INTERVIEW

«Er transportiert das Melancholische, das Zynische, aber auch Hoffnungsvolle.»

Rickerl hat eine alte Gitarre und großes Talent. Leider auch einen Vater, der es versteht, seinen fragilen Glauben an sich selbst immer wieder zu demontieren. Adrian Goiginger ließ sich für RICKERL – MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY von seiner Liebe zum Austropop leiten und von den Songs und in manchem auch der Lebensgeschichte seines Hauptdarstellers Voodoo Jürgens inspirieren, um den zutiefst wienerischen Sound einer Geschichte von Vätern und Söhnen zu treffen.
 


Noch bevor man das erste Bild von RICKERL – MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY sieht, fällt einem als Zuschauer eine Sprache auf, die wie in allen Filmen von Ihnen eindeutig lokal gefärbt ist. War es in Die beste aller Welten, Märzengrund und in einem Teil von Der Fuchs eine österreichische Sprachfärbung aus den Bundesländern, so ist es diesmal der Wiener Dialekt. Und es ist gleich mal klar, dass es in diesem Film auch ums Hören geht. Die Sprache ist eines, die Musik ein anderer Aspekt. Was hat Sie für dieses Projekt nach Wien geführt?
 
ADRIAN GOIGINGER:
2017 war ich alleine für Die beste aller Welten auf Kino-Premierentour in Deutschland unterwegs. Um eine Verbindung zur „Heimat“ zu behalten, habe ich sehr viel Austropop gehört und bin so auf Voodoo Jürgens‘ erstes Album Ansa Woar gestoßen und hab mich sofort in Musik, Texte und dieses Gefühl, das drinnen steckt, verliebt. Ich hab mir seine Musikvideos und Konzertmitschnitte angeschaut und dabei auch gesehen, dass er ein Showman ist, Ausstrahlung und Präsenz hat. Daraufhin habe ich mal anfragt, ob er grundsätzlich an einem Filmprojekt Interesse hätte. Mich hat es auch deshalb gereizt, weil ich immer – gerade was die Sprache betrifft – ein Fan des Wienerischen war. Ich bin mit Serien wie Ein echter Wiener geht nicht unter oder Kaisermühlenblues oder auch mit Alltagsgeschichten, der Doku-Serie von Elizabeth T. Spira aufgewachsen und wollte in diesem Milieu schon lange etwas machen. Außerdem war ich immer ein großer Austropop-Fan …Wolfgang Ambros, Rainhard Fendrich, Georg Danzer, Ludwig Hirsch. Sie sind ältere Semester oder nicht mehr da. Voodoo Jürgens ist für mich der Musiker der jüngeren Generation, der am stärksten diesen Spirit, das Melancholische, das Zynische, aber auch Hoffnungsvolle transportiert. Voodoo Jürgens‘ Reaktion auf meine Anfrage war positiv, wir haben uns zu einem Casting getroffen. Die Arbeit vor der Kamera hat auch sehr gut funktioniert, wir haben einen Teaser aus diesem ersten Material geschnitten und so ist es losgegangen.
 
 
Für RICKERL war also zuerst die zentrale Figur da, ehe es eine Geschichte gab.
 
ADRIAN GOIGINGER:
Absolut. Bei der Geschichte hat es dann auch länger gedauert. Das war zunächst ein Probieren. Es hat auch eine frühe Fassung gegeben, die Voodoo gar nicht gefallen hat. Wir haben uns nochmals zusammengesetzt, man kann aber keinesfalls sagen, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt, aber vieles, was er erzählt hat, hat mich inspiriert. Voodoo hat in der Tat wie auch zu Beginn des Films auf einem Friedhof gearbeitet, er hat auch erst relativ spät seine Karriere gestartet und es sind viele Anekdoten aus seinem Leben eingeflossen. Es war ein sehr lustiger Prozess, die Story herauszufinden.
 
 
Kann man sich die Drehbucharbeit auf mehreren Säulen aufbauend vorstellen: die fiktive Geschichte von Rickerl – die reale Geschichte des Musikers Voodoo Jürgens und die Live-Musik / seine Songs, die wiederum in die Geschichte passen mussten? Wie haben diese Elemente ineinandergegriffen?
 
ADRIAN GOIGINGER:
Ich habe in einem ersten Schritt mit Voodoo sehr ausführliche Gespräche über sein Leben und seinen Werdegang geführt, mich dafür interessiert, welche Gefühle diesen Weg bestimmt haben, damit ich sowohl die Figur als auch das Milieu gut verstehen konnte. Dann habe ich von allen Liedern die Texte im Detail analysiert, viel auch nachgefragt, was mit bestimmten Dingen genau gemeint war. Da ist er sehr offen Rede und Antwort gestanden. Irgendwann standen wir vor der Frage nach dem Plot. Wir haben gemeinsam entschieden, dass es ein Kind geben sollte. Da Voodoo im echten Leben eine Tochter hat, wollte er, dass es im Film ein Sohn ist, damit wir nicht zu nahe am Biografischen waren. Für mich als Drehbuchautor war der Durchbruch in dem Moment geschafft, als sich die Vater-Sohn-Geschichte herauskristallisiert hat, in ähnlich gespiegelter Weise wie in Der Fuchs. Irgendwie zieht es mich immer wieder zu den Vätern hin. Meine Dramaturgin Franziska Buch hat mal analysiert, dass der Umstand, dass ich selbst die ersten Jahre meines Lebens ohne Vater aufgewachsen bin, damit zu tun hat, dass es bei mir oft um Väter geht, die nicht da sind oder die etwas lernen müssen. Dieses Verhältnis spiegelt sich in RICKERL durch die Figur von Rickerls Vater, der der Antagonist ist, der ihn immer runterdrückt, sodass man versteht, warum ihm der Mut fehlt, mit seiner Musik wirklich etwas zu machen. Rickerl muss diese Hürden selbst überwinden, um ein guter Vater für seinen Sohn sein zu können. So haben wir den Plot aufgebaut und ich habe versucht, die Lieder gut einzubauen, damit man das Gefühl bekommt, dass es sich nicht nur einfach um schöne Lieder handelt, sondern dass sie die Welt, in der er lebt, reflektieren und erklären.
 
 
Die Lieder haben also nicht nur eine musikalische und emotionale Ebene in den Film gebracht. Wenn der Text im Detail eine so wichtige Rolle spielt, dann wohl auch eine inhaltliche. Wie ist die Wahl auf die Songs gefallen, die nun drinnen sind.
 
ADRIAN GOIGINGER:
Die Auswahl haben wir gemeinsam getroffen. Ich habe Vorschläge gemacht und Voodoo hat mir sein Feedback gegeben. Für mich war z.B. der Song Ollas nimma deins vom zweiten Album ‘S klane Glücksspiel ein unumgängliches Lied. Das brauchten wir, weil es seine Nostalgie und Liebe zur Vergangenheit zeigt. Vergangenheit ist ein großes Thema dieses Films. Rickerl lebt ja in der Vergangenheit, hat Freunde, die älter sind als er und in einer anderen Zeit groß geworden sind. Er hat kein Smartphone, er kann im Film so viel rauchen, wie man es in den neunziger Jahren konnte. Wir haben versucht, die Vergangenheit festzuhalten, damit deutlich wird, dass er sich in der Gegenwart unwohl fühlt. In der Stammtischrunde wird einmal „auf die Vergangenheit, wo alles noch weniger Oasch war.“ angestoßen. Das ist eine Art Leitsatz für die Figur geworden. Drei Gschichtn ausm Café Fesch kommt vor, das ist textlich mein Lieblingslied. Mit Weh au Weh wird seine Phase mit dem Job am Friedhof verarbeitet. Sein persönlichstes Lied ist Tulln.
Ich habe den Film immer auch als Musikfilm – nicht als Musical gepitcht. Bei der Aufnahme war es unser Ziel, dass die Musik am Set aufgenommen und nichts nachvertont wird. Das ist eher unüblich und sehr aufwändig. Wir hatten ein vergleichsweise großes Ton-Department, bei der Wahl der Locations musste daher sehr Acht gegeben werden. Und wir haben auch stark Voodoos Wünsche berücksichtigt, damit er ganz befreit spielen konnte. Wir haben die Songs auch immer in der vollen Länge aufgenommen, damit ein Flow gegeben war und entsprechend dann geschnitten. Allgemein muss ich sagen, dass Voodoo Jürgens wahnsinnig professionell und diszipliniert als Schauspieler war. Er musste jeden Drehtag auf der Matte stehen und der ganze Film hängt an ihm. Obwohl er keine schauspielerische Ausbildung hat, hat er wirklich abgeliefert.
 
 
Rickerl ist eine Figur, die eine Verbindung zwischen zwei Welten herstellt, auch wenn er fast zu jung schient, um mit Kassetten-Recorder und Schreibmaschine einen vertrauten Umgang zu haben. Wie sehr ist Voodoo Jürgens auch ein Musiker, der auch in der frühen Tradition des Austropops mit der aktuellen verbindet? Warum gibt es auch Ihrerseits diese Nostalgie zur alten Welt?
 
ADRIAN GOIGINGER:
Es gibt sehr viele Parallelen zwischen meinem und Voodoos Leben. Wir sind beide in schwierigen familiären Verhältnissen aufgewachsen und es war uns beiden Musik immer besonders wichtig. Interessanterweise sind wir beide mit derselben Musik aufgewachsen, obwohl er ein bisschen älter ist als ich. Wolfgang Ambros ist ein großer Verknüpfungspunkt zwischen uns beiden. Voodoo hat sich das Plakat des jungen Ambros im Film gewünscht und es stand für uns beide fest, dass die Abspannmusik von Wolfgang Ambros kommen musste. Wir sind dann auf einen relativ unbekannten Ambros-Song gestoßen. Voodoo hat auch sehr viel dazu beigetragen, dass wir noch andere Austropop-Songs im Film platzieren: u.a. Hans Orsolics, Heinrich Walcher, STS. Wir mögen beide das Milieu, das wir erzählen. Einer der Gründe, warum er mitgemacht hat, war auch mein erster Film Die beste aller Welten, der ihm sehr gut gefallen hat. Es verbindet uns sehr viel und wir hatten eine gleiche kreative Ebene, von der aus wir starten konnten.
 
 
Sie erzählen ein sehr spezielles Wien, das aus der Zeit gefallen ist. In welche Quellen, in welche Viertel sind Sie getaucht, um das Ambiente ihrer Geschichte zu spüren. Kann man es noch in der Realität finden oder muss man es in Filmen suchen?
 
ADRIAN GOIGINGER:
Wie immer habe ich versucht, möglichst breit alle verfügbaren Quellen anzuzapfen. Ich denke, ich habe mir alle Folgen von Alltagsgeschichten angeschaut, die das Milieu so exakt auf den Punkt bringen, dass ich manchmal sogar Dialogfetzen übernommen habe. Ein echter Wiener geht nicht unter hat diese Welt gut reflektiert und dann kam noch der Input von Voodoo dazu. Wir haben z.B. seinen Vater getroffen und sind auch in diese Tschocherl gegangen, die es in Wien schon noch gibt, man muss wissen wo. Sie sind aber definitiv am Verschwinden. Und ich fand ein tolles Buch mit dem Titel Golden Days Before They End, das ist ein Fotoband mit so richtig argen Beisln. Das war nicht nur für mich eine tolle visuelle Inspiration, es war auch für Monika Buttinger fürs Kostüm und Enid Löser fürs Szenenbild eine wertvolle Referenz.
 
 
Ein omnipräsentes Symbol für die andere Zeit ist die Zigarette, die in RICKERL – MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY nicht einmal vorm Kinosaal Halt macht. Warum ist Ihrer Meinung nach die Zigarette so stark zum Symbol für eine bestimmte Zeit geworden?
 
ADRIAN GOIGINGER:
Die Symbolik der Zigarette hat sich gewandelt. Eingeführt wurde sie mit dem Tonfilm, damit die Schauspieler:innen, die nun reden mussten, etwas mit ihren Händen zu tun hatten. Durch Humphrey Bogart ist es zu einem Symbol des Helden geworden, ein Bild, das sich vollkommen gewandelt hat. Inzwischen rauchen nur noch die Bösewichte oder die Obdachlosen. In RICKERL – MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY. war die Zigarette ein starkes Mittel, um unser Milieu abzubilden. Es ist ein Bild, das sehr gut in die Vergangenheit passt und es hat einen spannenden visuellen Touch. Es hat uns ermöglicht, die Räume einzunebeln. Die echte Zigarette allein hätte nicht gereicht, wir haben sehr viel auch mit der Nebelmaschine gearbeitet und konnten das Verschwommene, leicht Träumerische erzeugen. Das fanden der Kameramann Paul Sprinz und auch ich visuell sehr ansprechend.
 
 
Das Bild hat eine nostalgische Körnigkeit. Paul Sprinz hat wie in allen Ihren bisherigen Filmen die Bildgestaltung übernommen. Wo haben Sie in der Kameraarbeit Akzente in einem Film gesetzt, in dem es sehr wenige Szenen ohne Dialog gibt?
 
ADRIAN GOIGINGER:
Wir haben digital gedreht, uns aber bemüht eine gewisse körnige Optik des Bildes zu erzeugen. Es stimmt, außer einer montierten Sequenz in der Mitte des Films, wo Rickerl durch das nächtliche Wien spaziert, gibt es im Film keine Szene, in der nicht geredet wird. Dass der Film sehr dialoglastig ist, ist auch dem Milieu geschuldet. Es wird einfach sehr viel und gern geredet, viel Blödsinn, aber auch sehr kluge Dinge. Wir haben jeden Dialog parallel mit zwei Kameras gefilmt, mit meiner Inszenierungsmethode geht das nicht anders, weil ich gerade bei Sequenzen, wo ganze Gruppen im Bild sind, versuche mit einem Kamerasetting alle Schauspieler:innen gleichzeitig zu filmen. Es hat ein Drehbuch mit ausgeschriebenen Dialogen gegeben, die alle genau gelernt haben. Bei den Stammtischrunden habe ich dann beim Dreh bewusst die Texte weggenommen und den Figuren nur Anhaltspunkte gegeben, was sie in der Szene erreichen wollten. Wir haben vor dem Dreh sehr viel geprobt, damit jeder ein gutes Gefühl für seine Figur bekam, wusste, woher er kam und welche Verbindungen zu den anderen Figuren bestehen. Mein Ziel dabei ist, dass ich nichts mehr erklären muss, sondern dass alle die Situation spüren und sich auf den Moment konzentrieren können. Das hat allen sehr viel Spaß gemacht. Am Set haben wir auch wild herumprobiert. Das Erstaunliche war, dass, obwohl ich keine Dialoge vorgegeben hatte und sechs Leute Teil der Runde waren, nach dem vierten Take sich automatisch wieder eine Dramaturgie herausgebildet hatte und jeder Take ziemlich ähnlich verlief. Das ist ein spannender Prozess, auf den ich mich deshalb einlasse, weil ich glaube, dass wir so eine größere Authentizität erzeugen und ein viel freieres Spiel möglich ist.
 
 
Damit das funktioniert, brauchen Sie auch die richtigen Leute. Die Darsteller:innen in RICKERL – MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY mussten gewiss sprachlich ein authentisches Wiener Idiom einbringen. Man entdeckt aber auch Gesichter, die man nicht so oft in österreichischen Kinofilmen sieht.
 
ADRIAN GOIGNGER:
Genau das war mein Wunsch an die Casterin Angelika Kopej. Ich wollte Schauspieler:innen haben, die man weniger kennt, es sei denn, sie spielten sich selbst wie Voodoo Jürgens, der Nino aus Wien. Nicole Beutler, die man gut aus Vorstadtweiber kennt, hat ein Perücke getragen. Ich wollte „frische“ Gesichter, eventuell auch den Effekt erzeugen, dass sich das Publikum die Frage stellt, ob es sich tatsächlich um Schauspieler handelt. Fast alle Erwachsenen sind Profis. Ich brauchte Leute, die des Wienerischen mächtig waren und in die Konstellation mit Voodoo gut hineinpassten. Es war gewiss eines meiner lustigsten Castings. Wir haben im Café Weidinger so richtige Stammtischrunden eingerichtet. Im Zuge von drei, vier Casting-Runden hat sich dieser Kern herauskristallisiert. Es ist mir sehr wichtig, über mehrere Runden zu casten, weil ich mir wirklich sicher sein möchte und die Schauspieler:innen müssen auch mit meiner Arbeitsweise gut umgehen können.
Ben Winkler, unseren Darsteller für die Rolle des sechsjährigen Sohnes, haben wir in Niederösterreich gefunden. Die Dialektfrage war in Wien besonders schwierig. In der Stadt Wien stirbt der Dialekt bei den Kindern wirklich aus. Daher sind wir nach Niederösterreich ausgewichen, wo die Sprachfärbung recht ähnlich ist. Bei den Kindern war die erste Casting-Aufgabe, einen Austropop-Song 15/20 Sekunden lang im Dialekt zu singen. Die meisten haben Ambros oder Danzer gesungen. Ben, der beim Casting gerade sechs war, ist gekommen und hat einen Rapid-Fangesang dargeboten. Damit haben wir ihn aber schon ins Herz geschlossen. Er war talentiert, auch beim Improvisieren und er konnte gut die Wärme und Nähe zu Voodoo rüberbringen. Und was wirklich toll war – er hatte noch nie eine Gitarre in der Hand gehabt und hat in vier Monaten für den Film zu singen und mit der Gitarre dazuzuspielen gelernt. Am Ende des Films singt er ein Lied, das er selber geschrieben hat und in dem er auch seine Eindrücke während des Drehs verarbeitet.
 
 
Der Untertitel Musik ist höchstens a Hobby – ein Songzitat – erzählt von der mangelnden Ermutigung, vor allem vom fehlenden Glauben ans eigene Talent. Kennen Sie diesen schwierigen Schritt, es zu wagen, aus der eigenen Erfahrung? War diese Schwelle, die man im künstlerischen Schaffen überwinden muss, etwas, das Sie thematisieren wollten?
 
ADRIAN GOIGINGER:
Das „Sich-Trauen“ ist mir eher leicht gefallen, ich muss aber auch sagen, dass ich oft gescheitert bin. Ich habe sehr früh mit dem Filmemachen begonnen, viele Projekte wurden nicht realisiert, ich habe auch schlechte Filme gedreht, meine Kurzfilme an der Filmakademie Baden-Württemberg haben nicht so wirklich funktioniert. Ich kenne das Scheitern und auch das Zweifeln sehr gut. Ich hatte auch das Glück, vergleichsweise jung einen ersten erfolgreichen Film zu machen, bei der Filmfigur Rickerl dauert es deutlich länger und auch bei Voodoo Jürgens hat es mit dem Karrierestart länger gedauert. Ich glaube 30 ist ein Turning Point. Wenn man schon länger künstlerisch tätig ist und mit 30 noch nicht da ist, wo die Altersgenossen sind, dann stellt man das eigene Tun in Frage. Über diesen Punkt ist Rickerl weit hinaus und es wird für ihn immer schwieriger, selber dran zu glauben. Der große Unterschied zwischen der Filmfigur und mir besteht darin, dass Rickerl auch noch einen Vater hat, der sagt „Lass es doch bleiben, es bringt nichts.“ Das ist problematisch, denn man strebt immer auch nach der Bestätigung durch die Eltern und wenn dann von deren Seite eigentlich Gegenwind kommt, ist das echt schwierig zu überwinden. Ich denke, jede:r Künstler:in kann mit dem Thema Angst vor dem Scheitern und Zweifel an sich selbst etwas anfangen. Das Absurde ist – das war auch bei Voodoo Jürgens so – , dass man am ehesten Erfolg hat, wenn man sich selbst ganz treu bleibt. Das musste ich selbst auch erst entdecken. Der Weg zu Die beste aller Welten hat über viele Umwege geführt, ich hatte auch erst spät den Mut, meine eigene Geschichte zu erzählen und nicht etwas, was ich mir von Tarantino abgeschaut hatte.
 
 
Das zweite zentrale Thema ist die Vater-Sohn-Beziehung: Die Absenz der Vaterfigur, das Bemühen und Scheitern ein guter Vater zu sein und auch das Weitergeben des Scheiterns im Leben von einer Generation in die nächste.
 
ADRIAN GOIGINGER:
Ich habe schon bei Der Fuchs versucht zu erkunden, wie eine Art Depression, eine Traurigkeit oder auch Schicksalsschläge weitervererbt werden können. In Der Fuchs geht es um die Zwischenkriegszeit, den Zweiten Weltkrieg und die Frage, wann hört es mit dem Schweigen auf. Wann können die Eltern wieder darüber reden und sagen: Ich mag dich. Du bist super. Das konnten die Generationen unserer Großeltern und davor nicht. Bei Rickerl kommt die Frage dazu, wie geht man damit um, wenn der Vater alkohol- und spielsüchtig ist. Es geht nicht nur um körperliche, sondern auch sehr viel um psychische Gewalt. Wo ist der Punkt erreicht, wo ich sagen kann, meine Kindheit war nicht gut, aber die meiner Kinder wird besser. Diesen Sprung zu schaffen, ist nicht einfach. Ich tu mich da leicht, weil ich eine tollte Mutter gehabt habe, was es mir leicht macht, zu meinen Kindern liebevoll zu sein. Meine Filmfigur Rickerl hatte das nicht gehabt, sich davon zu lösen und ein besseres Vorbild zu sein, ist schwierig. Das braucht viel Kraft und Selbstdisziplin und das ist es, was Rickerl lernen muss. Er glaubt lange, dass er nur mit seiner Musik Erfolg haben müsste und dann würde alles gut werden, bis ihm bewusst wird, was er eigentlich lernen muss, nämlich Verantwortung für seinen Sohn zu übernehmen und ein zuverlässiger Vater zu sein.
 
 
Eine weitere Figur, die versucht sich aus einem ungesunden Mechanismus zu befreien ist Viki, die Mutter des gemeinsamen Sohnes mit Rickerl. Welche Gedanken stehen hinter dieser Figur, die es schafft, nicht ins alte Beziehungsmuster zurückzukehren?
 
ADRIAN GOIGINGER:
Viki ist eine zentrale Figur in RICKERL – MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY. Sie ist eine wesentliche Verbindung zum „alten“ Leben. Durch das gemeinsame Kind sind die beiden aneinander gebunden. Irgendwie sehnt sie sich nach diesem alten Leben, wo sie viel ausgingen und nur den Augenblick genossen haben, aber sie hat irgendwann für ihren Sohn entschieden, dass es so nicht weitergehen konnte und dass sie seriöser werden musste. Sie ist eine Zerrissene, Agnes Hausmann bringt das auf wunderbare Weise zum Ausdruck. Rickerl hat sich seine Vergangenheit so zurechtgerückt, wie er’s gerne hätte und die Trennung von Viki in keiner Weise aufgearbeitet. Ihr neuer Mann Kurti repräsentiert die neue Welt und sie muss einen Mittelweg finden, was alles andere als einfach für sie ist.
 

 
Interview: Karin Schiefer
September 2023