Die Sommerferien könnten für Franz kompliziert werden. Gabi und Eberhard, seine besten Freunde, sind übers Kreuz und er steht
dazwischen. Irgendwann zieht Gabis detektivischer Enthusiasmus dennoch alle drei in ein urbanes Abenteuer, das Drehbuchautorin
Sarah Wassermaier und Regisseur Johannes Schmid im Spirit der Erfinderin, Christine Nöstlinger, in die Jetztzeit geholt haben.
Kaum ein Jahr nachdem die ersten Geschichten vom Franz 95.000 Besucher:innen in die österreichischen Kinos gelockt haben,
gibt es schon NEUE GESCHICHTEN VOM FRANZ und damit erstmals in Österreich ein Kinderfilm-Sequel.
War Christine Nöstlinger für trotz einer nicht-österreichischen Kindheit ein Begriff und Teil Ihrer Lesesozialisation oder
haben Sie sie erst später entdeckt?
JOHANNES SCHMID: Ich bin in einer Kleinstadt in Niederbayern aufgewachsen, Christine Nöstlinger war für mich absolut ein Begriff. Geschichten
vom Franz war allerdings eine Buchreihe, die erst Mitte der achtziger Jahre losgegangen ist, dafür war ich gerade ein bisschen
zu alt, dass sie mich als Kind erreicht hätte. Ich hatte eher die früheren Bücher aus den siebziger Jahren wie Die feuerrote
Friederike oder Ein Mann für Mama im Kopf. Christine Nöstlinger hat als Kinderbuchautorin eindeutig einen Platz in meiner
Kindheit gehabt und ich glaube, sie hatte in dieser Hinsicht im süddeutschen Raum eine sehr große Position inne.
Sie arbeiten als Regisseur in einem breiten Spektrum fürs Theater, für die Oper und für den Film. Welche Rolle spielt dabei
die Arbeit fürs junge Publikum?
JOHANNES SCHMID: Ich hatte immer eine Affinität zur Arbeit für junges Publikum und zu Themen, die für Kinder relevant sind. Im Grunde handelt
es sich, wenn es ums Erwachsen-Werden oder die Kindheit geht, um universelle Geschichten, denn sie verhandeln immer auch die
Frage, wie man seinen Platz im Leben, wie man zu sich selbst findet. Diese Themen beschäftigen einen ja, wenn auch auf anderer
Ebene, bis ins Erwachsenen-Leben hinein. Bei der Arbeit für junges Publikum werden grundlegende Dinge übers Mensch-Sein erzählt,
nur eben wie unter dem Brennglas der Kindheit beleuchtet. Daher kann man gute Kinderfilme auch als Erwachsener mit großem
Gewinn sehen. Es ist ja eine interessante Erfahrung festzustellen, dass man als Erwachsener im Grunde der Gleiche ist, der
man schon mit sieben war. Ich bin grauer und vielleicht in gewisser Weise auch klüger geworden, dennoch weiß ich mit jetzt
bald 50, dass ich immer noch der gleiche Mensch bin, den Fragen beschäftigen, mit denen ich schon als Volksschüler konfrontiert
war. Das Tolle am Arbeiten fürs junge Publikum ist, dass man in den Vorstellungen feststellt, wie direkt man, mit dem, was
man da geschaffen hat, kommuniziert und welche Bedeutung es haben kann. Im besten Fall gelingt es, den jungen Zuseher:innen
etwas an die Hand zu geben, das sie wirklich weiterbringt und zum Denken anregt. Man bekommt sehr viel zurück und gewinnt
das Gefühl, dass der Beruf wirklich Sinn macht.
Wie sind Sie Teil von Geschichten vom Franz geworden, der 2022 rauskam geworden, für den die NGF Geyrhalterfilm bereits ein
Drehbuch entwickelt hatte, als sie eingestiegen sind?
JOHANNES SCHMID: Ich erinnere mich noch sehr gut, dass ich gerade in Malmö Theater geprobt habe, als der Anruf von Ingo Fliess, dem deutschen
Koproduzenten kam. Es hat mich sehr gefreut, dass man auf mich zugekommen ist. Meine bisherigen drei Filme waren Projekte,
die ich von Anfang an betrieben hatte, es war daher eine neue Erfahrung für mich, dass ein weit entwickeltes Projekt, das
mir sehr gut gefiel, angeboten zu bekommen. Die Nöstlinger-Welt hat mich fasziniert und zugleich hatte ich das Gefühl, dass
ich dazu den richtigen Abstand habe, um auch Eigenes einzubringen. Ich habe eine emotionale Nähe zum Wienerischen, mit dem
ich mich gut verknüpfen kann, dennoch ist es eine Welt, in der ich Vieles neu entdecken kann. Ich war ewig nicht in Wien gewesen,
ehe ich dann mitten in der Pandemie für Geschichten vom Franz angereist bin und außer Begegnungen mit zwei drei Mitstreiter:innen
vollkommen einsam im Hotel gesessen bin. Christine Nöstlinger verbinde ich mit einer Qualität, die sich aus Humor und einer
gewissen Skurrilität, aus Herzlichkeit und Schrulligkeit immer auf Augenhöhe der Kinder zusammensetzt und darauf hatte ich
große Lust. Da ich ja ansonsten ein schreibender Regisseur bin, war es spannend, das Buch mit der Drehbuchautorin Sarah Wassermair
noch gemeinsam weiterzuentwickeln.
Was hat dazu geführt, dass es so schnell nach dem ersten Teil zur Verfilmung von NEUE GESCHICHTEN VOM FRANZ gekommen ist?
JOHANNES SCHMID: Bereits beim allerersten Anruf wurde von den Produzent:innen die Möglichkeit eines Sequels angesprochen. Ich selbst wollte
hinter die Welt des ersten Films zunächst einen Punkt setzen, ehe ich mich für den nächsten Schritt öffnen konnte. Einen zweiten
Teil zu machen, nachdem wir mit dem ersten sehr glücklich waren, und dieser nicht nur im Kino, sondern auch auf Festivals
sehr erfolgreich war, war naheliegend, aber natürlich auch ein Wagnis.
Aber bereits der erste Drehbuchentwurf von Sarah Wassermair hat Lust gemacht. Ich fand den Ansatz gut, den Figuren treu zu
bleiben, vom Plot her aber mit Genre-Elementen zu spielen und auch einigen erwachsenen Figuren – v. a. Frau Berger – eine
größere dramaturgische Rolle einzuräumen. Und dann haben wir, nachdem Teil 1 fertiggestellt war, wirklich Vollgas gegeben,
auch unter dem Druck, dass die Kinder-Darsteller:innen wachsen. Nöstlingers Buchreihe endet ja, wenn Franz zehn ist. Wir haben
das schon ein bisschen ausgeweitet. In NEUE GESCHICHTEN VOM FRANZ sind die Kinder mit zehneinhalb bis elf definiert. Wir mussten
also sehr schnell sein, wenn wir mit demselben Cast nochmals glaubwürdig eine Geschichte erzählen wollten, die wieder klar
auf Christine Nöstlingers Vorlage fußt.
Wieviel Verbindung und wieviel Eigenständigkeit sollte zwischen beiden Teilen bestehen?
JOHANNES SCHMID: Katharina Posch und Sarah Wassermair haben, wie gesagt, früh das Konzept des Sequels mitgedacht und es gab sehr schnell ein
Treatment, das klugerweise berücksichtigt hat, dass die Kinder-Darsteller:innen größer werden und sich entwickeln. Im ersten
Teil haben die Kinder vom Bewegungsradius her das Grätzel, in dem sie wohnen, erkundet, im zweiten Teil fahren sie bereits
mit der U-Bahn und sind auch nachts unterwegs. Wie Kinder beginnen, sich den städtischen Raum zu erobern, außerhalb des Zeitfensters
Schule ein eigenes Leben zu entwickeln, von dem man als Eltern nicht unbedingt viel weiß, war ein Aspekt, der mich von Anfang
an sehr interessiert hat. Daher die Idee nach vielen Bewegungen in der Stadt, auch mit dem Gedanken im Hintergrund, dass ich
Wien außerhalb der touristischen Hauptattraktionen realistisch neu entdecken wollte. In der Vorbereitung für beide Filme bin
ich über mehrere Wochen mit der Vespa durch die Stadt gefahren. Es ging um ein Erobern der Stadt mit den Augen der Kinder
und mit denen des Außenstehenden.
Dazu kam jetzt im zweiten Teil das Genre-Moment der Detektivgeschichte. Sarah Wassermair hat das geschickt gelöst, indem die
Geschichte zwar mit Krimi-Elementen spielt, der Kriminalfall im Grunde aber keine wirklich entscheidende Rolle spielt. Es
gibt ja Kinderkrimi-Serien, die behaupten, dass Kinder geniale Ermittler sind, dies aber auf Kosten der Wirklichkeitsnähe.
Bei uns „spielen“ die Protagonist:innen in gewisser Weise Detektiv und glauben im Grunde nur, dass sie einem Kriminalfall
auf der Spur sind. Aber sie decken dabei Dinge aus ihrem eigenen Umkreis auf, die für sie persönlich oder für die Nachbarin
Frau Berger von Bedeutung sind. Ich glaube, so ist Vieles wiederkennbar und dennoch hat der Film in gewisser Weise eine ganz
andere „Färbung“ als der erste Teil.
Die Buchvorlage Geschichten vom Franz umfasst eine ganze Buchreihe, die zwischen 1984 und 2011 entstanden ist, mit eher kurzen
Geschichten. Was davon ist in die Bücher geflossen: Ereignisse, Themen, eine Sprache? Was gilt es vom Spirit Christine Nöstlinger
zu erhalten? Was muss in die 2020-er Jahre geholt werden?
JOHANNES SCHMID: Ich glaube wir haben da versucht die richtige Balance zu finden. Es war vielleicht ein Vorteil für mich, von außen zu kommen.
Denn, ich habe erst peu à peu kapiert, um welche Nationalheilige es sich bei Christine Nöstlinger in Österreich handelt. Und
so habe ich versucht, mich mehr darauf zu konzentrieren, wie wir aus der Nöstlinger-Vorlage einen Film für die große Leinwand
machen, der eben auch für ein heutiges Kinderpublikum auch außerhalb Österreichs funktioniert. Und dazu natürlich ein Film,
der dem Kind in mir entsprechend Spaß macht und mich berührt. Im Plotting hat Sarah im Grund immer drei, vier Geschichten
genommen und versucht, Elemente, Momente und Situationen daraus zu verwenden und diese mit einer umspannenden Filmdramaturgie
zu verbinden. Das war alles andere als einfach, weil die einzelnen Bände der Buchserie nur relativ kleine Bögen spannen. Die
dazu erfundene Figur des Influencers Hank Haberer im ersten Teil und die erweiterte Krimi-Geschichte in NEUE GESCHICHTEN VOM
FRANZ waren jeweils die Lösung, um an eine gut funktionierende Filmdramaturgie zu kommen. Die Geschichten von Christine Nöstlinger
haben einige Jahre auf dem Buckel, wir haben versucht, den Charme der Vorlagen zu bewahren, Nöstlingers Haltung und Vision
von der Welt gerecht zu werden und trotzdem für die Kinder von heute glaubwürdig zu sein. Und manche Dinge, die mir auf den
ersten Blick vielleicht nicht mehr zeitgemäß vorkamen, gibt es in Wien in gewisser Weise halt doch noch. Zum Beispiel die
Figur der grantligen Nachbarin Frau Berger, der ich in meiner Zeit hier in vielen Schattierungen doch auch immer wieder in
der Wirklichkeit begegnet bin. Und der die wunderbare Maria Bill eine solche menschliche Tiefe gegeben hat. Maria war wirklich
ein Glücksfall für beide Filme.
Franz hat in NEUE GESCHICHTEN VOM FRANZ etwas längere Haare, er könnte für Mädchen und Buben eine Identifikationsfigur sein.
Auch sonst scheint ein Wert darauf zu liegen, dass die Rollen nicht mit Klischees belegt sind, besonders bei den Eltern von
Franz, wo sich der Vater um den Haushalt, die Mutter ums größere Familieneinkommen kümmert. Wie sehr stand der Anspruch, Geschlechterstereotype
zu vermeiden, im Vordergrund? Wie sehr hat Christine Nöstlinger mit ihrem Franz, der ein untypischer Junge ist, dazu schon
den Grundstein gelegt.
JOHANNES SCHMID: Sarah Wassermair hat viel darüber nachgedacht, wie man Modernität mit Dingen gestaltet, die Christine Nöstlinger auch gefallen
würden; dass der Vater von Franz zu Hause den ganzen Familienladen schmeißt, während die Mutter eine erfolgreiche Anwältin
ist, hätte ihr sicher gefallen. Man kann sagen, wir sind in ihrem Geiste ein paar Schritte Richtung Jetztzeit gegangen. Und
es gab in der Tat die Ambition, die Diversität der Welt um unsere Hauptcharaktere herum abzubilden, z. B. auch unter den Mitschüler:innen
oder den Kompars:innen. Ich hoffe, dass man das spürt. Oft bleibt Film da ja hinter der bereits existierenden Wirklichkeit
zurück.
Das Dazwischen-Stehen ist aber nicht nur im Sinne der Geschlechter-Identität präsent, sondern es ist auch das zentrale Problem
von Franz, dass er zwischen seinen beiden besten Freund:innen steht. Das ist eine interessante dramaturgische Dynamik, aber
auch ein wesentliches Kinderthema, das Kinder aus der Schule und Freundschaft, aber auch aus der Familie kennen.
JOHANNES SCHMID: Ja, absolut. Auf einer emotionalen Ebene steht die Frage im Mittelpunkt, wieviel Konflikt Freundschaft aushält, wie ehrlich
man in einer Freundschaft miteinander umgehen kann. Ein wichtiger Punkt ist auch der, dass die Kinder sich am Ende sagen –
Jetzt sind wir zwar zerstritten, aber es geht jetzt um etwas anderes, Wichtigeres, deshalb müssen wir zusammenhalten. Denn
die Berger kann nichts dafür, dass Franz seine Freunde angelogen hat. Viele Kinder kennen das: Wenn man mit einer kleinen
Lüge, die geglaubt wird, anfängt, wird es ja immer schwieriger zur Wahrheit zurückzufinden. Um dies dann zuzugeben, muss man
ganz schön mutig sein. Zum Schluss geht es um etwas Größeres, plötzlich ziehen alle wieder an einem Strang – und dies nicht,
wie Franz es am Anfang des Films aufschnappt, weil ein gemeinsamer Feind eine Freundschaft stärkt, sondern die drei tun es
für eine neue gemeinsame Freundin – die Frau Berger. Das ist eine schöne Wendung.
Zentrum der Erzählung ist das Dreieck Franz, Gabi und Eberhard (die Vornamen aus den Achtzigern wurden beibehalten), das besonders
gut funktionieren muss. Wie ist der Cast mit Jossi Jantschitsch, Nora Reidinger und Leo Wacha entstanden?
JOHANNES SCHMID: Ja, wir haben diese Vornamen beibehalten. Das war auch eine interessante Annäherung im Casting-Prozess für den ersten Teil.
Welche Erwartungen an die Charaktere, die durch die Vorlage kommen, will man erfüllen? Wie nah bleibt man an den Illustrationen
von Erhard Dietl dran? Wie machen wir drei moderne Kinder daraus? Und muss man dafür die Namen ändern? Martina Poel hat fürs
Kinder-Casting an die 1000 Videos gesichtet, wir waren ja mitten in der Pandemie. Einerseits wollten wir Kinder, die einigermaßen
der Vorlage gerecht wurden. Bei Nöstlinger werden die drei gerade ja auch über äußerliche Eigenschaften beschrieben. Stichwort
Franz als der Kleinste mit den Locken. Aber wir brauchten auch drei Kinder, die als Kombination stimmten und diese großen
Rollen auch schultern konnten. Zudem mussten wir abwägen, wie sehr sie noch Kind oder doch schon dabei waren, diese Phase
hinter sich zu lassen. Der komplette Cast stand erst ziemlich kurz vor Dreh. Der erste, bei dem klar war, dass er dabei sein
musste, war Leo Wacha, der Eberhard, der sich – obwohl er überhaupt nicht klein ist – ursprünglich für die Rolle des Franz
beworben hatte. Er hat uns darstellerisch so überzeugt, dass wir ihn auf alle Fälle dabei haben wollten. Für Gabi hatten wir
einige sehr gute Kandidatinnen, der letzte, der ins Boot kam, war dann der Darsteller von Franz. Am Ende hatten wir drei großartige
Kinderdarsteller:innen gefunden, die alle drei auch privat sehr unterschiedliche Charaktere sind und die ganz viel eigenen
Input für die Rollen mitbrachten.
Wie haben Sie mit ihnen in der Drehvorbereitung gearbeitet?
JOHANNES SCHMID: Wenn man durch einen so langen Casting-Prozess geht, dann hat man oft schon wichtige Szenen gemeinsam probiert. So ein Dreh
ist ein Riesen-Erlebnis für die Kinder, das sehr prägend ist für sie. Man wird als Regisseur zu einem sehr wichtigen Ansprechpartner.
Mir hat da sicher auch geholfen, dass ich selbst eine Tochter in dem Alter habe. Was die Schauspielführung betrifft, habe
ich schon mehrfach mit Kindern gedreht, allerdings waren diese zwölf und älter. Mit Zwölfjährigen kann man im Grunde arbeiten
wie mit Erwachsenen. Die Arbeit mit Neun- oder Zehnjährigen war neu für mich. Bei jüngeren Kindern nimmt man vielleicht deren
eigenen Charaktereigenschaften etwas mehr in die Figuren hinein und ich hatte mit Elisabeth Wasserscheid eine hervorragende
Kollegin für das Kindercoaching an meiner Seite. Sie hat begonnen, mit den Kindern das Drehbuch zu besprechen und vor Drehbeginn
hatten wir – nach einem gemeinsamen Ausflug – drei Tage für gemeinsame Proben. Beim Dreh hat Elisabeth die Kinder täglich
auf die jeweiligen Szenen vorbereitet. Im Unterschied zum Drehen mit Erwachsenen geht es bei der Arbeit mit den Kindern mehr
ums „Abholen“ von unterschiedlichen Momenten, die zur Gesamtheit einer Szene führen. Ich versuche weniger eine ganze Szene
so lange zu proben, bis sie funktioniert. Sondern man überlegt genau, wann brauche ich welchen Moment später im Schnitt. Und
darauf setzt man den Fokus in der Arbeit. Die Konzentrationszeit der Kinder ist begrenzt und die zugelassenen Drehzeiten auch.
Insofern ist der Prozess des Drehens bereits anders, aber dann auch der im Schneideraum, wie die jeweiligen Szenen erstellt
werden.
Welche besonderen Anforderungen stellt ein Kinderfilm an die Kamera?
JOHANNES SCHMID: Matthias Grunsky war ein Glücksgriff für diesen Film. Er ist in Wien aufgewachsen, dann lange in den USA gewesen, wo er Kamera
studiert hat. Für die Franz-Filme ist er in die Stadt seiner Kindheit in gewisser Hinsicht zurückgekehrt und hatte sich einen
ganz besonderen Blick auf die Stadt und auf die drei Kindercharaktere bewahrt, mit denen er sich emotional sehr gut verbinden
konnte. Es war auch eine Herausforderung, immer auf Augenhöhe der Kinder zu sein, auch in technischer Hinsicht, dass man sich
immer auf 120 cm Höhe bewegt und von deren Perspektive aus erzählt, ohne je übertrieben den Größenunterschied zu den Erwachsenen
zu betonen. Eine ganz besondere Rolle spielen auch der Sommer und das Licht. Beide Filme sind von einer warmen Farbigkeit
geprägte Sommerfilme. Matthias hat Optiken verwendet, bei denen sich besonders viele „Flairs“ abzeichnen, was auch zu einem
besonderen Sommergefühl beiträgt.
Es geht in NEUE GESCHICHTEN VON FRANZ auch darum, die Geschichte in Wien zu verankern. Wien-Identität wird nicht durch die
Sprache erzeugt, sondern über andere Mittel. Wie haben Sie sich Wien angeeignet?
JOHANNES SCHMID: Es war für mich ein sehr neugieriges Entdecken dieser Stadt. Mich fasziniert, dass Wien eine so prächtige Großstadt ist, die
eine Herrschaftlichkeit und Internationalität ausstrahlt und gleichzeitig durch die einzelnen Bezirke eine dörfliche und auch
skurrile Anmutung haben kann. Ich mag diese Vielschichtigkeit sehr. Beides wollte ich in den Filmen zeigen, Vieles haben wir
im zweiten Bezirk gefunden. Interessant ist die Beobachtung mit der Sprache, denn der Cast ist vollkommen österreichisch und
wir haben uns nicht bemüht, die Kinder hochdeutsch sprechen zu lassen. Eher im Gegenteil. Teilweise wurden bestimmte österreichische
Begriffe sogar extra gecoacht, weil sie uns aus den Mündern unserer Kinderdarsteller zu wenig authentisch klagen. Der Großteil
der Kinder, die mir hier u. a. auch in den Castings begegnet sind, ist sprachlich vermutlich aufgrund des Mediengebrauchs
sehr hochdeutsch geprägt. Mir war es auf jeden Fall sehr wichtig, dass im Grunde ausschließlich österreichische oder zumindest
hier lebende Schauspieler:innen mitwirkten. Man hat allen Beteiligten die Lust angemerkt, diesem Nöstlinger-Kosmos und diesem
Wien nahezukommen. Man muss hier nur sagen, dass man einen Nöstlinger-Film macht und jede Tür ist offen.
Der Sommer rückt gerade näher. NEUE GESCHICHTEN VOM FRANZ erzählt auch von den Sommerferien und der Freiheit in der Stadt.
Heute versucht man, die Ferien der Kinder ja eher durchzuorganisieren, anstatt sie alleine auf Abenteuertour durch die Stadt
zu schicken. Schwingt hier auch etwas von Nostalgie mit, dass es solche Ferien eher in Zeiten, wo Christine Nöstlinger geschrieben
hat, gegeben hat?
JOHANNES SCHMID: Es schwingt in der Tat eine gewisse Nostalgie mit, aber auch eine Vision von einer Welt, wie man sie gerne hätte. Ich habe
dennoch wahrgenommen, dass durch die Grätzelstruktur in Wien die Beweglichkeit der Kinder größer ist als anderswo. Und ich
habe die Wiener Kinder als sehr selbständig erlebt. Dass die drei Kinder bei uns im Film sogar nachts in der U-Bahn unterwegs
sind, ist vielleicht filmisch etwas zugespitzt, wirkt aber für mich nicht unrealistisch. Ich glaube, Wien lässt es tatsächlich
zu, Kindheit manchmal so zu erleben.
Interview: Karin Schiefer
Juni 2023