Ohne Johanna Dohnal wären die österreichische Frauenpolitik der siebziger und achtziger Jahre undenkbar. Sabine Derflinger
zeichnet in Wir wollen die Hälfte vom Kuchen das Portrait der ersten österreichischen Frauenministerin, um die Pionierin und Wegbereiterin heutiger Selbstverständlichkeiten
wieder ins kollektive Bewusstsein zu rücken. Ein Gespräch mit der Produzentin Claudia Wohlgenannt.
Wir treffen uns zu diesem Gespräch im Wiener Theater Drachengasse, das 1981 unter der Leitung von Emmy Werner eröffnet wurde.
Emmy Werner ist heute Interviewpartnerin vor Sabine Derflingers Kamera. Sie steht als erste Theaterleiterin in Wien für eine
Aufbruchsstimmung, mit der auch Johanna Dohnal in Verbindung gebracht werden kann. Wird Wir wollen die Hälfte vom Kuchen nicht nur von Menschen, sondern auch von Orten, die den Geist einer Epoche tragen, bestimmt sein?
CLAUDIA WOHLGENANNT: Wir versuchen Orte zu finden, die auch Geschichte transportieren. Für mich ist das Theater Drachengasse ein besonderer Ort,
weil ich damit auch die Anfangsphase unserer Recherche verbinde, wo Hanne Lassl, die Produktionsleiterin, Ulrike Bruckner,
die Regieassistentin, und ich das Stück Arbeit, lebensnah Käthe Leichter und Marie Jahoda gesehen haben, in dem es um zwei Pionierinnen der Sozialforschung ging, die leider heute wie so viele spannende
Frauenfiguren kaum mehr bekannt sind. Ich betrachte dieses Theater daher immer noch als einen Ort, wo Frauengeschichte
passiert und erzählt wird. Mit diesem Theaterabend im vergangenen Februar haben wir uns gemeinsam auf das Thema eingeschwungen.
Sabine Derflinger hat auch einige Interviews im Bruno-Kreisky-Forum geführt, das ebenfalls eine sehr passende Location ist,
um eine ganze Epoche und ihre Stimmung zum Schwingen zu bringen. Bruno Kreisky hat Johanna Dohnal in die Politik geholt, zu
einer Zeit, wo sehr viel in Bewegung geraten ist.
Sabine Derflinger ist auf Initiative des Johanna Dohnal-Instituts mit der Idee zu einem Film über die Frauenpolitikerin betraut
worden. Wie kamen Sie als Produzentin an Bord von Wir wollen die Hälfte vom Kuchen?
CLAUDIA WOHLGENANNT: Sabine Derflinger und ihre Produktionsleiterin Hanne Lassl sind mit dem Projekt auf mich zugekommen. Es hätten kaum mehr
reizvolle Faktoren zusammenspielen können: ein feministisches Thema, eine erfahrene Regisseurin und ein starkes Frauenteam.
Dieser erste Eindruck bestätigt sich nun laufend in der Zusammenarbeit, die ich sehr genieße, weil Kommunikation auf Augenhöhe
funktioniert und so viele kluge Geister zusammenwirken. So würde ich sehr gerne weiter arbeiten.
Johanna Dohnal ist eine Galionsfigur der österreichischen Frauenpolitik, die schon engagiertere Zeiten gekannt hat. Für jüngere
Generationen ist sie wohl weniger ein Begriff. Wie haben die Förderstellen auf dieses Thema und seine Relevanz reagiert?
CLAUDIA WOHLGENANNT: Ich glaube, wir segeln gerade mit einem guten Wind, auch wenn ich nicht behaupten kann, dass uns alle Finanzierungstüren
gleich offen gestanden sind. Mit einem Dokumentarfilmprojekt muss man sich grundsätzlich immer der Diskussion stellen, ob
sich das Thema eher für Fernsehen oder eher für Kino eignet. Als diese Debatte durchgestanden war, ist es dann relativ glatt
gegangen. Wir haben den richtigen Moment mit diesem Thema getroffen: Frauengeschichten einer breiten Öffentlichkeit bekannt
machen, ist mehr als zeitgemäß. Bis ein Film dann fertig gestellt ist, vergehen zwei Jahre. Offen bleibt, wie brisant das
Thema auch nach der Fertigstellung sein wird. Dieses Risiko besteht immer. Aus aktueller Sicht kocht das Thema weiter, ob
man nun an #MeToo denkt oder daran, dass die jetzige Regierung den Frauenhäusern die Gelder kürzt. Es geht um eine Debatte,
die wir führen müssen und ich hoffe sehr, dass dieser Film ein wichtiger Beitrag dazu ist.
Johanna Dohnal ist 2010 verstorben. Um ein Portrait von ihr entstehen zu lassen, werden wohl Archivmaterial und Menschen,
die sie gekannt haben, die wesentliche Elemente von Wir wollen die Hälfte vom Kuchen bilden. Welche Fragen haben Sie und Sabine Derflinger in der Konzeptphase beschäftigt?
CLAUDIA WOHLGENANNT: Unsere Zusammenarbeit war von Beginn an sehr intensiv. Wir führen viele Gespräche im Team und tauschen uns über die verschiedenen
Facetten des Themas aus. Aus der jetzigen Sicht wird das Archivmaterial etwa ein Drittel des Films ausmachen. Genau festlegen
kann man das natürlich gar nicht, da genau diese Art von Film erst im Schneideraum seine konkrete Form annehmen wird. Bis
jetzt haben wir viel im ORF recherchiert, es gibt viele Aufnahmen von Johanna Dohnal in Fabriken oder im Gespräch mit Frauenverbänden.
Eine der unerwarteten Entdeckungen waren dabei z.B. auch die Journalistenfragen, die an Johanna Dohnal gerichtet wurden. Aus
einer Distanz von 20/30 Jahren betrachtet, wäre es heute völlig undenkbar, Fragen so zu formulieren. Das ist ein sehr interessanter
Punkt, weil wir einerseits erleben, wie wenig sich verändert hat und wie dabei doch ein gemischtes Gefühl aus Nah und Fern
entsteht. Es tut sich ein Spannungsfeld auf, das bewusst macht, wie viel und wie wenig zugleich sich bewegt hat.
Wird Johanna Dohnal als Politikerin im Fokus sein oder geht es auch um sie als vielschichtige Persönlichkeit in unterschiedlichen
Kontexten?
CLAUDIA WOHLGENANNT: Auf jeden Fall wollen wir sie in ihren vielen Facetten zeigen. Wir haben auch mit ihrer Lebensgefährtin Annemarie Aufreiter,
mit ihrer Tochter, mit ihrer Enkelin, zu der sie ein besonders nahes Verhältnis gehabt hat, gedreht. Ihre Lebensgefährtin
erzählt z.B. auch davon, wie erschöpft und müde sie oft war. Das hat mich frappiert. Ich war noch sehr jung, als Johanna Dohnal
in der Regierung war, aber ich erinnere mich an eine extrem starke, unerschütterliche und eloquente Person. Es ist interessant
und berührend zu sehen, dass sie auch ihre Momente hatte, wo ihr Amt und Verantwortung auch Anstrengung und Belastung waren.
Das macht sie so realistisch und greifbar und menschlich. Ein Aspekt, der uns sehr wichtig ist.
Sie hat einen beeindruckenden politischen Aufstieg erlebt, aber auch ein sehr abruptes Ende ihrer Karriere. Wird das ein Thema
sein?
CLAUDIA WOHLGENANNT: Es gibt ein längeres Interview mit ihr, wo sie erzählt, wie sie aus ihrer Sicht von der politischen Szene abserviert worden
ist. Wir haben auch mit dem damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky gedreht, der diese Entscheidung in andere Dimensionen
einordnet und dafür seine Gründe anführt. Das war eine zwiespältige Sache, die gewiss auch Thema im Film sein wird, wie prominent,
das wage ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu sagen.
Wer zählt auf politischer Ebene zu den weiteren GesprächspartnerInnen?
CLAUDIA WOHLGENANNT: Es gab Gespräche mit Ferdinand Lacina, ihrem ehemaligen SPÖ-Ministerkollegen, mit Christian Kern, als er noch im Amt war.
Wir haben auch sehr unterschiedliche Frauenposition in einer Bandbreite von der jetzigen Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß
bis zu den charismatischen Betreiberinnen des Frauen-Volksbegehrens. Weder damals noch heute hatten die Frauen einheitliche
Positionen. ÖVP-Politikerinnen hatten in manchen Punkten ganz andere Standpunkte als Politikerinnen in der SPÖ, dennoch hat
Johanna Dohnal einen Dialog hergestellt. Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt in der aktuellen Feminismus-Debatte,
dass wir gerade lernen, dass es nicht nur den einen Feminismus gibt, sondern dass es darum geht, Allianzen zu schmieden und Gemeinsamkeiten zu finden, Themen zu erkennen, für
die man gemeinsam kämpfen kann und andere, wo es Abgrenzungen gibt. Gerade Johanna Dohnal war jemand, die es verstanden hat,
Brücken zu bauen. Sie ist mit den Fabrikarbeiterinnen ebenso wie mit den katholischen Frauenverbänden in Kontakt gestanden
und hat innerhalb der unterschiedlichen Positionen Wege gefunden, gemeinsam für etwas einzustehen. Sie hat sehr stark über
Parteigrenzen hinweg gearbeitet. Das wäre auch heute sehr wichtig. Ich halte es für essentiell, dass man sich nicht auf eine
feministische Position festnageln lässt. Die gibt es nicht.
Werden im Zuge der Dreharbeiten in erster Linie Interviews geführt?
CLAUDIA WOHLGENANNT: Sabine Derflinger vertritt mit diesem Projekt punkto Interviews ein radikales Konzept. Sie lehnt es ab, bei einem Dokumentarfilm
so zu tun, als gäbe es keine Interviews. Talking Heads gelten im Kinodokumentarfilm ja gerade als verpönt und das Genre geht
formal heutzutage in unendliche Weiten. Ich denke an Reenactment oder Menschen erzählen, während sie kochen oder bügeln und
so tun, als würde kein Interview mit ihnen geführt. Sabine vertritt da den klaren Ansatz, dass sie ohne Trickserei ein Interview
führen möchte und hat das durchgezogen. Das Spannungsfeld wird erst in der Konfrontation der Gespräche mit dem Archivmaterial
entstehen.
Sie erwähnten zuvor die Journalistenfragen, die definitiv einen positiven Wandel in der Sensibilität gegenüber Fragen der
Geschlechterdebatte signalisieren. Dennoch muss man sagen, dass der Kampfgeist einer Ära Dohnal in der heutigen Frauenpolitik
nicht mehr wahrnehmbar ist, bedenkt man, dass das Frauenvolksbegehren von der aktuellen Frauenministerin nicht unterstützt
wird. Schwingt hier das Pendel gerade zurück?
CLAUDIA WOHLGENANNT: Ich möchte hier nicht von einem Rückschritt oder einem geschwundenen Bewusstsein sprechen. Da bleibe ich lieber optimistisch.
Die Dinge sind komplexer geworden und man muss einen weltweiten Backlash feststellen, wenn man sich die Frauenbilder anschaut,
die von aktuellen Regierungen kolportiert werden. Da sind wir gerade in einem Wellental. Andererseits haben wir durch die
Dreharbeiten rund um das Frauenvolksbegehren aus nächster Nähe miterlebt, welche Vielzahl an so grundlegend unterschiedlichen,
engagierten und gescheiten Frauen da zusammenarbeitet und sich nicht unterkriegen lässt. Da formiert sich gerade die nächste
Welle. Dafür müssen wir aber etwas tun. Von selber passiert es nicht. Das wird mir auch in meiner persönlichen Wahrnehmung
des Themas bewusst. Ich erinnere mich gut, dass ich in der Oberstufe des Gymnasiums in einem Schulaufsatz gegen den Kampf
der Geschlechter geschrieben habe, weil ich ihn für überflüssig hielt. Inzwischen hat mich die Filmbranche zur Feministin
gemacht (lacht). Man macht seine Erfahrungen und kommt erst Jahre später darauf, dass gewisse Dinge auf kein persönliches
Versagen, sondern auf strukturelle Gegebenheiten zurückgehen. Es war sehr ermutigend, beim Frauenvolksbegehren zu sehen, wie
viele junge Menschen sich engagieren, die sich vieles nicht mehr gefallen lassen und viel wachsamer und misstrauischer sind.
Ich glaube, dass ein Problem des Feminismus darin liegt, dass zwischen den Generationen immer eine Trennlinie verlaufen und
keine nahtlose Weitergabe erfolgt ist. Das gilt es endlich zu ändern. Und dafür ist gerade auch das Erzählen von Geschichten
von starken Frauen für die Schaffung von gemeinsamen Identifikationsfiguren sehr wichtig.
Wann haben die Dreharbeiten für Wir wollen die Hälfte vom Kuchen begonnen? Wie geht Sabine Derflinger als Regisseurin an diesen Film heran?
CLAUDIA WOHLGENANNT: Die Projektentwicklung ist sehr fließend in die ersten Dreharbeiten übergegangen, die so richtig im April 2018 losgegangen
sind. Es ist faszinierend, mit Sabine zu arbeiten, weil sie so unglaublich viel Erfahrung hat. Sie ist sehr strukturiert in
ihrem Arbeiten, denkt etwas gründlich durch und geht dann entsprechend zielstrebig vor. Ihr Zugang ist sehr klar, was für
mich als Produzentin eine große Qualität in der Zusammenarbeit schafft. Diese Routine, das sagt sie auch selbst, hat sie sich
auch durch ihre Arbeit fürs Fernsehen angeeignet. Ich fände es so wichtig, dass Frauen bei TV-Produktionen viel stärker zum
Zug kommen, weil man so viel wichtige Erfahrung sammeln kann. Wenn man nur alle fünf Jahre einen Kinofilm drehen kann, dann
steht im Moment des Drehens so viel auf dem Spiel, dass man über das Inhaltliche hinaus, sehr stark gegen die Angst zu versagen
ankämpfen muss.
Ein Gros der Archivrecherche hat Ulrike Bruckner gemacht, die eine Kernfigur in diesem Projekt ist, über Regieassistenz hinaus
auch als Produktionsassistenz zum Einsatz kommt. Sie hat gemeinsam mit Sabine die Archivrecherche immer vorangetrieben und
es haben sich dann immer schrittweise Archivrecherchen und Drehblöcke abgewechselt. Ab Mitte Oktober geht es in den Schneideraum.
Niki Mossböck, die die Montage des Films machen wird, beginnt mit ihrer Arbeit und ich habe das Gefühl, dass es jetzt so richtig
losgeht. Im Schneideraum wird sich sehr viel zeigen und herauskristallisieren.
Ist bereits absehbar, wann der Film fertiggestellt sein kann?
CLAUDIA WOHLGENANNT: Die Fertigstellung wird auch davon abhängen, wie sehr Niki Mossböck ihre Arbeit für Wir wollen die Hälfte vom Kuchen auch mit anderen Projekten koordinieren muss. Bis jetzt geht das Projekt sehr zügig voran, was ich als sehr befreiend erlebe.
Es ist für mich eine besondere Erfahrung, mit einem Team zu arbeiten, das so effizient an das Projekt herangeht.
Interview: Karin Schiefer
September 2018