Antares oder "Gegenmars" oder "Herz des Skorpions" ist einer der hellsten Sterne am Himmel. Er ist so rot wie der Mars, und
wie sein astraler Gegenpart nach dem Gott des Krieges benannt. Wer unter ihm geboren ist, dem ist das Kämpfen bereits in die
Wiege gelegt.
Antares ist der Titel von Götz Spielmanns neuem Film, der im Zeichen des Skorpions drei Geschichten von der Macht der Gefühle
und den Verwirrungen des Herzens erzählt. Davon, wie die Liebe lautstark und gewaltsam, oder auch still und leise in Trümmer
gehen kann. Wohntürme am Rande der Stadt liefern das Setting für drei Geschichten, die gleichzeitig passieren, sich da und
dort vernetzen, aber in der Erzählung eine hinter die andere gereiht werden. Drei Paare, drei soziale Hintergründe, ein und
dieselbe Stadtrandsiedlung. Die Grundrisse der Wohnungen der drei Familien sind so ident wie die Sehnsüchte ihrer Seelen und
ihr Vorsatz, das Modell von Vater-Mutter-Kind zu verwirklichen. Schief geht's bei allen, auf dem grauen Ledersofa wie auf
der knalllila Kika-Couch, zu Schuberts Klaviertönen ebenso wie beim Fußballmatch aus der Glotze.
Alfred ist Beamter, Eva Krankenschwester, ihr Eheleben ein langer ruhiger Fluss. Wenn nicht gerade die 14-jährige Tochter
zu laute Musik spielt, sind keine unangebrachten Töne in der biederen Dreizimmerwohnung zu hören. Alfred spürt zwar, dass
etwas an der Eintracht abzubröckeln beginnt, während er sich aber noch den Kopf zerbricht, wie er Evas Wünsche erahnen und
erfüllen könnte, holt sie sich in den Armen eines tschechischen Arztes auf der Durchreise, was zu Hause nicht zu kriegen ist.
Schattengestalten Sonja ist vielleicht gerade zwanzig, kassiert im Supermarkt, und hat es schon recht eilig, mit Marco, dem
Plakatierer aus Ex-Jugoslawien, ein Nest mit Baby zu bauen. Ihre Eifersucht versetzt Sonja mehrmals täglich in Raserei. Marco
nimmt ihre Szenen einfach hin und geht trotzdem in aller Ruhe fremd. Nicole und Alex haben es eigentlich schon hinter sich.
Sie wünscht sich nur noch eines - , dass er endlich aus ihrem Leben verschwindet. Doch er will nicht glauben, dass es
auch ohne ihn geht. Er steht regelmäßig an Nicoles Tür und brüllt ihr seine Liebe ins Gesicht.
Beide haben sie Pech: Alex übersieht eine rote Ampel, beim Versuch in voller Fahrt, die Alarmanlage seines Cabrios abzustellen.
Nicole lebt in der irrigen Meinung, dass Marco, der sie gelegentlich besucht, der neue Mann in ihrem Leben ist. Götz Spielmann
erzählt in Antares von der Diskrepanz zwischen Innen- und Außenwelten. Er blickt hinter Wohnungs- und Zimmertüren und lässt
den Zuschauer wie einen Voyeur in private Welten schauen - ins Hotelzimmer, wenn die Handkamera von einem nackten Körper
zum anderen schwenkt, oder in die Wohnungen, wo das Geschehen nur zum Teil durch offene Zimmertüren beobachtet wird. Martin
Gschlachts bestechend präzise, teils nur sparsam ausgeleuchte Bilder zeigen oft nur Ausschnitte von den Körpern der Protagonisten,
als wäre nur ein Teil von ihnen im Spiel, und lassen die Figuren manchmal nur im Schatten ihrer selbst agieren. Die letzte
Einstellung richtet sich auf den enormen Wohnblock als Inbegriff der trostlosen Gleichförmigkeit. Zunächst bei Tageslicht,
dann wird es im Zeitraffer dunkel und die Lichter an den Fenstern gehen an und aus. Die Einheitsfassade sendet Lebenszeichen
aus - gleichsam als Appell an die zahllosen individuellen Lebensgeschichten der Menschen dahinter, die sich alle tagtäglich
durch die unüberwindbaren Widersprüche zwischen Lebensträumen und den kleinen, persönlichen Unzulänglichkeiten mühen.
Karin Schiefer
2004