben sich selber ihre Rollen und spielen auch. Es ist vom Konzept her insofern mit Spiele Leben vergleichbar, als ich es mag, Künstler sich in ihrer Eigenheit verwirklichen zu lassen. Das darf natürlich nicht zum Selbstzweck sein. Ein Kinofilm mit den beiden, darf nichts mit einem österreichischen Kabarettfilm gemein haben, sondern muss noch einmal ganz etwas Eigenes haben. Das, was sie im Radio oder auf der Bühne praktizieren, das muss der Film auf die Spitze treiben. Wenn wir mit der nächsten Schreibphase glücklich sind und es Förderstellen gut finden, könnte es ein Projekt sein, das demnächst in die Herstellung geht und wo ich Regie führe.


Wird es auch einen eigenen Stoff in einem eigenen Buch geben?

ANTONIN SVOBODA: Was ein nächstes eigenes Drehbuch betrifft, möchte ich gerne etwas für Birgit Minichmayr schreiben. Wenn ich sage, ich schreibe etwas für sie, dann denke ich schon an etwas, wo es um mehr geht, als darum, in einer Frauenrolle eine gute Performance zu bringen. Die Figur, die ich im Kopf habe, ist eine wirkliche Tänzerin am Rande unseres Weltverständnisses. Darum geht sie auch ziemlich weit. Sie geht so weit, dass sie Weltbilder umstülpt. Ich denke an eine Figur, die so ein bisschen greifbar macht, was könnte ein Wiedererwachen eines Matriarchats sein und was könnte eine Wechselwirkung zwischen Patriarchat und Matriarchat sein? Wann haben wir das verloren? Es geht um sehr archaische Elemente, die ich in einer sehr poppigen Figur transportieren und nacherlebbar machen möchte.

Interview: Karin Schiefer
2005