INTERVIEW

«Ohne den erzwungenen Rücktritt würde Dohnals Lebenswerk anders dastehen.»

Erste Frauenministerin Österreichs. Stellvertretende Vorsitzende der SPÖ. 16 Jahre Mitglied der Bundesregierung. Ohne Johanna Dohnal wären die ersten Schritte in der Frauenpolitik dieses Landes nicht denkbar gewesen. Sie ist ihre Gallionsfigur und doch ist ihr Image gut zwei Jahrzehnte nach ihrem erzwungenen Rückzug aus der Politik verblasst. Das soll sich ändern: Sabine Derflinger hat in Die Dohnal der unermüdlichen Kämpferin und Wegbereiterin der Frauensache ein vielstimmiges Portrait gewidmet.
 
 
 
Der ursprüngliche Filmtitel lautete Wir wollen die Hälfte vom Kuchen; nun hat er sich auf DIE DOHNAL geändert. Es gibt die verschiedensten Tonfälle, in denen sich „Die Dohnal“  aussprechen lässt. Welche haben Sie denn noch im Ohr, wenn Sie an ihre aktive Zeit denken? Schwingt heute auch Wehmut mit? Welche Assoziationen und Erinnerungen haben sich für Sie vermischt, als Sie begonnen haben, sich mit dieser Politikerin auseinanderzusetzen?
 
SABINE DERFLINGER: In meinen Erinnerungen lebt auf alle Fälle ein bewunderndes „Die Dohnal“. Was ich allerdings von Kindesbeinen an mitbekommen habe, war eher der angestrengte Ton über ein mühsames Ärgernis. Eine Frau hat mir erzählt, dass ihre Mutter dem Vater gedroht habe, „zur Dohnal“ zu gehen; dieser Ansatz war eher neu für mich. Viele Männer, aber auch Frauen haben abwertend über sie gesprochen, andere bewundernd und dann war da gerade auch in Politikerkreisen ein Ton von Spott und Hohn sehr präsent. Wenn ich heute von „der Dohnal“ spreche, dann habe ich ein sehr klares Bild. Mein Blick konzentriert sich auf ihre politische Karriere und auf das, was davon geblieben ist bzw. was erreicht und verhindert worden ist. Mit Wehmut kann ich weniger anfangen. Nostalgisch werde ich beim Sichten des TV-Archivmaterials nur insofern, als ich auch die Geschichte des weiblichen Sakkos wiederentdecke, die im Film auch abgefeiert wird. Der frühere Titel Wir wollen die Hälfte vom Kuchen, trägt eine Sehnsucht nach Gleichbehandlung in sich und ist ein Zitat. Die Arbeit am Film hat mich nochmals klarer und konsequenter positioniert. Der Film kann heute nicht so heißen, denn die Hälfte vom Kuchen gehört uns. Da brauchen wir nicht mehr vom „Wollen“ zu reden. Der Film hat mich für dieses Selbstverständnis sicher gemacht.
 
 
Johanna Dohnal ist zu einer Vorführung von Ihrem ersten Spielfilm Vollgas gekommen. Was hat sie für Sie bedeutet und wie sehen Sie das jetzt im Kontext ihres Handelns?
 
SABINE DERFLINGER: Ich habe sie nur dieses einzige Mal persönlich gesehen und mich sehr geehrt gefühlt, einem großen Phänomen gegenüber treten zu können. Mein Film ist damals in ein einer Retrospektive von Frauen-Filmen mit Arbeiten von Käthe Kratz und Karin Brandauer gezeigt worden. In Vollgas geht es um eine Alleinerzieherin, prekäre Arbeitsverhältnisse, Sucht und Abhängigkeit, kurz um Themen, für die sie sich sehr interessiert hat. Sie ist aus ehrlichem Interesse gekommen. Inzwischen weiß ich, dass sie ein großer Filmfan war. Annemarie Aufreiter, ihre Lebenspartnerin, hat mir erzählt, dass sie sich während der Viennale frei genommen hat, um ins Kino zu gehen. Sie würde sich freuen, dass der Film über sie nun seine Weltpremiere auf der Viennale feiert. Sie war an der Sache interessiert und ist deshalb gekommen, nicht weil es ein guter Fototermin gewesen wäre, wo man sich mit imagefördernden Menschen ablichten lassen konnte.
 
 
Johanna Dohnal war erste Frauenstaatssekretärin, erste Frauenministerin, stellvertretende Parteivorsitzende der SPÖ, 16 Jahre Mitglied der österreichischen Bundesregierung, eine herausragende Figur in Österreichs Innenpolitik, vor allem in der Geschichte der SPÖ. Als Ikone der österreichischen Sozialdemokratie und vor allem der Frauenpolitik scheint sie etwas im öffentlichen Bewusstsein verblasst zu sein? Wie ist sie zum Thema für einen Kinofilm geworden?
 
SABINE DERFLINGER: Ich bin vom Johanna Dohnal-Archiv gefragt worden, ob ich einen Film über sie machen würde. Dass ich mich für die Form des Kinofilms entschieden habe, hat damit zu tun, dass ich einen unabhängigen Film, ohne Einflussnahme von außen produzieren wollte. Der Institution, die Johanna Dohnals Erbe verwaltet, ist bewusst geworden, wie sehr ihre Bedeutung aus dem öffentlichen Bewusstsein geschwunden ist und hat es daher als notwendig erachtet, durch ein filmisches Portrait gegenzusteuern und Erinnerung zu schaffen. Ihre Lebenspartnerin Annemarie Aufreiter war nie zuvor an die Öffentlichkeit getreten. Das tut sie in diesem Film. Dass ich mit ihr, mit Johanna Dohnals Tochter, ihrer Enkelin, ihrem Chauffeur und engsten Mitarbeiterinnen im Film spreche, fügt dem Ganzen einen weiteren Aspekt dazu. Dazu kommt das tolle Archivmaterial. Was mich auch noch mit Nostalgie erfüllt, ist die Tatsache, dass es Zeiten im österreichischen Fernsehen gegeben hat, wo die Leute einander zugehört und etwas ausdiskutiert haben. Man kann Johanna Dohnal zuschauen, wie sie argumentiert und überzeugt hat. Ihr Charme, ihre Klarheit und Freundlichkeit in der Argumentation widerlegt von Beginn weg das Bild, das in der Öffentlichkeit von ihr geblieben ist. Bei Testscreenings haben wir festgestellt, dass Johanna Dohnal für jüngere Generationen einfach kein Begriff ist. Warum das so ist, erklärt sich aus dem abrupten Ende ihrer Karriere. Sie konnte ihre Agenda weder abschließen noch geordnet übergeben. Dadurch dass sie den Frauenbericht nach der Weltfrauenkonferenz in Peking als logischen Anknüpfungspunkt nicht vorlegen konnte, wurde das Vergessen schon vorbereitet.
 
 
Der Film beginnt mit Fakten zum Ende von Johanna Dohnals politischer Karriere. Warum haben Sie sich entschieden, das Portrait dramaturgisch so aufzurollen?
 
SABINE DERFLINGER: Das Ende ihrer politischen Karriere war so prägend und hat die spätere Wahrnehmung von ihr so stark bestimmt, dass ich mich für diesen Einstieg entschieden habe. Ohne diesen erzwungenen Rücktritt würde Dohnals Lebenswerk anders dastehen. Für die an der Regierungsumbildung 1995 Beteiligten war es ein Schritt, der angeblich einer Notwendigkeit nachgab. Für die österreichische Frauenpolitik war dieses Vorgehen ein massiver Einbruch. Für Johanna Dohnal persönlich in seiner Schäbigkeit umso mehr. Die Vorgehensweise spiegelt den Stellenwert der Frauenthemen in der österreichischen Gesellschaftspolitik wider. Da schließt sich ein Kreis.
 
 
Sie standen wohl vor der schwierigen Frage, wie eine Brücke ins zweite Jahrzehnt des 21. Jhs. zu schlagen ist. In der Dynamik der Frauenpolitik, in der Vehemenz, wie Politikerinnen für die Frauenthemen eintreten, scheint etwas abgerissen zu sein. Umgekehrt hat sich in anderen Dingen gesellschaftspolitisch, wenn auch eher an der Oberfläche dennoch etwas getan. Wie haben Sie sich das Terrain für Ihren Film abgesteckt?
 
SABINE DERFLINGER: Ich habe unzählige Interviews geführt. Zunächst ohne, dann mit Kamera. Im Schnitt habe ich mich entschieden, nur die Gespräche mit Menschen zu verwenden, die in einem direkten Bezug zu ihr gestanden sind bzw. in der jüngeren Generation mit Leuten, die sie als Vorbild betrachten. Vieles hat dann letztlich keinen Platz gefunden, wie die näheren Umstände ihrer Demontage oder das erste Frauenvolksbegehren. Während meiner Arbeit am Film hat sich in Österreich die politische Situation sehr stark geändert, daher habe ich auf größere historische Detailarbeit zugunsten des 2. Frauenvolksbegehren verzichtet und auch auf Gespräche mit den letzten SPÖ-Vorsitzenden, die den Film sehr datiert hätten. Mir war es wichtiger, die jungen Aktivistinnen und Politikerinnen wie Julia Herr, Andrea Brunner, Fiona Herzog, Eva Sager, Katharina Weninger oder Hannah Leitsmüller zu Wort kommen zu lassen, weil es auch darum geht, dass die Frauen in dieser Partei so lange nicht zum Zug gekommen sind und jetzt aufstehen. In den siebziger und achtziger Jahren waren mit Bruno Kreisky, Willy Brandt oder Olof Palme Männer am Zug, die ein Bewusstsein dafür hatten, dass es in jeder Hinsicht eine gleichberechtigte Gesellschaft braucht, wenn man nicht wieder in einer Zeit wie vor dem Zweiten Weltkriegs landen will. Das Patriarchat wird heute noch von mächtigen Männern betrieben, aber auch von Frauen, die sich nicht mit Frauen solidarisieren, sondern im Falle des Falles doch lieber ihr eigene Karriere vorantreiben und Teil des Patriarchats werden. Gleichberechtigung ist ein Grundrecht, es wird aber in Österreich als etwas Schräges und Urbanes etikettiert. Johanna Dohnal ist zu den einfachen Frauen hingefahren und hat sich den Alltag von Bäuerinnen oder Arbeiterinnen angeschaut und damit gab es auch bei den einfachen Frauen ein Bewusstsein für Strukturen und Maßnahmen, die ihr Leben verbessern sollten.
 
 
Wie wichtig war es Ihnen, Johanna Dohnal auch als Privatperson zu zeigen?
 
SABINE DERFLINGER: Der Film erzählt vor allem von Johanna Dohnal als politische Person. Das Private wird einfach durch Gespräch mit Annemarie Aufreiter oder mit ihrer Enkelin spürbar. Es hat mir gefallen zu entdecken, dass sie als die gefürchtete Johanna Dohnal galt und dann erzählt die Enkelin, wie sie im Dienstwagen geschlafen und auf ihre Oma gewartet hat. Johanna Dohnal war eine Frau, die zunächst eine klassische Familie hatte, später mit einer Frau lebte und als Ministerin ihre eigene Tochter unterstützt hat, indem sie ihre Enkelin im Auto mitgenommen hat. So etwas zu zeigen, war mir wichtig. Ich wollte, dass man mitbekommt, was ihre besonderen Eigenschaften waren. Schaut man sich aktuelle Wahlplakate an, dann lassen sich Politiker gerne wie nordische Helden fotografieren. Mir war es wichtig, eine Frau aus Fleisch und Blut zu erzählen, eine Frau, die ein ganz normales Leben hatte, mit dem wir uns verbinden können. PolitikerInnen sind Menschen, die wir wählen, weil sie die Fähigkeit, die Lust und die Energie haben, etwas in unserem Sinne weiterzubringen, was politischer Natur ist. Sie sind ja keine Abziehbilder. Ich will Johanna Dohnal als Mythos zeigen und gleichzeitig spürbar machen, was für ein Mensch sie war, ohne zu tief in ihre Privatsphäre zu dringen. Ich wollte zeigen, wie sie im System der Macht getickt hat und sie in ihren Facetten greifbarer machen, weil ihr Image, eine unfreundliche Emanze gewesen zu sein, unglaublichen Bestand hat. Das ist für sie, aber auch für den Film grundsätzlich wichtig, weil wir aufhören müssen, Menschen immer nur in Hülsen wahrzunehmen und zu portraitieren.
 
 
Wie sind Sie gemeinsam mit Kamerafrau Christine A. Maier zu dem Schluss gekommen, einerseits mit Talking-Heads zu arbeiten und andererseits auch kleine Gruppenkonstellationen zu filmen?
 
SABINE DERFLINGER: Wir hatten anfangs Ideen, inspiriert durch die Orte ihres politischen Wirkens, optische Welten zu bauen. Als sich herausstellte, wie aussagekräftig das Archivmaterial war, wäre das zu viel gewesen. Ich habe mich daher für die Schlichtheit und eine klassische Form des dokumentarischen Erzählens entschieden. Ich wollte den Frauen ins Gesicht schauen, wenn sie erzählen. Kaum lässt man Menschen vor der Kamera erzählen, wird ein Film allerdings schnell in die Fernsehecke gerückt. Ich behaupte, jedes Close-Up im Dialog eines Spielfilms ist eine Talking-Head Einstellung. Das sind Haltungsfragen. Was für mich in einem Kino-Dokumentarfilm zählt, sind vielmehr Dinge wie in den Gesprächen Ruhe zu finden, den Raum, wo gedreht wird, nicht dem Zufall zu überlassen, mit sehr viel Sorgfalt am Licht der Interviewsituation zu arbeiten. Wir haben sehr viel im Bruno-Kreisky-Institut gedreht. Ich habe meine GesprächspartnerInnen mit meinen Fragen nicht in eine Richtung oder auf einen bestimmten Sager hin gedrängt. Es war mir wichtiger, Momente einzufangen, wo jemand durchgängig erzählt und so Bilder in den Köpfen der ZuschauerInnen entstehen lässt. Ich interveniere sehr wenig und es sind sehr wenig Schnitte in den Gesprächssequenzen. Ich habe die Leute erzählen lassen, was sie erzählen wollten und nicht das, was ich hören wollte.
 
 
Wie haben Sie Ihre GesprächspartnerInnen ausgewählt?
 
SABINE DERFLINGER: Ich mag es einfach gerne, wenn die Leute miteinander reden. Die Menschen, mit denen ich Einzelgespräche geführt habe, waren direkt mit ihr verbunden. Christine Stromberger und Elisabeth Rosenmayr waren zu zweit, weil sie im selben Büro gearbeitet haben. Die Szene mit den beiden gehört zu den Geschenken, die man beim Drehen erlebt. Es war schon ein Wunder gewesen, dass wir überhaupt in die Büroräume des Ministeriums durften und als die beiden nach so vielen Jahren an diesem Tisch saßen, hat das etwas mit ihnen gemacht. Für das Gespräch mit dem Chauffeur haben wir ein Auto von der gleichen Type wie das damalige Dienstauto Johanna Dohnals verwendet. Dann gibt es auch noch die Gruppe mit den Frauen, die in den achtziger Jahren bei den AUF-Frauen aktiv waren – dazu gehörten Käthe Kratz oder Eva Dité – , die Johanna Dohnal damals auch angegriffen haben, dass sie zu wenig mache. Sie betrachte ich als stellvertretend für die Frauen, die damals auf die Straße gingen. Sie hätten sich in dieser Konstellation auch kritischer äußern können, was sie schließlich nicht getan haben. Retrospektiv ist es ihnen auch klar, dass es das damals mögliche Maximum darstellte, dass sich jemand mit den Frauen auf der Straße verbündete und deren Forderungen direkt in die Regierung hineintrug. Auf die Gruppe der Journalistinnen bin ich aufmerksam geworden, weil sie im Netz eine Form von Feminismus betreiben; mit ihnen habe ich mich regelmäßig ausgetauscht. Feminismus im Netz hätte ein weiteres thematisches Fenster geöffnet, das aber auch zu weit geführt hätte. Deshalb habe ich den Fokus auf Johanna Dohnals Bedeutung für sie eingeschränkt. Interessant war dabei festzustellen, dass sie sich erst spät mit ihr auseinander gesetzt haben bzw. wenig über sie wussten.
 
 
Außer Franz Vranitzky, Ferdinand Lacina und Eduard Heilig, Johanna Dohnals Chauffeur, kommen in DIE DOHNAL keine Männer als Gesprächspartner vor. Haben Sie mehr Gespräche geführt, die letztendlich dann in der Montage keinen Platz gefunden haben?
 
SABINE DERFLINGER: Es hat sich angeboten, mit vielen Frauen zu sprechen. Es war nicht einfach, Franz Vranitzky – sozusagen als Dohnals Gegenspieler – für ein Statement zu bekommen. Er hat es dann am Bruno Kreisky-Institut doch getan. Ich finde, dass er die damalige Situation zwischen Männern und Frauen in der SPÖ sehr nachvollziehbar darlegt. Auch wenn sich die SPÖ im Kontrast zur ÖVP, die fürs klassische Familienmodell stand, ein offeneres Gesellschaftsbild an die Fahnen heftete, wurde das Verhältnis zwischen Männern und Frauen nicht anders gelebt. Mir ging es nicht um die detaillierten Hintergründe, wie man Johanna Dohnal demontiert hat, sondern um das Grundsätzliche. Ferdinand Lacina, der damalige Finanzminister, war gewiss ein Verbündeter, der darauf geachtet hat, dass sie zu ihrem Budget kam. Von Bruno Kreisky haben wir eine sehr starke Rede aus den siebziger Jahren, wo er die Frauen auffordert, für ihre Rechte zu kämpfen. Er war ein Patron für die Frauen. Johanna Dohnal hat sehr konkrete Gegner in der Partei und der Opposition gehabt, mit ihnen zu reden und die Querelen aufzuwärmen, wäre mir klein erschienen. Männern wird ohnehin immer so viel Raum gegeben, also sah ich keine Notwendigkeit, wenn sie nicht direkt etwas mit ihr zu tun hatten, um jeden Preis einen Ausgleich zu schaffen. Außerdem steht Eduard Heilig meiner Meinung nach für einen recht typischen österreichischen Mann.
 
 
Der Film zeigt sehr viel Archivmaterial aus dem österreichischen Fernsehen, was auch eine kleine Fernsehgeschichte liefert. Was von Johanna Dohnals Persönlichkeit als Politikerin war Ihnen besonders wichtig hervorzukehren?
 
SABINE DERFLINGER: Es gab vor allem thematische Schwerpunkte, z.B. Vergewaltigung in der Ehe. Wenn man sich heute die Ausschnitte ansieht, dann wird einerseits klar, dass Männer heute diesen Diskurs nicht mehr führen könnten, andererseits ist die Argumentation in der #MeToo-Debatte nicht unähnlich. Man sieht den Fortschritt und zugleich die Punkte, wo sich noch immer nichts getan hat. Beim großen Thema Gewalt gegen Frauen sieht man sehr schön, wie sachlich sie argumentiert hat. Wir hatten sehr lustige Szenen, die wir dann letztlich weglassen mussten, weil es zu anekdotisch war. Ich denke an eine Debatte in der Diskussionssendung Club 2 mit Axel Corti, wo er behauptet hat, dass die Männer in den Fabriken den Frauen beim Kisten-Schleppen helfen und Johanna Dohnal antwortet: „Träumen Sie weiter, Herr Corti. Ich nehme Sie mit in die Fabrik.“ Für mich waren einerseits die thematische Relevanz entscheidend und dann auch jene Ausschnitte, wo man gut ihre Art der Argumentation nachvollziehen kann. Ich habe mit der Editorin des Films, Niki Mossböck, den Film so aufgebaut, dass ein Aufhänger das jähe Ende ihrer politischen Karriere ist, auf der anderen Seite eine Reihe von Themen angerissen werden wie z.B. Frauen in Männerberufen, gleiche Bezahlung, Schwangerschaftsabbruch etc., die alle zusammen eines auf den Punkt bringen – wie wichtig es ist, dass Frauen selbstbestimmt und unabhängig sind, denn, sind sie es nicht, wird ihnen sehr schnell Gewalt angetan. Österreich nimmt da gerade eine sehr unrühmliche Spitzenposition ein. Der Film ist so gebaut, dass über die thematischen Anstöße bewusst wird, was alles erfüllt sein muss, um eine Chance auf ein Ende der Gewalt gegen Frauen zu wahren. Das war letztendlich Johanna Dohnals Hauptthema.
 
 
Die Montage geht mit einem sehr irritierenden Sounddesign einher, das ein Gefühl von „unter Strom“ vermittelt. Was hat Sie dazu bewogen?
 
SABINE DERFLINGER: Es hat durchaus heftige Diskussionen dazu gegeben. Geri Schuller, der auch schon die Filmmusik von Anna Fucking Molnar komponiert hat, hat das Sounddesign von  Die Dohnal gemacht. Er fand, man sollte den Druck, unter dem Johanna Dohnal gestanden war, spüren. Mich hat sein Entwurf sofort angesprochen, in meinem Team sind nicht alle meiner Meinung. Ich wollte bei den Bildtafeln, die gerade am Anfang des Films Dohnals politisches Ende erläutern, dass man sie durch die Intensität des Sounds nicht einfach in Ruhe lesen kann, sondern das Lesen durch eine Störung erschwert wird. Ich wollte diese Unruhe und keinen nostalgischen Sound, keine schöne Musik. „Unter Strom“ war gewiss das Lebensgefühl, mit dem sie ständig unterwegs war. Ich wollte weder behübschen noch verklären und vor allem auch, dass der Film auf keine Zeit festzulegen ist.
 
 
Sie sind gemeinsam mit Claudia Wohlgenannt auch die Produzentin des Films. Eigenwillige Entscheidungen wie die des Sounddesigns sind gewiss leichter durchzusetzen?
 
SABINE DERFLINGER: Ich empfinde es als großes Glück, auch die Produktionsagenden mitbestimmen zu können. Es hat sehr viele Diskussionen gegeben und dennoch ist es immer eine sehr positive und bereichernde Zusammenarbeit geblieben: mit Claudia Wohlgenannt als Produzentin, Christine A. Maier als Kamerafrau, Niki Mossböck als Editorin, Hanne Lassl als Herstellungsleiterin. Der Film ist parallel zu meinen Fernsehaufträgen entstanden und ich wollte ihn ohne finanziellen oder anderweitigen Druck entstehen lassen. Das war anstrengend, aber es hat mir ein konzentriertes und selbstbestimmtes Arbeiten erlaubt. Es war Arbeit und immer auch ein sinnliches Erleben, Lernen, Begegnen. Wir hatten in jeder Phase des Films Freude mit dem Projekt.
 
 
Welche Menschen liegen Ihnen als Kinopublikum besonders am Herzen, wenn der Film nun ins Kino kommt?
 
SABINE DERFLINGER: Der Film ist genau das geworden, was ich mir gewünscht hatte: es sollte ein Film werden, in dem sich die Generationen begegnen, einer, der Johanna Dohnal lebendig werden lässt und ein Film, der Feminismus begreifbar macht, nämlich nicht als etwas, das man als Hobby betreibt, sondern das ein grundlegendes Menschenrecht darstellt, das sich absurderweise noch immer nicht durchgesetzt hat. Ich wünsche mir junge wie ältere Menschen und Leute, die am Land leben. Es wäre mir wichtig, dass der Film eine Grundlage für Diskussionen auf Augenhöhe bietet. Ich hab schon Rückmeldungen bekommen wie – „Da geh ich mit meiner Mutter!“ oder „Da geh ich mit meiner Tochter“. Ich fände es schön, wenn Generationen miteinander ins Kino gehen. Die Dohnal erzählt die Geschichte einer Politikerin, aber auch ein Stück Fernsehgeschichte. Beides soll einen Dialog zwischen den Generationen eröffnen. Es soll ein Film sein, den man aus unterschiedlichen Perspektiven anschauen kann. Das Wichtigste dabei ist mir, dass der Film etwas eröffnet, was nach dem Film ist. 
 
 
Interview: Karin Schiefer
Oktober 2019