Kathy Acker hat viele Grenzen überschritten. Sie hat sexuelle Tabus gebrochen, aber auch Gesetze des Literaturbetriebs. Indem
sie sich bestehender Texte bedient hat, hat man sie der Piraterie bezichtigt, was sie als Literatin in Gefahr gebracht hat.
Barbara Caspar: Eine Technik, der sie sich bedient hat, war, dass sie bekannte Texte, die in die Kultur-und Literaturgeschichte
eingeschrieben sind, verwendet und umgeschrieben hat. Das ist eine Form von Plagiarismus oder Piraterie. Einige Leute haben
das witzig und gut gefunden, solange sie sich auf klassische Autoren wie Shakespeare beschränkt hat. Wo es aber wirklich problematisch
geworden ist, war dort, wo sie lebende Schriftsteller wie Harold Robbins nennen wir es in ihren eigenen Kontext gesetzt
hat." Der hat sich mit einer Klage zur Wehr gesetzt und sie wurde von den literarischen Zirkeln beinahe exkommuniziert. Sie
musste unterschreiben, dass sie das nie wieder machen würde, was sehr erniedrigend war. Jetzt ist Sampling in allen Sparten
total in, es hat sie das Schicksal jener ereilt, die ihrer Zeit voraus sind.
Menschlich gesehen gewinnt man durch die Interviews den Eindruck, dass sie jemand war, den die Menschen, die ihr nahe waren,
sehr mochten. Gleichzeitig hat sie das Bild einer sehr kämpferischen, harten Frau nach außen projiziert, das auf die Dauer
aufrecht zu erhalten, sicherlich sehr schwierig war.
Barbara Caspar: Ich glaube nicht, dass sie eine einfache Persönlichkeit war, das kam in den zahlreichen Gesprächen auch durch.
Sie war sehr egozentrisch in dem Sinn, als sie sich den Raum geschaffen hat, um diese Persona zu kreieren. Es war sicher so,
dass die private Kathy Acker eine andere war als die öffentliche. So wie eben viele Leute nach außen etwas anderes verkörpern.
Jeder Mann, der diese sexuell offene, harte Frau auf dem Motorrad erlebt, erwartet auch im Privaten eine starke" Frau
und gleichzeitig halten die Männer das gar nicht aus. Jeder Mensch braucht einen Rückzugsort, wo er einfach sein, oder schwach
sein darf. Ich glaube nicht, dass Kathy Acker diesen Raum gehabt hat. Sie hat für sich selbst Dinge nur schwer zugelassen,
gleichzeitig war sie aber sehr bedürftig nach Zuwendung und Anerkennung. Wenn man nach außen hin eine Person kreiert und in
die immer wieder hineinfällt, dann läuft man Gefahr, dass man sich selbst verlieren kann und ich glaube, sie hat sich selbst
stückweise verloren. Es war sehr bezeichnend wie sie am Ende ihres Lebens ihre Krankheit verleugnet hat. Sie hat einfach weitergelebt.
Als sie nicht mehr konnte, hat sie sich einer doppelten Brustamputation unterzogen, wiederum keine Nachfolgetherapie gemacht,
sondern die Krankheit weggeschoben. Als es schließlich gar nicht mehr ging, begann sie dann mit Rebirthing u.ä. was für eine
intellektuelle Frau, wie sie es war, schon wieder fast absurd klingt. Bei ihr ist sehr viel sehr ambivalent. Sie hatte eine
massive Selbstzerstörungskraft in sich, ihr Leben war eine permanente Grenzüberschreitung, was auch anstrengend ist.
Wie schätzen Sie Kathy Ackers Rolle für den Feminismus ein?
Barbara Caspar: Was spannend ist - die erste Generation der Feministinnen hat Kathy Acker abgelehnt. Die hatten ja eine so
radikale Position eingenommen, dass sie jede Form von Geschlechtsverkehr als Vergewaltigung betrachtet haben. Da ist Kathy
Acker als jemand, der die Sexualität bejaht hat, nicht gut angekommen. Vielleicht hat es aber diese extreme Anti-Haltung auch
gebraucht. Ich glaube nicht, dass sie sich selbst als Feministin bezeichnet hätte. Ich glaube, dass ihr weibliche Anliegen,
Sprache, Begehren und Stellung der Frau - der ganze politische Aspekt von Frau in der Gesellschaft ein großes Anliegen waren,
ob sie deshalb eine Feministin war, würde ich so nicht behaupten. Sie hat einfach nirgendwo hineingepasst.
Wie haben Sie Ihre Interviewpartner für den Film ausgesucht?
Barbara Caspar: Ich habe sehr viele Interviews geführt. Es hatte ja keine Biografie über Kathy Acker, nichts Publiziertes
gegeben und die ersten Leute, die ich getroffen habe, haben mir so widersprüchliche Dinge über sie erzählt, dass es schwer
war, sich ein Bild zu machen. Ich habe deshalb auch ohne große Recherche gleich zu drehen begonnen, weil ich mir sagte, damit
entsteht auch Material zu Kathy Acker. Das war auch der Grund, weshalb ich so viele Leute getroffen habe, von ihrer Schwester
bis zu ihrem Professor, Ex-Liebhaber, von denen einige nicht im Film sein wollten, was ich auch verstehe, weil es ihnen zu
intim war. Was mich aber befremdet hat, war, dass diese Männer einerseits sagten, wie toll sie es fanden, dass Kathy so ein
freizügiges Leben geführt und in starken Büchern Dinge auf den Punkt gebracht hat, dass es ihnen aber lieber wäre, wenn ihre
Töchter diese Schriften jetzt nicht lesen. Ganz schön arg.
Ich habe Interviews in New York, Los Angeles, San Francisco, San Diego geführt. Zunächst mit Ira Silverberg, Kathys Agenten
in New York, dann Matias Viegener, dem literarischen Nachlassverwalter in Los Angeles und sie habe ich natürlich gefragt,
wer die wichtigsten Menschen in Kathy Ackers Leben waren. So haben sich immer wieder Kreise geschlossen.
Bei den jungen Mädchen war es anderes. Ich habe in der Konzeption des Films versucht, einen Weg zu finden, die Literatur
in den Film einfließen zu lassen, um eine plastischere Ebene zu erzeugen. Wir haben in New York nach einem jungen Mädchen
gesucht, das die Janey spielen könnte. Es haben sich über 200 beworben und nach zwei, drei Gesprächen hat sich herausgestellt,
wie toll die sind. Die hatten einen so unbekümmerten Zugang, ich fand sie als Persönlichkeiten so interessant, aber auch das,
was sie zu Kathy Acker zu sagen hatten. So begann ich die Castings zu filmen. Diese Mädchen sind die Generation nach mir,
sie sind z.T. nicht älter als 15, 16, 17, wenn man sie reden hört, ist das sehr reflektiert.