INTERVIEW

Antonin Svoboda  über die Dreharbeiten von SPIELE LEBEN

«Es ist von selbst gelaufen, glaube ich. Die Ideen kamen von einem zum anderen und es war wie ein nach Sternschnuppen Greifen.» Antonin Svoboda über den Dreh von Spiele Leben.

Wie kann man am ersten Tag nach dem Dreh eine Einschätzung abgeben, einen kurzen Rückblick machen. Wie ist es gelaufen.


ANTONIN SVOBODA: I Es ist von selbst gelaufen, glaube ich. Die Ideen kamen von einem zum anderen und es war wie ein nach Sternschnuppen Greifen. Im Moment des kreativen Schaffens war das jedenfalls so ein Gefühl, auch wenn das jetzt so hochtrabend klingt. Dieser Moment, wo ein Buch Fleisch wird. Für mich war das besonders, weil ich ja seit sieben Jahren ausschließlich als Produzent tätig war und nicht Regie geführt habe.


Georg Friedrich scheint von Anfang an Ihr Wunschkandidat für die Hauptrolle gewesen zu sein.

ANTONIN SVOBODA: Ich kenne Georg schon lange aus seinen Filmen und ich habe das Drehbuch mit ihm im Hinterkopf geschrieben. Es entstand auch aus dem Bedürfnis heraus, ihn in einer Hauptrolle im Kino zu sehen. Ich wollte einen sympathischen Loser. Es sollte keine Geschichte im Vordergrund stehen, ich wollte das Tragische in einem Charakter haben. Es ist schließlich mehr daraus geworden, dank dem, was von außen eingebracht worden ist. Birgit Minichmayr hat wesentlich dazu beigetragen, dass aus diesem Spielerdrama ein Liebesdrama wurde. Das Genre hat sich plötzlich gewandelt, oder sagen wir geklärt. Aber auch Gerti Drassl hat mehr eingebracht als eine Beziehung, die in Trennung begriffen ist. Es sind alle so persönlich an die Sache herangegangen, ich war immer sehr erstaunt, wie berührend das alles ist und wie sehr man mitbebt, während der Szenen, ob es nun traurig oder euphorisch ist.


Das Drehbuch lässt bei vielen Szenen einiges offen und überlässt viel der Improvisation. Wie haben Sie die Schauspieler vorbereitet?

ANTONIN SVOBODA: Sehr unterschiedlich. Es gab sehr viele Locations, sehr viele Darsteller, professionelle und nicht professionelle. Manche brauchen genaue Direktiven, bei denen, wo es möglich war, erst im Spiel den Moment zu suchen, haben wir das Buch nur als Skizze verwendet, aber natürlich haben wir auch vor Drehbeginn geprobt. Mir ist das Arbeiten mit den Schauspielern sehr wichtig, ich habe für meine Diplomarbeit an der Filmakademie Wien eine Schauspielerin, Katrin Cartlidge, interviewt, weil ich von einer Schauspielerin wissen wollte, was da eigentlich passiert? Das war sehr spannend, einmal von der anderen Seite zu hören, wie sie arbeiten – Lars von Trier oder Mike Leigh z.B. Ihre Arbeitsweisen hatte ich im Hinterkopf. Die Frage, die sich für mich stellte, war, hab ich selbst die Möglichkeit, so etwas umzusetzen. Gottseidank hat sich sehr schnell ein gutes Vertrauensverhältnis und Verständnis dafür entwickelt, dass es darüber hinausgehen soll. Der Film braucht keinen Rahmen. Es gibt zwar eine Linie, aber wir haben eher nach den ausufernden Momenten gesucht.


Was natürlich auch ein Risiko in sich birgt...

ANTONIN SVOBODA: Klar. Das kann in alle Richtungen laufen. Dazu braucht es ja auch mich, sonst hätte ich gleich nach Hause gehen können, auch wenn es manchmal so ausgeschaut hat. Hin und wieder hab ich dann doch etwas gesagt. Die Ausgangsidee war mit Kameramann Martin Gschlacht besprochen – die Schauspieler sollen die Kamera führen und das gipfelte manchmal in bis zu 45-minütigen-Durchläufen mit nur wenigen, hineingeworfenen, Bemerkungen. Das war für Martin eine physische Herausforderung, sechs Wochen aus der Hand zu filmen ist sowieso Wahnsinn, weil die Kamera an sich schon ein schweres Ding ist, aber dann auch noch 45 Minuten dafür zu sorgen, dass das, was sich vor der Kamera energetisch auf- und entlädt, zu kadrieren.... Georg Friedrich und Birgit Minichmayr sind wie zwei Kometen aufeinander gestoßen ? als sie sich bei der ersten Probe noch vor Drehbeginn getroffen haben, da hat es für mich schon gezündet und das Spiel wurde einfach auf den Punkt gebracht. Dann immer noch tiefer zu gehen und sich immer mehr zu erlauben und zu provozieren, das sind Momente, wenn so etwas passiert und die Bilder sich ergeben, das berauscht einfach. Gedreht haben wir auf Video, das war ein Kriterium.


Gab es bei diesen Improvisationen mehrere Takes?

ANTONIN SVOBODA: Man holt sich gewisse Dinge noch einmal. Das ist als hätte man ein paar Seerosen ausgeteilt, auf denen man thematisch herumhüpft, ein paar Schlüsselmomente. Wie die Schauspieler dann hüpfen, von wo nach wo, wie und wo sie landen, das ist nicht festgelegt. Es war für die Schauspieler spannend, wir für uns haben etwas gefunden, um den Raum für Möglichkeiten zu öffnen und auch viel auszuprobieren, was schließlich nicht gepasst hat. Es war ein interessanter Prozess, das zuzulassen, zu weit oder auch in die falsche Richtung zu gehen, aber ohne Angst, sondern einfach zu schauen und ein Gefühl zuzulassen. Manchmal war es gar nicht nötig, dass Martin und ich miteinander sprachen, weil es nicht nötig war, es ist einfach sehr viel non-verbal abgelaufen, nicht nur zwischen uns auch zwischen den Schauspielern. Es hat anfangs eine Zeit gedauert, aber nicht wirklich lange und dieses Arbeitsfeld war ein Wunsch von mir, es ging mir darum, ein Feld zu haben, in dem man arbeitet, wo jeder mit dabei ist und schön war es auch, Dinge auszureizen.


Wie haben Sie sich das Profil eines Spielsüchtigen erarbeitet?

ANTONIN SVOBODA: I Ich hatte einen Freund, der Spieler war, den konnte ich über Jahre hindurch studieren und ich habe von Dostojewski Der Spieler gern und früh gelesen. Was mich bei der literarischen Vorlage interessiert hat, war das Ende. Weniger diese Abhängigkeit, das Spiel, das Geld, die Haltlosigkeit und Sinnlosigkeit im Leben, sondern wenn er dann das Geld hat, fährt er nach Paris, um in einem Rausch zu enden. Es kommt dann auch die Ernüchterung, aber dieser Rausch ist einfach lebensbejahend, diesen Aspekt wollte ich auch in den Film mitnehmen.


Was war der Grund, weshalb Sie das Spiel als Sucht ausgesucht haben?

ANTONIN SVOBODA: Das Buch habe ich vor 15 Jahren gelesen und dann kamen philosophische Assoziation dazu, wo es darum geht, das Leben auch als Spiel zu betrachten, etwas, das immer weniger gestattet wird, wir müssen immer mehr funktionieren. Wir bekommen so viel vorgeschrieben auch wenn es nur durch die Werbung geschieht, es gibt für alles ein Programm. Für mich hat das dann bald etwas mit Programmierung zu tun, und nicht mehr viel mit freiem Willen. Freier Wille ist für mich schon die Anarchie, man muss schon weiter gehen, um freien Willen spürbar oder zeigbar zu machen. Es gibt bewusst keine Gewaltmomente in meinem Film. Es gibt Beziehungsgewalt, aber weder Mord noch Totschlag, das hat mich vom Plot her nicht interessiert. Ich wollte es zwischen den Menschen abgehandelt haben, über Themen wie Liebe, Treue, Vertrauen, Neid und Hoffnung.


Der Aspekt vom Leben als Spiel betrachtet ist im Film ja nicht gerade positiv verwirklicht?

ANTONIN SVOBODA: Es gibt ein Gedicht von Rilke, wo eine Zeile sagt: "Lass dir alles geschehen, Schönheit und Schrecken, du musst nur gehen...". Das hat etwas von Sich-treiben-Lassen. Getrieben sein ist nicht unbedingt immer etwas Negatives. Sich treiben lassen ist für westliche Begriffe ein beängstigender Zustand, es ist aber eine durchwegs positive und nicht nur philosophische Lebensbetrachtung.


Am Ende des Films erhält der Inhalt gewissermaßen auch eine formale Umsetzung, indem der Würfel über den Ausgang der Geschichte entscheidet?

ANTONIN SVOBODA: Der Versuch ist mal da, ob es gelingt, weiß ich nicht. Die Idee wäre, einen Film so enden zu lassen, dass es kein klares Ende gibt. Man glaubt immer zu wissen, was man tut, man nimmt sich immer etwas vor. Was wäre, wenn man die Dinge laufen ließe, wenn man nicht so zweckorientiert denkt oder entscheidet. Wenn man als Zuschauer eine gewisse Leichtigkeit gegenüber Entscheidungen als Gefühl aus dem Film mitnimmt. Leichtigkeit heißt weder Nachlässigkeit noch Verantwortungslosigkeit. Es geht auch sehr viel darum, dass gewisse Dinge auch Konsequenzen haben. Ich wollte mich nur von der Zweckorientiertheit einen Schritt entfernen, wo ich im vorhinein schon denke, was danach hoffentlich eintreffen wird.


Haben Sie auch direkt an den Spielstätten, in Casinos recherchiert?

ANTONIN SVOBODA:  Ich habe mich mal bei Anonyme Spieler eingeschleust, das ist ein Verein, der von Casinos Austria unterstützt ist, mit der Idee, die Spielsucht nicht in den öffentlichen Raum dringen zu lassen. In den Casinos Austria durften wir nicht drehen, es wird auch bestritten, dass das Casino-Publikum ein Suchtpublikum ist. Ihr Publikum besteht laut Casinos aus Gelegenheits-, Wochenend- und Unterhaltungsspielern und ein paar Süchtige, für die es die anonymen Spieler gibt. Wenn man es mit dem Blick von innen nach außen betrachtet, dann ist es genau umgekehrt. Es ist nur etwas, wo der Staat sehr gut mitverdient, das Glückspiel ist monopolisiert und mit hohen Steuern belegt. Wir haben auch gestaunt, wie viele Spiellokale existieren und ständig neu eröffnet werden. Die Spielsucht ist ja nicht auf Casino und Spielautomaten beschränkt, es geht ja weiter mit Brieflosen und Gewinnspielen, man kann permanent etwas riskieren und gewinnen. Die Frage ist, warum ist es immer auf das Monetäre beschränkt, in Wahrheit kann ich ja auch das Leben als Spiel betrachten und das war einer meiner Hintergedanken.


Gedreht wurde zum größten Teil in Wien?

ANTONIN SVOBODA: Ich wollte Wien nur ein bisschen ungewohnter, schmutziger sehen und einen Film machen, der auf der Straße spielt, das war mir sehr wichtig. Wien einmal nicht eingerahmt betrachten, sondern die Straßen, Gänge, Häuser und Fluchten, Verkehrsmittel zeigen. Ein kleines Team haben, um beweglich zu sein, einfach den Zufall mitspielen zu lassen. Es ist so ein beglückender Moment, wenn nicht nur im Input der Schauspieler der Zufall seinen Platz hat, sondern auch außen an den Locations etwas dazukommt.


Haben Sie das Drehbuch alleine verfasst?

ANTONIN SVOBODA: Ich habe allein begonnen, dann gab es Versuche, mit verschiedenen Leuten daran zu arbeiten. Am glücklichsten war ich mit Katharina Held, die auch mit Hans Weingartner das Buch für Die fetten Jahre sind vorbei geschrieben hat. Mit ihr habe ich das Buch am intensivsten verändert, sie hat auch einen Zugang, der etwas mit "Figuren treiben lassen" zu tun hat. Es gab sehr viele Fassungen, aber das, was wir jetzt gedreht haben, macht vielleicht 50 Prozent des Buches aus. Es ist noch einmal etwas anderes daraus geworden. Nicht, dass eine andere Geschichte daraus geworden ist, aber was sich da alles verdichtet hat und was noch hineingekommen ist. Wo ich geglaubt habe, dass in einer Spielertragödie der Fokus doch primär auf der Sucht liegt, ist eine Beziehungsgeschichte geworden und hoffentlich ein total berührender dramatischer Liebesfilm, weil sich das so intensiviert hat.


Welches Resümee ziehen Sie selbst für sich als Regisseur?

ANTONIN SVOBODA:  Das schönste für mich war, wie ein Chamäleon durch diesen Dreh zu wandeln, weil jeder eine andere Handhabung gebraucht hat und ich hatte das Gefühl, dass ich mir mit Martin abholen konnte, was möglich war. Was bald klar war, es geht um Euphorie und zwar nicht nur vor der Kamera. Entscheidend ist, dass jeder seine Methode findet. Ich habe nach diesem ersten Langfilm das Gefühl, sie gefunden zu haben. Für mich ist es der offene Raum, die offene Arbeit, das offene Aufeinander-Zugehen ohne zu pushen. Ich habe mehr bekommen als ich mir habe vorstellen können. Trotzdem muss man nüchtern bleiben. Völlig berauscht und trotzdem nüchtern sein.


Interview: Karin Schiefer (2004)