Ein Moldawier möchte nach Spanien, doch seine Schlepper lassen ihn in Österreich im Stich. Ein Fremdenpolizist sucht nach
den richtigen Worten, um seine Ex-Frau zurückzugewinnen. Der Zufall oder vielmehr ein Glücksengel nimmt sich der Sache an.
Anja Salomonowitz hat gemeinsam mit Dimitré Dinev das Drehbuch für ihren ersten Spielfilm SPANIEN geschrieben, gedreht wurde
im Herbst 2010.
Wirklichkeit und Fiktion gingen bei Anja Salomonowitz schon in ihrem letzten Film Kurz davor ist es passiert Hand in Hand. Im September und Oktober drehte sie ihren ersten Spielfilm, Spanien. Doch ehe der Dreh zu Ende ist, hat die Wirklichkeit die Fiktion schon eingeholt. Denn während sie in der milden Herbstsonne
rund um die Barockkirche im Weinviertler Stranzendorf die letzen noch glaubwürdigen Sommerbilder einfängt und der Fremdenpolizist
Albert, eine der Hauptfiguren im Film, seine Nase in die Schlaf- und Badezimmer gemischt nationaler Ehepaare steckt, sind
die rüden Abschiebepraktiken der österreichischen Fremdenpolizei zum innenpolitischen Tagesthema der großen Medien geworden.
Fremdsein und das Streben nach einer besseren Existenz im Westen, die skrupellosen illegalen Geschäfte wie auch die perfiden
legalen Hindernisse, die sich damit verbinden, spannen den realistischen und zeitaktuellen Hintergrund einer Erzählung, die
Regisseurin Anja Salomowitz vor allem als leidenschaftliche Eifersuchtsgeschichte verstehen will und mit Koautor Dimitré Dinev
als mitteleuropäischen Western angelegt hat. Sava, ein junger Moldawier, der auf dem Weg nach Spanien von seinen Schleppern
in Österreich hängengelassen wird, Albert, der Fremdenpolizist, der nicht wahrhaben will, dass ihn seine Frau verlassen hat
und Magdalena, die alles tut, um sich Ihrem Ex-Ehemann zu entziehen, formen das Dreieck, über ihnen schwebt als eine Art Glücksengel
Gabriel, ein spielsüchtiger Kranfahrer, der der Liebesgeschichte ungewollt ihren Lauf gibt.
Die Idee, in einem weiteren Film vom dokumentarischen ins fiktive Erzählen zu gehen, entstand im Zuge der Recherchen, die
Anja Salomonowitz für einen Dokumentarfilm über binationale Ehen anstellte und die grobe Übergriffe der Behörden ins Privatleben
der Menschen offen legten. Mit dem aus Bulgarien nach Österreich emigrierten Schriftsteller Dimitré Dinev saß sie zwei Monate
lang zu exakt geregelten Schreibzeiten am Computer, um gemeinsam am Konstrukt von vier einander berührenden Schicksalen zu
bauen. Dieser erste Wurf ruhte dann für zwei Jahre, ehe er wieder aufgegriffen, verdichtet und mit der Dor Filmproduktion
drehfertig gemacht wurde. «Was uns am Drehbuch gefiel», so Produzent Danny Krausz, war seine Homogenität. Vielen
Büchern fehlt es oft an Distanz, SPANIEN trägt auch autobiografische Züge, doch die werden spielerisch umgangen. Und es ist
sehr klug konstruiert, mit Schicksalen, die nichts miteinander zu tun haben und doch ineinandergreifen.»
Für die Figur von Sava hatte Anja Salomonowitz beim Schreiben stets den französischen Schauspieler Grégoire Colin als Bild
vor sich, und sie ließ es schließlich auf einen Versuch ankommen, ihn zu fragen, ob er nicht tatsächlich in die Rolle schlüpfen
wollte. Nachdem Colin zugesagt hatte, musste er nicht nur seine deutschen Repliken mit moldawischem Akzent lernen, sondern,
um glaubwürdig als Restaurator zu erscheinen, auch Holzschnitzen und Vergolden. Er war damit keineswegs der einzige, von dem
die Filmemacherin eine intensive Vorbereitung einforderte. «Den Schauspielern war schnell klar,» so Danny Krausz, «dass Anja
sie mit ihrem Routinespiel nicht davonkommen lassen würde.» Eine Herausforderung, die für die Hauptdarsteller aber auch die
besondere Qualität dieses Drehs ausmachte. «Wenn der Regisseur», so Cornelius Obonya, «versucht, mich zu irritieren und mich
in eine andere Richtung zu treiben, als ich mir das vorgestellt hatte, dann lass ich mich gerne leiten». Im Laufe seiner Vorbereitung
auf die Rolle des Albert führte er nicht nur Gespräche mit Mitarbeitern der Fremdenpolizei und von SOS Mitmensch, sondern
auch mit Ärzten, über Psychogramme von Männern, die die Tatsache, dass sie ihre Partnerin sie verlassen hat, beharrlich verleugnen
und zu stalken beginnen. «Man kann nicht», so Obonya weiter, «alles, was man recherchiert hat, einbringen, aber ich hoffe,
man wird es in meinem Gesicht sehen». Lukas Miko lernte für seine Rolle des Gabriel einen Kran zu manövrieren, traf spielsüchtige
Menschen in Therapie und verbrachte sehr viel Zeit allein und mit der Regisseurin im Kasino, um die Facetten seiner Rolle
auszufeilen. Er mag der rätselhafteste Charakter sein, denn er kann eine gelungene Existenz vorweisen mit intakter Familie,
eigenem Haus und gutbezahltem Job, ehe er alles in seinen Spielschulden versenkt. «Es ist etwas», so Lukas Miko, was
ich als Schauspieler nicht benennen will, weil es ein Geheimnis und diesem Menschen selbst ein Rätsel ist».
Unausgesprochen und ungewiss bleibt vieles in diesem Film, Anja Salomonowitz verwebt und verwringt vier Schicksalsfäden, um
sie am Ende dem Zuschauer zum Weiterspinnen zu überlassen. «Zum interessanten narrativen Zugang,» so Danny Krausz, «kam
auch noch eine klare formale Annäherung , die sich durch eine optische Stringenz und eine farbliche Dramaturgie auszeichnet».
Berge von Bildbänden arbeitete Anja Salomonowitz in der Vorbereitungsphase durch, um den Look ihrer Bilder bis ins Detail
zu definieren, für seine Umsetzung konnte sie ihre Produzenten überzeugen, den Kameramann Sebastian Pfaffenbichler zu engagieren,
der seine Bilderfahrung aus der Werbung mitgebracht hat. «Der Lichtaufwand für Spanien ist hoch», so Danny Krausz, « und soweit
es irgendwie möglich ist, erfüllen wir die hohen Ansprüche». So wurde z.B. die für das Verständnis des Plots entscheidende
Eröffnungssequenz mit einer auf 40 Meter gespannten Seilen und zwischen vier 50-Tonnen-Kränen schwebenden Kamera aufgenommen.
Umso knapper ist allerdings das Zeitbudget des mit 2,3 Mio kalkulierten Projekts. Bei sechs Wochen Drehzeit mit einem
häufigen Locationwechsel für den Kirchenraum, in dem Magdalena und Sava ihre Restaurierungsarbeiten erledigen, wurde
man in Bruck an der Mur fündig, die geeignete Kirche von außen entdeckte man im Weinviertel, ein Casino, das Filmaufnahmen
erlaubte, erst in Slowenien ist der zeitliche Bogen auf äußerste gespannt und forderte großen Einsatz vom gesamten Team.
Die minutiöse Vorbereitungsarbeit mit den Darstellern machte sich umso mehr bezahlt.
Begegnungen zwischen Wirklichkeit und Fiktion ziehen sich von Anfang bis Ende dieser Reise nach Spanien, eine davon wird auch
ein eindrucksvolles Zeitdokument hinterlassen. Denn trotz aller Widerstände war es gelungen, eine Drehgenehmigung auf der
akteullen Riesenbaustelle des neuen Wiener Südbahnhofs zu erlangen. Und so fügte sich für kurze Zeit das Filmteam in dieses
kaum überschaubare logistische Großunternehmen, wo Menschen als verschwindend kleine Größe mit verschiedenfarbigen Helmen
ausgestattet werden, um sie von weitem in ihrer Zuständigkeit am Bauplatz einordnen zu können. Die quasi außerirdischen Gäste
vom Film hat man für die beiden Drehtage unübersehbar mit roten Helmen versehen. (ks)