Österreich galt nach dem Zweiten Weltkrieg als Opfer der nationalsozialistischen Aggression und verfügt daher auch über einen
nationalen Gedenkpavillon in Auschwitz. Seine aktuelle Neugestaltung wirft Fragen zur Ambivalenz zwischen kollektiver und
individueller Geschichtsdarstellung auf: Fabian Eder geht in seinem Dokumentarfilm Der schönste Tag Konzepten der Erinnerungsarbeit auf die Spur und erzeugt mit Dialogen zwischen Zeitzeug*innen und ihrer Enkelgeneration ein
interessantes Spannungsfeld zwischen offiziellem Gedenken und privatem Erleben.
Die erste Einstellung von Der schönste Tag zeigt die Demontage der Ausstellung im Österreich-Pavillon der Gedenkstätte in Auschwitz-Birkenau. Gleichzeitig wird in diesem
Zuge auch eine Theorie demontiert, nämlich, dass Österreich das erste Opfer der Aggression durch die Nazis war. Hat die Frage,
was es heißt, kollektiv auf der einen, individuell auf der anderen Seite Geschichte zu erzählen, den Anstoß für diesen Film
geliefert?
FABIAN EDER: Ja, absolut. Wir haben uns ursprünglich nur mit der Neukonzeption dieser Ausstellung auseinandergesetzt. Ich wollte zunächst
keinen Film zu diesem Thema machen, wissend, dass es bereits so vieles dazu gibt und gleichzeitig nie alles darüber weder
gesagt noch begriffen werden kann. Ich habe ich mich bereits in anderen Arbeiten mit der Frage beschäftigt, wie Narrative
entstehen und in den Generationen weitergegeben; v.a. auch wie Traumata weitergegeben werden. Das ist ein interessantes Feld,
das immer mehr in den Fokus rückt. Vor einigen Jahren bin ich auf zwei sehr bemerkenswerte Arbeiten gestoßen: eine große Studie
von Gabriele Rosenthal, die sich mit dem Narrativ beschäftigt und dabei festgestellt hat, dass die Art, wie die erste Generation
der zweiten erzählt sich gravierend in Form und Inhalt davon unterscheidet, wie die erste Generation der dritten erzählt.
Die zweite ganz wichtige Arbeit war Dan Bar-On Die Last des Schweigens, der sich damit beschäftigt, wie sich traumatische
Ereignisse über die Generationen übertragen, auch wenn sie nicht erzählt werden. Das Schweigen ist prägender Bestandteil des
Narrativs, sowohl auf Seite der Opfer wie auf Seite der Täter bzw. Mitläufer. Als mich der Gedanke beschäftigte, doch einen
Film zu machen, war diese Last des Schweigens eine ganz entscheidende Komponente, die ich einbeziehen wollte. Mein Ansatz
war, das staatliche Narrativ, auf das man sich schon schwer genug einigt, dem Narrativ in den Familien gegenüberzustellen.
Können Sie kurz das Konzept der nationalen Gedenkpavillons in Auschwitz beschreiben?
FABIAN EDER: Die Geschichte der permanenten österreichischen Länderausstellung in Auschwitz ist eine ambivalente. Im Stammlager gibt es
die ehemaligen Zellenblöcke, wo sich die nationalen Ausstellungen aus vielen Ländern befinden. Ausschwitz verfolgt dabei das
Dogma, wonach jede Ausstellung mit spätestens 8. Mai 1945 enden muss und nicht weitergehen darf. Das hat im Laufe der Jahre
in so manches Dilemma geführt, weil z.B. Jugoslawien als ein Staat nicht mehr existiert, und heute jedes Land am Westbalkan
natürlich seine eigene Geschichte über den Holocaust erzählen will. Die Bundesrepublik Deutschland durfte – und darf – als
„Täterland“ gar nicht ausstellen, hingegen die DDR schon. Österreich durfte deshalb ausstellen, weil man ihm den so genannten
Opferstatus zuerkannt hat. Im Gedenkjahr 1978 wurde die erste Ausstellung eröffnet, gestaltet wurde sie von österreichischen
Widerstands- und Spanienkämpfer*innen. Aus deren – persönlicher! – Sicht ist der Satz, dass Österreich das erste Opfer der
Naziaggression war, richtig. Nur wurde diese Perspektive national vereinnahmt, wodurch die Legende, dass alle Österreicher*innen
„Opfer“ des Anschlusses waren, zum Herzstück des staatlichen österreichischen Geschichtsnarratives wurde. Das ist nicht legitim.
Und genau das hat der damalige Bundeskanzler Franz Vranitzky in seiner historischen Rede 1991 richtiggestellt. In Folge dieser
Rede wurde 1995 der Nationalfonds der Republik Österreich gegründet und 2009 von der damaligen Regierung beschlossen, diese
Ausstellung neu zu gestalten, um einer differenzierten Sichtweise Raum zu geben. Das Interessante daran ist, dass diese Ausstellung,
ganz polemisch gesagt, von Österreichern kaum besucht wird, abgesehen von ein paar Schulklassen, die sich gelegentlich nach
Auschwitz verirren. Trotzdem hat sie innenpolitisch eine weit größere Relevanz, nicht zuletzt, weil sie als die Visitenkarte
Österreichs in der Welt gesehen wird. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass dieses Thema noch immer eine offene Wunde mit innenpolitischer
Brisanz ist, zeigt alleine die Tatsache, dass wir vor wenigen Jahren einen Vizekanzler hatten, der in seiner Jugend in der
Kampfsporttruppe des verurteilten Neonazis Gottfried Küssel an der Waffe ausgebildet wurde, und das im parteiübergreifenden
– vor allem aber unbegreiflicherweise in einem medialen Konsens abgenickt wurde. Wir haben das noch lange nicht in seiner
Dimension eingeordnet.
Die lange Eröffnungssequenz zeigt den Abbau der Ausstellung, auf der Tonebene ist parallel dazu Hitlers Rede an Österreich
vom 13. März 1938 zu hören; beide Ebenen sind voneinander entkoppelt und erzeugen Spannung, was man als formales Leitmotiv
und Grundstruktur des Films wahrnimmt. Spannung zwischen Ton und Bild, zwischen den verschiedenen Gesprächsmotiven, zwischen
den Generation. Wie haben Sie zu diesem Spannungsthema hingefunden?
FABIAN EDER: Wir haben nach Paarungen mit Zeitzeugen gesucht, die am Film mitwirken wollten und zu unserer Überraschung haben sich viel
mehr Leute gemeldet als wir gedacht hatten. Resultat war, dass wir vor einem enormen Berg an Material standen, das zu sichten
und ordnen lange gedauert hat. Der Faktor Zeit war in dieser Arbeit extrem wichtig. Ich hatte geplant, den Film mit der Münchner
Editorin Ulrike Pahl zu schneiden, die zu jenem Zeitpunkt gerade in Pension gegangen ist. Sie hat sich die ersten Muster angeschaut
und meinte, dass eine jüngere Person mit diesem Material umgehen sollte, da es meine Absicht war, vor allem ein jüngeres Publikum
zu erreichen. Das hielt ich für einen sehr spannenden Zugang. Ich habe dann mit Esther Fischer eine ganz junge Editorin an
der Filmakademie gefunden, die sich langsam eingearbeitet hat und schließlich voll hineingekippt ist. Wir mussten aber beide
immer wieder ganz bewusst einen Schritt zurücktreten, weil uns das Material teilweise ziemlich an die Nieren gegangen ist.
Wir hatten es insgesamt mit 23 Dialogen zu tun, wo jede einzelne Geschichte sehr herausfordernd war. Wenn man sich mit dem
Holocaust beschäftigt, gelangt man an Fragen, die man weder beantworten noch begreifen kann. Man braucht immer wieder Distanz.
Es war ein langes Mäandern, vor und zurück. Als wir das Material erfasst hatten, begannen wir für den Film eine Dramaturgie
zu bauen, der wir in unserer Arbeit konsequent gefolgt sind. Bemerkenswert ist aber, wie unheimlich präzise Esther Fischer
die Dialoge geschnitten hat. Das ist für eine so junge Editorin außergewöhnlich.
Für die Gespräche gab es grundsätzlich zwei Settings: die Gespräche mit Bezug auf die Neugestaltung des Pavillons finden alle
am selben Ort statt, die Erinnerungsdialoge in einem bewegten Setting im Abteil eines fahrenden Zuges. Wie sind diese beiden
unterschiedlichen Ansätze entstanden?
FABIAN EDER: Wir haben uns die Frage gestellt, wie wir die Diskussion um das staatliche Narrativ vom privaten unterscheiden. Für ersteres
entschieden wir uns für eine klassische Interviewsituation, die vor dieser Backsteinmauer stattfindet. Für die privaten Erzählungen
habe ich gemeinsam mit dem Szenenbildner Rudolf Czettel lange nach einer Lösung gesucht. Es war für mich undenkbar, mit mehreren
Kameras zu einem Zeitzeugen ins Wohnzimmer zu gehen. Ich wollte nicht, dass der Raum rund um das Gespräch eine Rolle spielte,
dass die Menschen mit ihrem privaten Umfeld in Verbindung gesetzt wurden und ich wollte die sozialen Unterschiede aufheben,
was letztlich nur in einem öffentlichen Raum möglich ist. Als die Idee des Zugs aufkam, schien mir das zunächst nicht umsetzbar.
Die Lösung lag dann in einem Studiobau. Dazu gab es lange Tüfteleien, wie die Gesprächspartner*innen trotz der Kamera das
Gefühl hatten, einen geschützten Raum zu betreten. Diese Vorbereitung hat sich gelohnt. Sobald die Abteiltür zu war und vor
dem Fenster die Projektion der vorbeiziehenden Landschaft angefahren ist, die wir live und nicht erst im Nachhinein eingespielt
haben, haben diese Gespräche begonnen, die bis zu dreieinhalb Stunden gedauert haben. Der Zug hat nicht nur die Konnotation
der Deportation, sondern die vorbeiziehende Landschaft erzeugt eine zusätzliche zeitliche Ebene, die klassische eine Gesprächssituation
in einem statischen Studio nicht herstellen kann.
Es finden Gespräche mit einem sehr breiten Spektrum an Zeitzeugen statt. Wie ist dieses Spektrum entstanden?
FABIAN EDER: Wir haben zunächst einmal versucht, alle Opfergruppen abzudecken, was uns bis auf Roma und Sinti, wo wir niemanden mehr gefunden
haben, gelungen ist. Was uns wichtig war und sich als viel schwieriger herausgestellt hat, war, Menschen zu finden, die man
als „Mitläufer“ bezeichnen kann. Da gibt es eine große Zurückhaltung und Angst, über diese Zeit zu sprechen; dass sie so massiv
ist, hat mich sehr irritiert. Es hat vielleicht mit Scham zu tun, aber vor allem mit einem Nicht-Wissen, wie man damit umgeht.
Und es wirft für mich die Frage auf, wie nachfolgende Generationen, die sich ohne Täter gewesen zu sein, immer noch schuldig
fühlen, von dem Gefühl der Schuld hin zum Wahrnehmen einer Verantwortung gelangen. Das Darüber-Schweigen hilft nicht weiter.
Gab es mit den jungen Gesprächspartner*innen vorbereitende Gespräche, ehe sie sich in den Dialog vor der Kamera begeben haben?
FABIAN EDER: Diese Überlegung gab es und wir wurden auch seitens der jungen Leute gefragt, wie sie das Gespräch führen sollten; wir haben
das dann aber total reduziert. Meine einzige Anleitung war: „Wenn du nicht weißt, wie du das Gespräch anfangen sollst, frag
deine Großmutter oder Großvater einfach, wann und wo sie geboren sind“. Allein Ort und Zeitpunkt der Geburt dieser Generation,
der zwischen Anfang der 1920-er und Anfang der 1930-er Jahre liegt, haben die Gespräche in Gang gesetzt. Meine zweite Bitte
war, nicht bei 1945 Schluss zu machen, sondern die Erinnerungen bis ins Heute weiterzuführen. Ich halte das für ganz besonders
wichtig, denn es ist ein entscheidender Irrtum in unserer Aufarbeitung, dass mit der Entnazifizierung 1945 alles wieder in
Ordnung gewesen wäre.
Die Gespräche finden grundsätzlich zwischen Großeltern und Enkelkindern statt, eines der Gespräche führen Sie selbst, und
zwar jenes mit Aba Lewit. Es ist ein besonders berührendes Gespräch, das bestimmt für Sie auch eine besondere Erfahrung war.
FABIAN EDER: Es war vielleicht das wichtigste Gespräch, das ich in meinem Leben führen durfte. Aba Levit hatte keine Enkelkinder, daher
tauchte die Frage auf, mit wem er dieses Gespräch führen würde. Es gab viele Vorschläge, keiner war vollkommen überzeugend.
Irgendwann habe ich ihn gefragt, ob er das Gespräch mit mir machen würde. Das hat er bejaht. Ich überlegte dann, wie ich mich
auf das Gespräch vorbereiten konnte und saß schon vorm Computer, um zu recherchieren. Da sagte ich mir aber, „Genau das machst
du jetzt nicht“. Ich wollte ihm so begegnen, als säße ich ihm zufällig im Zug gegenüber. So ist das Gespräch dann auch gelaufen
und es hat mich in vielen Punkten so erwischt, wie es mich erwischt hat.
Der schönste Tag ist ein Film, der einmal mehr die Bedeutung des Redens, des Austauschs, des Dialogs vor Augen führt, der aber auch viele Gründe
des Schweigens ersichtlich macht.
FABIAN EDER: Das Schweigen geht mit dem Reden einher. Ein ganz wichtiger Teil des Narrativs ist das, was nicht erzählt ist. Wie das Bild
ja auch aus dem besteht, was es nicht zeigt. Geschichten wie die von Aba Levits Frau, die nicht sprechen konnte, gibt es unzählige.
Auf der Opfer- wie auf der Täterseite. Daher gelangt man auch immer wieder an die Punkte des absolut Unbegreiflichen.
Zwischen den beiden Gesprächssettings gibt es immer wieder Bilder von Gedenkstätten, Monumenten, Gedenkfeiern, die im Heute
verankert sind und die Frage aufwerfen: Was bleibt von den Ungeheuerlichkeiten und Unfassbarkeiten, die an den Orten erlebt
worden sind?
FABIAN EDER: Quer durch Europa gibt es eine Gedenkkultur, die sich höchst unterschiedlich gestaltet. In Auschwitz-Birkenau verfolgt man
den Ansatz, dass man den Status vom 8. Mai 1945 konservieren möchte. In Mauthausen versucht man, ein Museum zu machen. In
Krakau ist das Lager, von dem Aba Levit erzählt, heute ein öffentlicher Park, wo die Radfahrer durchfahren. Ein unbeschreibliches
Gefühl habe ich erlebt, als ich vor der Villa stand, die der österreichische Lagerkommandant Amon Göth bewohnt hatte, einer
der abscheulichsten Schlächter der Geschichte. Die Villa ist heute in Privatbesitz, ein Dreirad liegt vor der Garage herum.
Das konfrontiert einen mit der Frage, wie man mit einem Bauwerk umgeht. Irgendwann hat der polnische Staat die Villa nicht
mehr für erhaltenswert empfunden und sie verkauft und jetzt wohnt halt jemand dort. Da spielt sich so eine Diskrepanz ab.
Ich kann es schwer verstehen, aber auch nicht verurteilen. Funktioniert die museale Konservierung aus einer gewissen Distanz?
Wenn man in Auschwitz durch das Museum geht, ist man berührt, erschlagen
aber das wirklich Berührende ist, wenn man hinter
die Kulissen in die Restaurierungswerkstätten schauen kann und sieht, wie Mitarbeiter*innen dort den Rost von den Gasdosen
kratzen.
Ein eindringliches Beispiel ist auch das gelbe Stoffstück, auf dem im Rapport Judensterne gedruckt sind und sich unzählige
Einzelschicksale auf einem banalen Stück Stoff verdichten.
FABIAN EDER: Das ist ein gutes Beispiel. Die Aufnahmen von diesem Stück Stoff sind im Zuge der Vorbereitungen für die Ausstellungsgestaltung
getroffen worden. Ja, ich stimme zu, in diesem Stück Stoff steckt die Industrialisierung des Einzelschicksals und gleichzeitig
stehen da ein paar erwachsene Menschen und überlegen stundenlang, wie sie dieses Stück Stoff hinlegen sollen, um ihn am besten
fotografieren zu können. Das beinhaltet für mich in einer Nussschale die Hilflosigkeit, wie wir damit umgehen. Ich glaube,
diese Frage ist nicht eindeutig zu lösen und jede Generation wird ihre eigene Erzählung brauchen.
Wie lange haben Sie den Prozess der Neukonzeption der Ausstellung in Auschwitz begleitet. Wie sah der Stand der Dinge am Ende
aus?
FABIAN EDER: Wir haben 2016 mit den Vorbereitungen für den Film angefangen. Die Ausstellung war, glaube ich 2018 fertig. Dann kam eine
relativ unkontrollierbare Ebene von Seiten des staatlichen Museums Auschwitz dazu, als sich herausstellte, dass dieser Zellenblock
renoviert werden musste, was wiederum nur unter der strengen Aufsicht des Denkmalschutzes geschehen darf. Damit hat sich
die Umsetzung der Ausstellung unkalkulierbar verzögert und wir konnten mit der Fertigstellung des Films nicht so lange warten.
Die Konstellation in Auschwitz ist sehr komplex, auch die polnische Regierung wacht darüber, dass in der Kommunikation über
Auschwitz Polen nicht als Täter dargestellt werden und damit sind wir wieder bei unserer Ausgangsfrage zum offiziellen Narrativ.
Ich habe ein sehr langes Gespräch mit dem Historiker Gerhard Botz geführt, in dem er den Begriff der Geschichtspolitik analysiert.
Er hat einen Vergleich zu den Taliban und deren Zerstörung der fünftausend Jahre alten Buddha-Statuen gezogen. Es wird eine
Vergangenheit vernichtet, um eine andere Gegenwart oder Zukunft zu öffnen. Es ist fast wie eine Zeitreise. Genauso ist der
Streit um das Narrativ über die Nazi-Herrschaft so eminent, weil es noch immer so stark auf unsere Gegenwart und auch auf
unsere Zukunft wirkt. Jetzt mehr denn je. Schauen wir uns nur den „heiligen Graal“ der weinerlichen Schuschnigg-Worte „Gott
schütze Österreich“ an, die so verklärt im kollektiven Bewusstsein verankert sind. Dass er ein Diktator war und seine Politik
Hitler den Weg nach und durch Österreich geebnet hat, wird geflissentlich ausgeblendet. Da ist bis jetzt nicht sauber aufgearbeitet
worden, und eine Aufarbeitung wird auch nicht funktionieren, so lange sie über gegenseitige, parteipolitische Schuldzuweisungen
ausgetragen wird.
Es gibt zwei sehr lange Tondokumente, die sich in Der schönste Tag über die Bilder legen und wichtige Säulen in der Dramaturgie bilden: Hitlers erste Rede am Heldenplatz am Tag des Einmarsches
der deutschen Truppen und Franz Vranitzkys Rede im österreichischen Parlament 1991 mit dem Bekenntnis zur österreichischen
Mittäterschaft. Worin liegt ihre zentrale Rolle?
FABIAN EDER: Hitlers Rede steht zu Beginn, Vranitzkys Rede zu Ende des Films und in der Mitte steht die Moskauer Deklaration als Manifest
der Opfer-These. Die zwei langen Reden habe ich deshalb einander gegenübergestellt, weil es mir stark um das Bewusstsein der
Verantwortung geht und wohin es führen soll. Ich glaube, dass wir als Land und Gesellschaft vor Entscheidungsfragen stehen.
In der Menschheitsgeschichte hat nichts ewig gehalten, es wird auch die Demokratie, wie wir sie kennen, nicht tun. Die Frage
wird sein, was kommt dann? Diesen Fragen muss man sich stellen und ehrlich zu sich sein. Franz Vranitzky hat in meinen Augen
einen wirklichen Meilenstein mit seiner Rede gesetzt und einen unheimlichen Hass auf sich gezogen, weil er in eine offene
Wunde gestoßen hat, mit der wir bis heute zu kämpfen haben. Für Hitlers Rede gilt dasselbe. Ich habe mich entschieden, die
Reden in dieser Länge zu lassen, weil sie in der Regel verkürzt wiedergegeben werden. Wovon Hitler da spricht, ist nicht die
Phantasie eines Diktators. Nach dem Krieg wurde gesagt: „Der Hitler war schuld“. Das war praktisch, die Bilder von ihm konnte
man in den Mistkübel schmeißen und fertig. So war es nicht. 1920 gab es einen parteiübergreifenden Konsens darüber, dass sich
Österreich mit Deutschland zu einem großen Reich vereint. Was rund um diesen 13. März 1938 in Wien passiert, war gesellschaftlicher
Konsens. Aber noch bevor Hitler in Wien war, ist eine Hatz gegen die Juden losgegangen, von der sich selbst das Parteiorgan
der NSDAP, Der Stürmer, distanzierte. Drei Monate später war Österreich praktisch judenfrei. Da ist etwas losgetreten worden
und eine Seite der Menschen, die in unserem Land gelebt haben, ans Tageslicht gekommen, die wegeschoben wird. Man greift gerne
auf die Handvoll Widerstandskämpfer*innen zurück, die es gegeben hat und die man nicht hoch genug ehren kann – aber man kann
den Widerstand in Österreich nicht mit einer Résistance in Frankreich vergleichen. Das hinterlässt einen mit vielen Fragen
und vielen Zweifeln.
Wie kam es zum Titel „Der schönste Tag“?
FABIAN EDER: Die Idee zu diesem Titel entstand bei einer früheren Schnittfassung. Kurz zurück: Wir haben ja parallel zum Film auch die
Serie Talk to me sozusagen als Ableger gemacht. Wenn wir die nicht gemacht hätten, dann wäre der Film siebeneinhalb Stunden
lang geworden. Mit dem Format der Serie konnte ich alle Zeitzeugen, die mit uns gesprochen haben und das Erbe, das sie hinterlassen
haben, auch entsprechend aufbereiten und zugänglich machen. Ohne diese Serie hätte ich für den Kinofilm keinen einzigen Zeitzeugen
rausschneiden können. In einer dieser Schnittfassungen kam das Gespräch auf Taras Borodajkewycz, der Anfang der sechziger
Jahre als Universitätsprofessor neonazistischen Äußerungen getätigt hat, u.a. sagte er, der Tag des Anschlusses im März 38
sei für ihn der schönste Tag seines Lebens gewesen. Daher rührt die Idee zum Titel. Als aber diese Geschichte hinausgeflogen
ist, standen wir erneut vor der Titelfrage. Wir kamen zu dem Schluss, dass diese Episode, ob in unserem Film oder nicht, auf
jeden Fall existierte und es besteht darüber hinaus das Recht diese drei Worte unterschiedlich zu konnotieren. Das haben wir
uns herausgenommen.
Ihr Gesprächspartner Gerhard Kastelic, der seinen Vater, der als Widerstandskämpfer hingerichtet worden ist, nie kennengelernt
hat, bringt viele unbeantwortbare Fragen auf den Punkt, da er als Nachkomme eines Opfers mit der aktuellen Darstellung nicht
zufrieden ist. Wir sehen die Bedeutung der individuellen Geschichtserzählung, aber auch die der offiziellen, die, verantwortungsvoll
aufbereitet, auch ein wichtiges Korrektiv ist. Wo kommt man da zu einer guten Antwort?
FABIAN EDER: Ich glaube, das ist die Kernfrage und die Herausforderung, vor die wir uns und auch die nächste Generation immer wieder stellen
müssen. Darauf gibt es keine finale Antwort. Es wird sich mit der zeitlichen Distanz vielleicht glätten. Ich glaube aber,
dass es noch sehr lange dauern wird, weil das Ereignis von Erstem und Zweitem Weltkrieg in Kombination mit dem Holocaust so
massiv ist, dass seine Auswirkungen uns noch lange beschäftigen und betreffen werden.
Interview: Karin Schiefer
Mai 2021