INTERVIEW

«Es muss klicken.»

Als Produzentin stand Katharina Posch von Beginn an auf zwei Standbeinen. Zum einen in der NGF Geyrhalterfilm, wo sie als Junior Producerin begann und zuletzt für die erfolgreichen Christine Nöstlinger-Adaptationen (Neue) Geschichten vom Franz verantwortlich zeichnete. Zum anderen ist sie Mitbegründerin des Kollektivs European Film Conspiracy, das sich formierte, um alternativ und mit low budegts unkonventionelles Kino auf die Leinwand zu bringen. 2024 ist sie in Cannes Österreichs Producer on the Move in der von EFP lancierten Netzwerk-Plattform für junge europäische Produzent:innen.

 
Mit welchem aktuellen Projekt werden Sie in Cannes bei PRODUCERS ON THE MOVE Ihre europäischen Kolleg:innen treffen?
 
KATHARINA POSCH:
Mein aktuelles Projekt in Entwicklung für das ich noch auf der Suche nach Koproduzent:innen und einem Sales Agent bin, heißt I’m not here to make friends und ist die erste allein verantwortete Regiearbeit von Julia Niemann, die bereits bei den letzten beiden Filmen von Daniel Hoesl Ko-Regie geführt hat. Es geht um ein Reality TV-Szenario, ein Bachelorette-Format auf einer entlegenen mediterranen Insel. Er spielt mit Elementen von Horror und Satire und geht der Frage nach, warum wir so süchtig nach Aufmerksamkeit sind. Dass vieles auf Tatsachen beruht, hat Julia Niemann durch ihre Backstage Erfahrungen im Reality TV mitgenommen. Sie möchte erzählen, wie sehr sich eine Frau in dieser Reality-Welt verstrickt und nicht mehr heil herausfindet, es ist eine Welt, in der der Kampf um Aufmerksamkeit und die Sehnsucht nach Liebe so groß sind, dass man alles dafür in Kauf zu nehmen scheint. I’m not here to make friends zeigt auf, dass es nicht darum geht, als nette, beliebte Person erfolgreich zu sein. Die meiste Aufmerksamkeit generiert besonders frau dann, wenn sie von allen gehasst werden kann. Das Treatment wurde bereits vom ÖFI gefördert und beim österreichischen Drehbuchbewerb Diverse Geschichten mit einem der Preise ausgezeichnet.
 
 
In der NGF Geyrhalterfilm haben Sie zuletzt gemeinsam mit Michael Kitzberger zwei Filme für junges Publikum – (Neue) Geschichten vom Franz – als Produzentin verantwortet. Die NGF Geyrhalterfilm ist aber schon viel länger Ihre berufliche Heimat. Wie und wann hat Ihre Zusammenarbeit mit dieser Firma begonnen?
 
KATHARINA POSCH:
In der NGF habe ich vor nunmehr dreizehn Jahren als Produktionsleiterin von u.a. Nikolaus Geyrhalters Kinodokumentarfilmen begonnen. Parallel dazu habe ich auch Arthouse-Spielfilme wie L‘Animale oder Licht als Junior Producer begleitet, später kamen auch Doku-Koproduktionen wie The Visit von Michael Madsen dazu. Ich habe Michael Kitzberger in vielen Abläufen der Spielfilmproduktion unterstützt und Einblicke in diese Prozesse gewonnen. Da ich nicht an der Filmakademie studiert hatte, musste ich immer on the spot lernen.
 
 
Wie hat es sich dann weiterentwickelt?
 
KATHARINA POSCH:
2018 war ein entscheidendes Jahr für mich. Ich hatte nach den beiden Kindern und knapp sechs Jahren in der Produktionsleitung den Wunsch, meine Position in der Firma zu verändern. In der Folge tat sich in der NGF die Möglichkeit auf, eigene Sachen weiterzuentwickeln, darunter die beiden Familienspielfilme, die während der Pandemie entstehen konnten. Da Reisen unmöglich war, konnten wir keine weltweiten Dokumentarfilme drehen, einige Projekte waren somit on hold und es konnte viel Energie in die Entwicklung gehen. Das war, so gesehen, ein positiver Aspekt in dieser Zeit.
 
 
Neben der – nennen wir es klassischen Produktion­ – haben Sie auch ein sehr interessantes und erfolgreiches alternatives Produktionsexperiment mitgetragen: Mit der European Film Conspiracy haben Sie im Kollektiv mit Daniel Hoesl, Gerald Kerkletz, Julia Niemann und Georg Aschauer die ersten langen Low Budget-Filme von Daniel Hoesl Soldate Jeanette und WinWin produziert. Welche Philosophie stand hinter diesen Projekten?
 
KATHARINA POSCH:
Beim Projekt European Film Conspiracy ging es uns darum, auf eine andere, weniger aufwändige Weise unsere Filmideen mit geringeren finanziellen Mitteln umzusetzen, weil uns der klassische Weg mit Einreichung, Drehbuch und einem Stab von 40 Personen für diese Art von Filmen nicht geeignet erschien. Wir sahen auch keine Chancen auf Finanzierung. Das waren meine ersten Erfahrungen als Produzentin, ich war Ende zwanzig. Es passte gut in meinen Lebensentwurf, auf diese Weise Projekte mit wenig finanziellen Mitteln umzusetzen. Wir haben dabei viel gelernt und mit Soldate Jeanette einen schönen Erfolg erreicht; der Film hat seine Premiere in Sundance gefeiert und kurz danach den Tiger Award in Rotterdam gewonnen. Es haben sich aus dieser Zusammenarbeit langjährige Freundschaften entwickelt, die mich bis jetzt begleiten, wie z.B. das oben erwähnte Filmprojekt von Julia Niemann, oder der Anfang 2024 in Sundance gezeigte Veni Vidi Vici von Daniel Hoesl und Julia Niemann, wo die NGF als kleiner Finanzierungspartner eingestiegen ist. Das waren sehr wichtige Jahre für mich und ich bin sehr stolz auf das, was wir mit diesem alternativen Ansatz geschafft haben. Ich bin auch weiterhin Teil der European Film Conspiracy, die Projekte sind weiterhin auf einen kleineren, umsetzbaren Rahmen beschränkt. Zuletzt ist der Essayfilm Il Gran Casino von Daniel Hoesl, innerhalb der European Film Conspiracy entstanden, der sich gerade in der Fertigstellung befindet.
 
 
Erinnern Sie sich noch an Ihre grundlegende Motivation, Produzentin zu werden? Ihre ersten Schritte im Produktionsgeschäft?
 
KATHARINA POSCH:
Erste Berührungspunkte entstanden im Kurzfilmnetzwerk kino 5. Da ging es darum, innerhalb weniger Tage einen Film von der ersten Idee bis zum fertigen Film umzusetzen. Dafür gab es weltweit und europaweit viele Treffen in einem Netzwerk, das NisiMasa hieß. Wichtig war hier die europaweite Vernetzung unter Filmschaffenden, durch die ich bis heute viele Kontakte behalten habe. Ich habe das Gefühl, dass ich meine bisherigen Filme deshalb produziert habe, weil ich sie unbedingt selbst sehen wollte. Und ich probiere gerne etwas Neues aus. Soldate Jeannette war für mich eine Art von Film, wie ich sie aus dem Low-Budget-Bereich in den USA oder Mittelamerika, wo ich einige Jahre davor verbracht hatte, gekannt habe. Später bei Geschichten vom Franz war mein Antrieb, Originalgeschichten aus Österreich zu verfilmen, die ich auch meinen eigenen Kindern zeigen konnte, weil es hier wenig bis keine Auswahl gab.
 
 
Welches waren die entscheidenden Erfahrungen in Ihrem Werdegang als Produzentin?
 
KATHARINA POSCH:
Als Produzentin haben mich sowohl die Erfahrungen geprägt, low budget einen Festivalfilm zu produzieren, als auch ein komplett neues Genre zu denken, wie es eben bei Geschichten vom Franz die Kinder-und Familienunterhaltung war.
Man muss dranbleiben, egal bei welchem Projekt oder Budget, nie werden alle Leute automatisch toll finden, was man vorhat. Hartnäckigkeit zu bewahren bei Projekten, wo man überzeugt ist, dass sie wichtig und berechtigt sind. Man muss immer wieder aufs Neue andere davon überzeugen, warum ein Projekt finanziert oder auf bestimmte Weise umgesetzt werden sollte. Wenn man selbst von einem Projekt nicht wirklich überzeugt ist, dann ist es schwierig. Für mich wie für die meisten Produzent:innen ist es ausschlaggebend, mit wem der Film realisiert wird. Ich sammle immer mehr Erfahrung, was es bedeutet, ein Team zusammenzustellen und die besten Kollaborateure für einen Film zu finden. Das ist heute ganz anders als vor zwölf Jahren, wenn man ein bisschen reinstolpert und auch ein bisschen Glück haben muss.
 
 
Was war Ihr erster großer Erfolg?
 
KATHARINA POSCH:
Als meinen ersten großen Erfolg würde ich auf alle Fälle Soldate Jeannette bezeichnen, der 2013 in der World Cinema Competition in Sundance gelaufen ist und eine Woche später den Tiger Award gewonnen hat. Dieser Film, der ein Budget von € 65 000,- hatte, ist nach diesem Start unzähligen Festivaleinladungen gefolgt, Regisseur Daniel Hoesl war ein Jahr lang unterwegs. Ich als Produzentin war nicht so oft dabei, ich habe das Premierenfestival Sundance schon mit Babybauch besucht….
 
 
Im Statement zu den aktuellen Dreharbeiten von Marie Luise Lehners Spielfilmdebüt Wenn du Angst hast nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst sagen Sie: Der Film entlässt uns sensibilisiert und gestärkt in die Welt hinaus. In eine Welt, in der es mehr denn je darum geht, der nächsten Generation Mut zu machen und wieder zueinander zu finden. Worin sehen Sie Ihre Kernphilosophie und vielleicht auch Kernzielgruppe in Ihrer Tätigkeit?
 
KATHARINA POSCH:
Es geht mir um gesellschaftlich relevante Themen; sie sind es, die uns mehr denn je antreiben. Wenn ich einen Stoff vorgeschlagen bekomme, dann geht es nicht nur ums Thema, es geht vielmehr auch darum, wie ein Thema erzählt wird. Um genauer einschätzen zu können, wie sich ein:e Regisseur:in den Film vorstellt, ist es natürlich wichtig, die Vorarbeiten gut zu kennen. Marie Luise Lehner hat sich ihr ganzes Schaffen lang den Themen gewidmet, die im Film jetzt vorkommen. Sie beschäftigt sich mit Scham, mit Herkunft, mit gesellschaftlichen Themen von Klasse und Zugehörigkeit. Alles mit einem künstlerischen, aber auch humorvollen Zugang. Sie ist keine Filmemacherin, die moralisiert. Sie findet sehr schöne, feine Bilder für die feinen Unterschiede in der Gesellschaft, um die es konkret in diesem Film geht. Das sind, ganz polemisch, gesagt, die Unterschiede zwischen Unterschicht und Oberschicht und die Frage, wohin dieses Mädchen mit 13 zum ersten Mal hineingerät. Beim neuen Stoff von Julia Niemann ist es so, dass sie sich mit großer Kenntnis und Interesse ein Format anschaut, das als Trash-TV schon seit 30 Jahren in einer gewissen Art von Fernsehen dominant ist und immer vielschichtiger und abgründiger wird. Ich selbst bin ohne Privatfernsehen aufgewachsen und schaue auch heute keine Reality-Formate. Ich habe eine gewisse Scheu davor, was auch für eine Art Verdrängung meinerseits spricht. Aber wenn man einen Ort finden will, der sinnbildlich für das steht, was permanentes Gefilmt- und Angeschaut-Werden (wie wir es ja auch privat oft praktizieren) auslöst, dann ist es bestimmt Reality-TV. Da gibt es kein Entrinnen mehr vor der Kamera, denn in jedem Lebensbereich dieser Reality-Show läuft eine Kamera: die totale Überwachung. Da ist es schon interessant zu fragen, wer sind diese Kandidat:innen und was treibt sie an?
 
 
Wenn sich mehrere interessante Stoffe anbieten, was gibt den Ausschlag, sich für den einen zu entscheiden?
 
KATHARINA POSCH:
Klar muss es eine persönliche Sympathie für einen Stoff geben, von dem ich überzeugt bin. Ich muss argumentieren können, dass gerade in diese Geschichte Fördergelder investiert werden sollen und dazu muss ich großes Vertrauen in die Autor:in bzw. die Regieperson haben, dass sie:er die richtige Person ist, die hinter dem richtigen Thema steht und dass der künstlerische Ansatz stimmig ist. Wenn diese Faktoren zusammenwirken, dann habe ich ein gutes Gefühl, auf das ich mich verlassen kann. Es muss klicken. Es muss mich nachhaltig interessieren, denn ein Filmprojekt beschäftigt uns mehrere Jahre.
 
 
Sie entwickeln nicht nur Film-, sondern auch Serienstoffe. Woran arbeiten Sie gerade? Worin unterscheiden sich diese Formate in Ihrer Tätigkeit voneinander?
 
KATHARINA POSCH:
Serienentwicklung ist in der Tat eine ganz andere Erfahrung, weil über andere Wege finanziert wird und wir auch bereits in der ersten Phase der Entwicklung mit vielen Autor:innen zusammenarbeiten, während es im Arthousefilm oft dieselbe Person ist, die sowohl das Drehbuch schreibt als auch Regie führt. Bei der Serie Shit Happens, die wir gerade entwickeln und in der es – inspiriert von einem Podcast und basierend auf einer wahren Geschichte – um eine Haschisch-Dealerin, die in den neunziger Jahren tätig war, geht, war es so, dass wir durch eine Autorin auf den Stoff aufmerksam wurden. Wir benötigten zunächst auch eine Ko-Autorin. Jetzt habe ich eine Drehbuchfassung vom Piloten und einen Staffelbogen, der sehr ausgereift ist, die ich an Finanzierungpartner und Sender schicken kann. Ich habe gewiss zwei Jahre Vorarbeit mit der Entwicklung von fünf Serien verbracht, die parallel in verschiedenen Stadien entstehen. Ich hatte zuletzt bei der Berlinale sehr produktive Treffen, wo auch ich als Koproduzentin angefragt wurde. Bei deutschsprachigen Projekten, die für den deutschen Markt entstehen, steht immer die Frage im Raum, ob sie für den ORF interessant genug sind. TV-Sender sind grundsätzlich eher interessiert, aus ihrem eigenen Land etwas zu realisieren. FISA+ ist eine große Hilfe für Serienproduktion. Da ist es essentiell, dass wir vor Ort drehen und das Fördergeld in Österreich ausgeben. Wir haben noch keine Serie verwirklicht, wir werden das aber hoffentlich bald machen.
 
 
Ist die Öffnung zur Serie ein unabdingbarer Schritt für eine Produktionsfirma geworden?
 
KATHARINA POSCH:
Es wäre schade, wenn man das auslässt. Es ist ja auch eine Frage der Reichweite und der Attraktivität eines Mediums. Der Serienboom hat ja auch uns nicht kalt gelassen und wir schauen alle unsere Lieblingsserien. Aktuell finde ich gerade Ripley sehr gelungen. Es hat mich überrascht, wie selbst Netflix bereit war, in formaler Hinsicht ein Wagnis einzugehen und Schwarzweiß und eine für das Streamer-Verhalten sehr ungewöhnliche Kamera zuzulassen.
 
 
Worin bestehen Ihre Erwartungen an Producers on the Move?
 
KATHARINA POSCH:
Ich bin überzeugt davon, dass es sehr bereichernd sein wird. Ich werde die Gelegenheit nutzen und die Projekte, die ich „mitbringe“, bei verschiedenen Sales Agents pitchen und mich mit meinen Kolleg:innen austauschen über mögliche Koproduktionen. Es ist eine tolle Chance und ein sehr gutes Timing für mich und die anstehenden Projekte.


Interview: Karin Schiefer
April 2024