Eine Dreizimmer-Wohnung, die vor Normalität geradezu besticht: Das Zimmer einer 14-jährigen mit Plüschtieren und Shakira-Poster,
das Wohnzimmer mit einer penibel sortierten Klassik-CD-Sammlung, das Schlafzimmer mit einem Schick, der leicht verjährt ist.
Der Blick aus dem Fenster fällt auf massive Siedlungstürme, die den Großstadtrand säumen und v.a. monotones Einerlei, Lebensfrust
und Konformismus vermitteln. Leicht könnte der falsche Eindruck entstehen, doch Götz Spielmann hat sein Setting unter einen
roten Stern gestellt und Antares, der feuerrote Doppelstern im Zeichen des Skorpions, kündet von Leidenschaft und Eifersucht,
von Gewalt, Krise und Tod.
Ende April fiel nach zwei Monaten Dreh die letzte Klappe zu Antares, der neuesten Kinoarbeit von Götz Spielmann. Sie handelt von drei Paaren und verzehrenden Gefühlen, erzählt in drei zeitgleichen,
aber hintereinander angeordneten Episoden, die nach und nach ungeahnte Berührungspunkte an die Oberfläche bringen. "Mich beschäftigt
schon lange", so der Regisseur, "die Tatsache, dass wir in weitaus größerem Zusammenhängen stehen, als uns bewusst wird, anders
gesagt: dass Einsamkeit und Isolation eine Illusion des Bewusstseins ist. Um dem Zuschauer nacherlebbar zu machen, dass alles
Lebendige in einer viel größeren Vernetzung steht, wählte ich die Erzählstruktur des Hintereinander für drei parallel stattfindende
Geschichten." Drei Mal wurde der gleiche Wohnungsgrundriss in den Korneuburger Studios der Lotus-Film bis ins Detail für drei
grundverschiedene Lebensentwürfe dreier Paare ausgestattet, die jeweils eine Geschichte von der Eifersucht, vom Verlassensein
und von der Leidenschaft erzählen: Alex, ein schnell zu Handgreiflichkeit neigender Immobilienmakler lebt mit Nicole in Trennung,
er ist kurz wegen einer Wohnungsbesichtigung mit Alfred in Kontakt; Sonja, eine Supermarktkassiererin täuscht Marco eine Schwangerschaft
vor, um ihn endlich an sich zu binden, ihre Eifersucht ist berechtigt, denn Marco betrügt sie mit Nicole; Eva, eine Nachtkrankenschwester
hat eine leidenschaftliche Affäre und beginnt, Alfred zu entgleiten, der den Versucht unternimmt, mit einem Wohnungswechsel
die 15-jährige Ehe noch zu retten. Den Einheitswohnpark hat Götz Spielmann nicht nur deshalb gewählt, weil er eine ideale
Kulisse für seine Alltagsfiguren quer durch Milieus und Generationen bildet, er sieht im äußerlich öden Massendomizil ein
treffendes Bild der aktuellen Gesellschaft, denn "bei aller Konsumauswahl und", so Spielmann, "wird uns ununterbrochen ein
unerhört gleichförmiger Blick aufs Leben serviert. Ich glaube aber, dass sich sehr viel mehr Menschen als man denkt, dem auf
irgendeine Art und Weise widersetzen, um seelisch zu überleben. Die Siedlung ist für mich ein Bild dafür, nach außen Monotonie
und nach innen den Kampf um das, was als Notwendigkeit für die eigene Existenz spürt."
Gegen die Konventionen entschied sich der Filmemacher auch bei der Erstellung des Drehbuchs, das Szenen und Dialoge nicht
bis ins Detail festlegte, sondern eine dramaturgisch präzise Grundstruktur vorgab, die dann in der Probenarbeit mit den Schauspielern
erst ihre endgültige Form annahm. Ein Konzept, das es Spielmann ermöglichte zwei seiner Anliegen zu verfolgen, nämlich sowohl
in der narrativen Struktur als auch im Schauspiel neue Wege zu beschreiten. Die Entscheidung, simultane Ereignisse hintereinander
zu erzählen war ein Versuch, dramaturgische Möglichkeiten auszureizen, um von konventionellen Erzählformen wegzukommen. "Es
reizt mich sehr", erläutert der Regisseur, "die klassische Dramaturgie so zu brechen, dass trotzdem eine klare Geschichte
herauskommt, die für den Zuschauer auch sinnlich, nicht nur intellektuell erlebbar ist. Wenn man Drehbuch und Film miteinander
vergleicht, wird man feststellen, dass der Film seiner Vorlage sehr nahe ist. Ich habe eigentlich nur den Prozess der Schauspielerarbeit
und den des Dialogschreibens umgekehrt". Von seinen Schauspielern verlangte Spielmann zunächst eine intensive Auseinandersetzung
mit der Figur Petra Morzé wachte mit den Nachtdienstschwestern im Spital, Sonja Wuest, schob mehrere Tage lang die
Waren an der Supermarktkasse über den Scanner, um ganz ins Milieu ihrer Rollen einzutauchen. Die Frage, wie lässt sich ein
vitales Spiel im Kino erreichen, ohne dass es auf Kosten der Genauigkeit in der Inszenierung geht", ist eine weitere Herausforderung,
der sich Spielmann als Regisseur immer wieder stellt. Theater, Schauspielschulen oder kleine Nebenrollen in Filmen bildeten
während eines langen Castings die Fundgruben für Götz Spielmann, der bei der Auswahl seiner Darsteller besonders auch auf
deren Fähigkeit zum Improvisieren achtete. "Ich habe mich", erklärt der Filmemacher, "sehr viel mit Improvisieren beschäftigt
und in Gesprächen mit Schauspielern festgestellt, dass die Improvisation in anderen Ländern einen größeren Stellenwert in
der Ausbildung einnimmt. Das habe ich mir zur Aufgabe gestellt, dieses Feld zu erforschen und herauszufinden, wie ich als
Regisseur die Darsteller zur Improvisation führen kann.
Andreas Patton (Tomas) und Petra Morzé, die Darstellerin der Eva, die sich aus ihrer lauen Ehe in eine stürmische Affäre stürzt,
waren umso mehr gefordert, ihre Grenzen als Schauspieler auszuloten, denn Spielmann entschied sich in Antares für einen sehr
expliziten Umgang mit Sexualität. "Es fasziniert mich", so Spielmann, "obwohl wir ununterbrochen mit Signalen von Sex bombardiert
werden, immer noch ein sehr großes Tabu in diesem Thema steckt. Nicht in der Nacktheit, sondern im Verschweigen des Existenziellen,
das darin steckt. Durch die Darstellung des Körperlichen kann ich von etwas, das dahinter steckt erzählen und eine Metaebene
sichtbar oder spürbar machen. Auszusparen hätte geheißen, die Bedeutung von Sex zu vergrößern. Genau das wollten wir nicht,
sondern sehr nüchtern und sachlich damit umgehen, es zeigen, damit das Eigentliche sichtbar wird.
Schlichtheit im Stil war auch die Vorgabe, die die Zusammenarbeit mit Kameramann Martin Gschlacht bestimmte und bei der es
vor allem darum ging, Balance zwischen einem exakt definierten Konzept von Bildern und Rhythmus und dem spontanen Reagieren
auf den Augenblick am Set zu halten. Wenig gesetztes Licht in Verbindung mit einem hochempfindlichen Filmmaterial und teilweise
Verwendung der Handkamera unterstrichen den reduzierten, authentischen Anspruch der Handschrift in Antares, "die", so der Regisseur, "auf etwas Unsichtbares, Verborgenes zielt, auf eine heimliche Kraft, aus der jeder meiner Filme
einen guten Teil seiner Energie bekommt". Einen Film, der von der unergründliche Kraft zwischen zwei Menschen erzählt, über
die Spannung zwischen den Polen von Männlichkeit und Weiblichkeit, die Sehnsucht nach Einheit und das unvermeidliche Scheitern
in diesem lebenslangen Streben. "Pessimistisch" lässt der Regisseur jedoch als Sichtweise auf den Film nicht gelten. "ich
halte verkitschte Darstellungen vom Leben für immens pessimistisch, weil niemandes Leben so stattfindet. Pessimistisch ist
die Angst, vor Angst etwas die Augen zu schließen, insofern ist Antares ein optimistischer Film, weil er die Augen nicht zumacht.
Und darin steckt auch Hoffnung. Es gehört zur Aufgabe von Kunst, davon zu erzählen, wie die Dinge wirklich sind, und zwar
mit Kraft, mit Lust, mit Fantasie.
Karin Schiefer
2003