INTERVIEW

«Eine Verschwendung von Talent.»

Katharina Mückstein, Regisseurin, Produzentin und Vorstandsmitglied von FC Gloria im Gespräch zum Film Gender Report 2012-16.


Sie sind im Vorstand von FC Gloria, einem Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat, filmschaffende Frauen miteinander zu vernetzen und gemeinsam eine geschlechterparitätische Vergabe der Fördergelder zu erreichen. Was bedeutet der Gender Report für Ihre Arbeit für FC Gloria?
Was bedeutet er für Ihre Arbeit als Regisseurin / als Produzentin?
 
KATHARINA MÜCKSTEIN: 2016 haben wir mit FC Gloria eine politische Offensive gestartet mit dem Ziel, in Institutionen und Politik Bewusstsein für die Schieflage zwischen den Geschlechtern in der österreichischen Filmbranche zu schaffen. Eine der Maßnahmen, die wir damals forderten, war die umfassende statistische Untersuchung des Ist-Zustands und der Gender Report ist nun das Ergebnis dieser Forderung. Für unser Anliegen ist es von großer Bedeutung, dass auf institutioneller Ebene die Vergabe von Fördermitteln im Sinne eines detaillierten Gender-Monitorings erfasst wird, denn in Diskussionen wird oftmals versucht, das statistische Faktum zu entkräften, das Problem der ungleichen Verteilung der Mittel zu marginalisieren und die Ursachen dafür zu individualisieren. Der Gender Report zeigt nun von offizieller Seite das, was wir bei FC Gloria schon lange sagen: es handelt sich um ein strukturelles Problem, denn wo mit wenig Geld gearbeitet wird, ist die Geschlechtergerechtigkeit besser als dort, wo es um höhere Budgets geht: hier sind alle Positionen stark männlich dominiert. Was sich auch zeigt, ist, dass es geschlechtsspezifische Karrierehürden gibt, die vom System gemacht sind und für die es Lösungen zu finden gilt.
 
Als Regisseurin sehe ich es so: ich will mit meiner Arbeit nicht bevorzugt behandelt werden, weil ich eine Frau bin, sondern ich will, dass ein Gedankenprozess losgetreten wird, der letztlich dazu führt, dass meine Arbeit ernst genommen und wertgeschätzt wird, so wie jene der männlichen Kollegen. Ich will, dass die Qualität meiner Arbeit in direkter Konkurrenz mit der Arbeit der Männer gemessen werden kann. Aber genau hier liegt das Problem: die Einschätzung von Qualität ist in allen Bereichen unserer Gesellschaft stark mit dem Geschlecht der betreffenden Person verbunden und das muss sich längerfristig unbedingt ändern. Film ist ein wichtiges, meinungs- und realitätsbildendes Medium und gegenüber der Gesellschaft, für die und über die wir Filme machen, ist es unabdingbar, die Diversität der Gesellschaft auch hinter der Kamera zu fördern. Ich wünsche mir also für die Zukunft ein Übereinkommen darin, dass die Stimmen der Frauen, der Schwulen, Lesben, Trans-Personen, die Stimmen der MigrantInnen und ihre künstlerischen Ausdrucksformen einen fixen Platz im breiten Spektrum des österreichischen Filmschaffens haben und als wertvoller Beitrag zur Kultur des Landes gesehen werden.
 
Als Produzentin ist es mir ein Anliegen, dass im Bezug auf „Wert-Schätzung“ ein Umdenken stattfindet. Die Filmförderung vergibt rund 80% ihrer Mittel an Männer und daran muss sich etwas ändern. Oftmals wird die Arbeit von Frauen als monetär weniger Wert eingeschätzt, das sehen wir ja auch genau im Gender Report und kennen das aus vielen anderen Branchen. Die kulturell gültigen Wertekategorien – was halten wir für besonders exklusiv, wen halten wir für einen Star, wen halten wir für kompetent, wessen Perspektive ist relevant und förderwürdig – sind über viele Jahrhunderte gewachsen und verschwinden nicht so schnell aus den Köpfen. Um Diversität zu fördern, braucht es eine starke Auseinandersetzung mit den Themen Kompetenz, Anerkennung und Entlohnung.
 
 
Welche Erfahrungen als Filmemacherin haben Sie bewogen, sich bei FC Gloria zu engagieren?
 
KATHARINA MÜCKSTEIN: Ich bin zu FC Gloria gekommen, als ich noch mit einem Bein im Filmstudium stand. Die Frauen von FC Gloria waren damals alle viel erfahrener als ich und für mich war es bereichernd und spannend, mit diesen etablierten Frauen zusammen zu arbeiten. Ich habe vor dem Filmstudium auf dem Institut für Philosophie Gender Studies studiert und kam aus einem sehr progressiven und in Geschlechterfragen differenzierten Umfeld auf die Filmakademie. Dort war ich dann mit einer Schule konfrontiert, in der Frauen als Künstlerinnen kaum bis gar nicht vorkamen. Mich hat das streckenweise stark entmutigt und mir fehlte nach dem Studium eine Vision davon, wie man den Beruf der Regisseurin als Frau ausführen kann. Aus diesem Grund habe ich auch gleich zu Beginn bei FC Gloria den Vorschlag gemacht, ein Mentoring-Programm auf die Beine zu stellen und habe mich dafür etwa drei Jahre lang sehr stark engagiert. Mir war bis dahin nicht klar, wie anstrengend es ist, oft die einzige oder eine von wenigen Frauen in einem Arbeitskontext zu sein und ständig auf das eigene Geschlecht hingewiesen zu werden. In meinen ersten Film-Jobs war ich mit viel Sexismus konfrontiert und wusste als so junge Frau oft nicht, wie ich damit umgehen sollte. Dann mit professionellen Filmarbeiterinnen zu tun zu haben hat mir viele Ideen gegeben und auf eine Weise auch dazu geführt, dass ich unbedingt mit meinen FreundInnen eine eigene Produktionsfirma gründen wollte.
 
 
Gibt es Ergebnisse im Bericht, die Sie überrascht haben oder wurde endlich zahlenmäßig belegt, was seit langem Frauen in der Filmbranche offensichtlich war?  Gibt es Ergebnisse, die Sie als besonders alarmierend empfinden?
 
KATHARINA MÜCKSTEIN: Im Großen und Ganzen zeigt der Gender Report sehr gut, was wir bei FC Gloria schon wussten und das Sichtbarste ist natürlich die ungleiche Verteilung von Geld. Besonders krass und auch neu als statistisches Faktum ist der Gender Pay Gap, den wir bei FC Gloria noch nie auf diese Weise gesehen haben, da wir für unsere Berechnungen in der Vergangenheit keinen Zugang zu den nötigen Daten hatten. Ich denke, es wäre hier sehr wichtig, den Gender Pay Gap in Zukunft unter noch vielfältigeren Gesichtspunkten zu untersuchen. Auf keinen Fall dürfen in unseren aus Steuergeldern finanzierten Projekten Männer und Frauen in prinzipiell kollektivvertraglich geregelten Positionen unterschiedlich viel verdienen.
 
 
Wo sehen Sie Ansatzpunkte, wo rasch und wirksam etwas verändert werden könnte?
 
KATHARINA MÜCKSTEIN: Mit dem entsprechenden politischen Willen könnte man alle relevanten Kuratorien und Aufsichtsräte in kurzer Zeit 50/50 besetzen. Die Einführung von Zielquoten für die Vergabe von Fördermitteln wie in manchen skandinavischen Ländern wäre ein starker Incentive für Produktionsfirmen, sich nach Autorinnen, Regisseurinnen und weiblichen Teammitgliedern umzusehen. Ich denke auch, dass eine Art Arbeitsstipendium für AutorInnen und RegisseurInnen, die Kinder betreuen müssen, ein guter Ansatz wäre, um die Filmbranche zu einer gerechteren und familienfreundlicheren Arbeitswelt zu machen. Alles andere – die großen Prozesse – finden meiner Meinung nach nicht über Nacht statt und erfordern innovative Konzepte, regelmäßige Evaluierung und Hartnäckigkeit.
 
 
An welche Institutionen würden Sie in erster Linie einen Appell richten?

KATHARINA MÜCKSTEIN:An die verantwortlichen PolitikerInnen möchte ich den Appell richten, sich für die sofortige 50/50 Besetzung aller Kuratorien und Aufsichtsräte der Förderstellen einzusetzen.
Die größeren Förderstellen, die so genannten Primärförderer, haben jede Menge Möglichkeiten, Veränderungen in Gang zu bringen. Die Tatsache, dass rund 80% der Fördermittel an Männer verteilt werden, sollte den Institutionen zu denken geben und zeigen, dass es klare Konzepte und starke Maßnahmen braucht, um echte Veränderung in Gang zu setzen. Einiges wird ja schon in Kooperation mit FC Gloria getan: der Drehbuchwettbewerb „If She Can See It, She Can Be It“, das Produzentinnen-Programm „ProPro“ und das Mentoring-Programm von FC Gloria. Darüber hinaus geht es natürlich darum, Bewusstsein in den Entscheidungsgremien zu schaffen und Talente zu fördern. Momentan habe ich den Eindruck, dass es zwar im Nachwuchsbereich viele gute Förderinitiativen gibt, jedoch die Themen Elternschaft und Karriere weiterhin ausgeblendet werden. Das führt dazu, dass nach den ersten Erfolgen die geschlechtsspezifischen Hürden für weibliche Filmschaffende wieder sehr hoch werden, die Abstände zwischen den Projekten werden größer und die Prekarität nimmt zu. Letztlich ist das nicht nur ungerecht, es ist auch eine Verschwendung von Talent!
Last but not least entscheiden natürlich JournalistInnen, KuratorInnen, FestivalmacherInnen und VerleiherInnen darüber, wessen Arbeit in welchem Rahmen präsentiert wird. Hier würde ich mir mehr Mut und Bewusstsein wünschen: Magazincovers, Leitartikel, Retrospektiven und prominiente Programmplätze sollten nicht mehrheitlich Männern vorbehalten bleiben.
 
 
Sie waren vor kurzem in beim FF in Sydney in der Reihe Europe! Voices of Women in Film mit L’Animale vertreten. Gab es im Rahmen dieser Reihe auch Veranstaltungen zum Thema bzw. Austausch mit anderen europäischen Filmemacherinnen?
 
KATHARINA MÜCKSTEIN: Ich war in Sydney Teilnehmerin einer gut besuchten Podiumsdiskussion veranstaltet von EFP – European Film Promotion unter der Patinnenschaft von Jan Chapman, der Produzentin von Das Piano. Wir – acht europäische Regisseurinnen – haben in diesem Rahmen über die Situation der Geschlechter(un)gerechtigkeit in unseren jeweiligen Herkunftsländern diskutiert. Dabei waren natürlich #metoo, #timesup und Inclusion Rider erst einmal große Themen. Schnell hat sich aber gezeigt, dass Themen wie geschlechterstereotype Darstellungen im Film und progressives Storytelling für uns Filmemacherinnen interessanter zu besprechen sind.

 
Wie ambivalent erleben Sie diese Art von Veranstaltungen, die einerseits filmschaffende Frauen unterstützen und andererseits Filme als Frauenfilme labeln, was bei Männern nicht geschieht und was auch von den Frauen nicht unbedingt gewünscht ist.
 
KATHARINA MÜCKSTEIN:  Die Ambivalenz dieser Art von Veranstaltung war auch auf dem Podium in Sydney sehr stark spürbar. Viele von uns Regisseurinnen haben uns in den letzten Jahren den Mund zu diesem Thema fusselig geredet und es kam von mehreren Seiten die Aufforderung, doch bitte endlich jene Leute zum Thema zu befragen, die die Diskriminierung eigentlich verursachen. Wann sehen wir das Podium mit den World Sales Agents, die noch nie einen Film von einer Frau gekauft haben, den Festivaldirektoren, deren roter Teppich von kaum einer Regisseurin betreten wurde, den Professoren, in deren Film-Kanon kein einziger Film einer Frau vorkommt? Es wird mit der Zeit frustrierend, mehr über Geschlechterverhältnisse zu sprechen, als über die eigene Arbeit. Letztlich wünschen wir uns ja alle dasselbe: Filme zu machen, über diese Filme mit dem Publikum zu kommunizieren und als Künstlerinnen Anerkennung zu finden.
Zugleich habe ich aber auch immer den Eindruck, dass die Präsenz so vieler Regisseurinnen in einem Programm sehr inspirierend ist. Es kommen viele Studenten und Studentinnen, sehr viele kinointeressierte Frauen, die beglückt sind von der Tatsache, dass wir Figuren und Geschichten schreiben, mit denen sie sich identifizieren. Eine Frau hat nach dem Screening von L’Animale zu mir gesagt: „Ich habe es satt, in Filme zu gehen und mich immer mit-gemeint fühlen zu müssen. Endlich kommen jetzt die Filme und Serien, die mit mir und meinem Leben und meinen Interessen zu tun haben.“ Man muss sehen, dass Diversität auch bedeutet, Zielgruppen neu zu definieren. In diesem Sinn denke ich, wir sind einfach noch nicht so weit, dass Frau-Sein + Filmemachen = ganz Normal. Daher brauchen wir die Labels vielleicht noch für ein paar Jahre.
 
 
Es wird einen nächsten Gender Report geben, der einen kürzeren Zeitraum abdecken wird. Gibt es Aspekte, von denen Sie sich wünschen, dass sie genauer unter die Lupe genommen werden?
 
KATHARINA MÜCKSTEIN: Wie bereits erwähnt, denke ich, dass der Gender Pay Gap sehr genau untersucht werden muss und das Thema Elternschaft als Karrierehindernis bzw. bei Frauen Kinderlosigkeit als Vorteil für eine Karriere in die Untersuchung einfließen sollten.
 
 
Was hat sich aus Ihrer Sicht seit Sie bei FC Gloria engagiert sind, spürbar geändert.
 
KATHARINA MÜCKSTEIN: Ich finde, in Österreich hat sich sehr viel verändert, wenn es um Bewusstsein geht. Unter vielen Frauen gibt es viel mehr Sensibilität dafür, dass das, was ihnen im Weg steht, strukturelle Probleme sind und nicht individuell verursacht. Ich empfinde die Solidarität und den Austausch unter vielen Frauen als sehr stark. Letztlich wirkt sich das in Kollaborationen und wechselseitiger Unterstützung aus und wirkt produktiv auf das Filmschaffen. Und auch im Gespräch mit den männlichen Kollegen hat sich vieles verändert. Während vor ein paar Jahren oft sehr schnell sehr abweisend und aggressiv argumentiert wurde, wird jetzt auch mal nachgefragt und bei manchen besteht ein aufrichtiges Interesse, sich für Gerechtigkeit in Gesellschaft und Arbeitswelt einzusetzen. Was sich leider nicht verändert hat, sind die Statistiken, wenn es ums Geld geht.

 
Sie selbst arbeiten an einem Dokumentarfilm/Essay zum Thema Feminismus. Worin liegt dabei Ihr Fokus?
 
KATHARINA MÜCKSTEIN: Dieser unterhaltsame Film übersetzt den aktuellen, akademischen Diskurs zu Gender- und Identitätspolitik für ein breites Publikum. Es geht mir darum, mit Humor darüber zu sprechen, warum uns die voranschreitende Diversifizierung der Gesellschaft eigentlich so aufregt und, dass wir in der Un/Gleichheitsdiskussion eigentlich über eines der wichtigsten politischen Themen der Zukunft sprechen, über das es abseits der Polemiken des Mainstream-Diskurses sehr viel zu erfahren gibt.


Interview: Karin Schiefer
Juni 2018