Daniel Glattauers Roman Darum liefert die Vorlage für den neuen Kinofilm von Harald Sicheritz mit Kai Wiesinger in der Hauptrolle. Die Dreharbeiten von
DARUM (vormals: Schuldig) sind Anfang August abgeschlossen, der Kinostart in Österreich ist für Frühling 2008 geplant. Harald Sicheritz im Gespräch
über die Dreharbeiten.
Es gibt nach einer Kino-Pause wieder einen Film von Harald Sicheritz für die große Leinwand. Wie sind Sie auf den Stoff für
DARUM aufmerksam geworden?
HARALD SICHERITZ: Die Pause war vielleicht ein bisschen länger als bei den Filmen, die ich zuvor gemacht habe, aber wie bei vielen Dingen in
meinem Leben steht da kein gezielt ausgeheckter Plan dahinter. Ich erhielt einen Anruf und wurde gefragt, ob ich mir vorstellen
könnte, daraus einen Film zu machen. Ich habe DARUM, den Roman von Daniel Glattauer, gelesen, er hat mir sehr gefallen und
ich habe zugesagt. Es ist natürlich sehr reizvoll, etwas zu machen, was man vorher noch nie gemacht hat, und dieser Film ist
mein erstes Gerichtssaal-Drama.
Mit Wanted haben Sie eine Art Anti-Western erzählt, in DARUM geht es um einen Täter, der seine Schuld beweisen möchte. Kann
man vom Ansatz her etwas wie einen Anti-Krimi erwarten?
HARALD SICHERITZ: Es mag jetzt pedantisch klingen, aber bei diesem Stoff geht es nicht um einen Krimi, sondern um ein Gerichtssaal-Drama, nicht
ums „Who’s done it?“, das sieht man in Minute 6 oder 7, sondern um das Warum. Es ist natürlich richtig, dass in diesem Stoff
die Prämisse umgekehrt ist und ein Mörder sich bemüht, seine Umwelt von seiner Schuld zu überzeugen. Das gefiel mir sehr.
Wann kommt es z.B. schon vor, dass jemand auf einen Pflichtverteidiger besteht? Haigerer, der Protagonist, hat ja keinen anderen
Plan als möglichst schnell lebenslänglich hinter Gitter gebracht zu werden. Und dann ist da auch der philosophische Hintergrund
– das klingt jetzt vielleicht hochtrabend, aber es muss schon einen guten Grund geben, der mich bewegt, eine Geschichte zu
erzählen. Meine Interpretation ist die, dass es da um Fanatismus geht. Dieser Mann ist ein Fanatiker, insofern als er glaubt,
mit allen Mitteln das, woran er glaubt, durchsetzen zu müssen. Da ist Mord ein ziemlich drastisches Mittel. Die Verbrämung
von Mord und Fanatismus ist etwas, das ich für sehr „à-propos“ halte.
Dass sich alles ins Absurde verkehrt, lässt einen Ansatz zur Komödie vermuten?
HARALD SICHERITZ: Ich kann verstehen, dass diese Vermutung nahe liegt, aber ich muss die Erwartungen enttäuschen. Darum ist, wie gesagt, ein Gerichtssaal-Drama. Grotesk ja, aber es ist ein echtes Psychodrama. Es hat nichts von einer Komödie,
sondern erzählt, wie jemand auf eine der wahnsinnigsten Ideen, die man haben kann, kommt und mit diesem Plan baden geht. Der
Stoff hat mich auch interessiert, weil er etwas sehr Kammerspielartiges hat. Die Situation heute hier im Gerichtssaal täuscht
ein wenig, aber ansonsten kommt der Protagonist Jan Haigerer, praktisch in jeder Szene vor. Es wurde auch von mir nie eingefordert,
diese Geschichte mit Humor zu versehen, weil man das von mir erwartet. Es geht nur darum, möglichst unaufdringlich zu erzählen,
wohin Fanatismus einen bringen kann. Daniel Glattauer hat im inneren Monolog des Buches, das er in der Ich-Form geschrieben
hat, wesentlich mehr Humor drinnen, als es im Film möglich war umzusetzen. Das heißt jetzt nicht, dass hier Humorvermeidung
um jeden Preis angesagt ist, das ist nicht möglich im Leben. Aber es ist, wie es ist – eine trockene Sache.
Wie ließ sich der Stil der Romans filmisch umsetzen?
HARALD SICHERITZ: Daran hat Agnes Pluch eineinhalb Jahre gearbeitet, wie ich finde, mit großem Erfolg. Ihre Arbeit bestand darin, den Roman
für die filmische Umsetzung zu adaptieren. Ich kam dann in der Phase, wo man beginnt, das Drehbuch einzurichten, darauf, dass
ich bei manchen Figuren anstehe. Ich habe dann versucht, einige Linien wieder zurück zum Roman zu führen, weil ich aufgrund
meiner eigenen Erfahrung von literarischen Adaptationen feststellen konnte, wie heikel es ist, bei der Adaptation eines Romans
etwas auszuprobieren, was von der Vorlage weit weg ist. Literaturverfilmung ist immer ein großes kinophilosophisches Thema.
Ich möchte aber auch nicht, dass man nur wegen eines Buches ins Kino geht.
Hat Daniel Glattauer beim Drehbuch mitgewirkt?
HARALD SICHERITZ: Bei den ersten Sitzungen, als es zwischen Agnes Pluch, Daniel Glattauer, den Produzenten und mir darum ging, das Wesentliche
des Buches auf den Punkt zu bringen und es zu benennen - und ich erinnere mich, da gab es lange Sitzungen, fast Seminare –
da war Daniel dabei. In der Phase des Schreibens gar nicht, weil er von sich sagt, dass er Drehbuch-Schreiben nicht kann.
Ich glaube aber, er hat alle Fassungen gelesen und auch kommentiert. Er schreibt in sehr schönen Bildern, aber was ich an
ihm so besonders mag, ist seine Sprachgewandtheit und dass niemals der Belletristik-Verdacht aufkommt.
Es gibt eine illustre Darstellerliste, gibt es neben dem Protagonisten auch eine Reihe von wesentlichen Nebenfiguren?
HARALD SICHERITZ: Ich habe versucht, so zu besetzen, wie es vor meinem geistigen Auge entstanden ist. Ja, man erfährt durchaus auch von seinem
Umfeld. Er hat einen Anwalt, er hat seine Zellenwärter und es gibt viele Zeugen. Es erinnert fast an Theater aus den fünfziger
Jahren, man erfährt über eine Person, indem Menschen über sie sprechen, es erinnert mich ein bisschen an Andorra z.B. Man versucht aus diesen Personen im Gerichtssaal etwas herauszulocken, um über ihn etwas zu erfahren, weil er selber
nichts sagt.
Wie fiel die Wahl auf Kai Wiesinger als Hauptdarsteller?
HARALD SICHERITZ: Das war relativ einfach. Wir haben uns sehr viele Leute angeschaut, die Wahl fiel schließlich auf Kai, weil wir im Laufe der
Zeit immer besser präzisieren konnten, welche Ansprüche der Protagonist zu erfüllen hatte: er sollte ein Intellektueller sein,
dem man zutraut, ein guter Schreiber zu sein und der jemand ist, der ein Geheimnis in sich trägt. Es gehört auch zu den reizvollen
Herausforderungen in der Filmarbeit, Menschen 90 Minuten lang dafür zu interessieren, warum dieser Mann diesen Wahnsinn begangen
hat. Er hat mir sehr gut gefallen, weil er eine große und hagere, fragile, fast asketische Erscheinung ist. Haigerer ist kein
unauffälliger Mann von nebenan, er ist sehr beliebt und unter Journalistenkollegen angesehen. Man muss jetzt keine Parallelen
ziehen, aber Daniel Glattauer bestreitet nicht, dass Jan Haigerer für ihn eine Art Alter Ego ist, das hat möglicherweise auch
noch eine Rolle gespielt. Ich bin mit meiner Besetzung sehr glücklich, ich spekuliere nicht mit Blockbuster-Potenzial, sondern
ich möchte, dass es ein schöner, spannender Film wird.
Wieviel der Dreharbeiten hat sich hier im Gerichtssaal abgespielt?
HARALD SICHERITZ: Ich würde sagen, an die 40%. Wir hatten 25 Drehtage, drei Viertel davon sind erledigt. Es ist mörderisch anstrengend – das
Geld ist sehr knapp, wir haben ein Budget von knapp unter zwei Mio Euro - die Ansprüche sind aber bis zu einem gewissen Grad
sehr hoch, weil wir in der formalen und optischen Umsetzung ein hohes Maß an Kinogerechtheit einbringen wollten. Ein statisches
Set-up wie ein Gerichtssaal bietet sich nicht dafür an, in einem dokumentarischen Stil zu filmen.
Wie hat die Arbeit mit dem Kameramann ausgesehen?
HARALD SICHERITZ: Das war sehr intensiv. Wir haben sehr viele Bilder angesehen. Bilder von Sälen, Gefängniszellen, wir haben uns viele Gedanken
über Symbole gemacht, denn rund 10% der Bilder umfassen die Visionen und Vorstellungen des Protagonisten. Das sind Dimensionen,
die mir eine große Freude machen.
Die Einstellungen, die soeben gedreht wurden, sind ziemlich lange...
HARALD SICHERITZ: Das heißt nicht, dass es dann in der Montage so ist, gerade in einer statischen Situation wie der im Gerichtssaal, ist es
mit so gut trainierten Schauspielern einfach spannender, lange durchzudrehen, weil es ein Plus an Rhythmus bringt und auch
Zeit spart. Diese Einstellung ging jetzt so schnell, weil wir schon an die Situation gewöhnt sind. Die Szene dauert zweieinhalb
Minuten, hat aber 22 Einstellungen. Es gibt in einem europäischen Gerichtssaal im Gegensatz zum amerikanischen einfach viel
weniger Bewegung. Um bei uns Bewegung hineinzubringen, muss man extrem auflösen. Diese zweieinhalb Minuten dürfen, da unser
Zeitplan so knapp ist, nur einen halben Drehtag in Anspruch nehmen. Ich habe heute drei Szenen am Plan und noch etwas aufzuholen.
Es ist ganz schön hart.
Worum geht es in der aktuellen Szene?
HARALD SICHERITZ: Wir sind im Gerichtssaal im letzten Drittel, es geht darum, dass eine Zeugin eine sehr spektakuläre Aussage trifft, nämlich
dass das Mordopfer homosexuell war. Das gehört zu den absurden Aspekten dieser Geschichte, dass Haigerer völlig wahllos jemanden
getötet hat, ohne in irgendeiner Weise etwas von ihm zu wissen und er erfährt z.B. erst im Laufe der Vorermittlung, dass sein
Opfer homosexuell war. Es ist für den Täter eine Gelegenheit, ein Motiv vorzubringen, nämlich, dass er selber homosexuell
ist und ihn aus Eifersucht ermordet hat. Jetzt taucht die Cousine des Ermordeten auf und sagt aus, sie könne sich nicht vorstellen,
dass es zwischen beiden eine wirklich leidenschaftliche Beziehung gegeben haben kann, da er schwer aidskrank gewesen war.
So nimmt die Geschichte immer wieder ihre Wendungen...
Interview: Karin Schiefer
Juli 2007
© Fotos: Allegro Film/Petro Domenigg