Im Mittelpunkt von Jessica Hausners Little Joe stehen die ambitionierte Pflanzenforscherin Alice und eine einzigartige, von ihr kreierte Pflanze, die ihr den wissenschaftlichen
Durchbruch, oder aber auch fatale Effekte für die Umwelt bringen könnte. Bruno Wagner über die Dreharbeiten von Jessica Hausner
erstem Film in englischer Sprache.
Hinter Little Joe, dem Titel von Jessica Hausners fünftem Spielfilm, lässt sich ein Kind vermuten. Das stimmt zum Teil, aber nicht nur. Was
verbirgt sich noch hinter dem Titel?
BRUNO WAGNER: Der titelgebende Name Little Joe ist von zwei Seiten zu betrachten. Einerseits geht es um Joe, den 13-jährigen Sohn der Hauptdarstellerin
Alice, die darüber hinaus eine erfolgreiche Forscherin ist, in einer Pflanzenzuchtanstalt arbeitet und dort eine außergewöhnliche
und sehr schöne Pflanze kreiert hat, die sie Little Joe benennt.
Was hat es mit dieser Pflanze Besonderes auf sich?
BRUNO WAGNER: Möglicherweise bewirkt der Pollen der Pflanze Veränderungen bei Menschen und Tieren, denn aus der Wahrnehmung von Alice passieren
Veränderungen in ihrer Umgebung.
Oder bildet sie sich das alles nur ein?
In Jessica Hausners Filmen steht immer wieder eine zentrale Frauenfigur im Mittelpunkt. Wie kann man Alice kurz charakterisieren?
BRUNO WAGNER: Alice ist eine erfolgreiche und ambitionierte Forscherin, die vom Vater ihres Sohnes getrennt lebt. Der Sohn, der bei der
Mutter lebt, zeigt nach und nach Tendenzen, sich eher zum Vater hin zu wenden. Es entsteht zum einen ein Konflikt zwischen
Mutter und Sohn, zum anderen besteht immer schon ein Konflikt zwischen Alices Muttersein und ihrer Karriere. Sie arbeitet
unheimlich viel und gern, kocht nicht selbst, holt gerade mal ihren Sohn von der Schule ab und verbringt die Abende mit ihm.
Sie kann anfänglich gar nicht verstehen, warum der Sohn sich anders entwickelt, als sie es erwartet hätte. Möglicherweise
hat diese Entfremdung zwischen Mutter und Sohn aber auch mit Effekten zu tun, die von der neu kreierten Pflanze ausgehen,
die möglicherweise Dinge bewirkt, die man nicht vorhersehen kann. Der Film beruht auf dieser mit psychologischen und thrillerartigen
Momenten versehenen Suche von Alice, woran die subtilen Veränderungen in ihrem Umfeld liegen könnten. Denn auch an ihrem Arbeitsplatz
gibt es Menschen, die ihr zu verstehen geben, dass sie Dinge anders wahrnehmen und spüren als sie selbst und die ihr Hinweise
dafür liefern, dass an der Pflanze mehr dran sein könnte, als man es grundsätzlich erwarten würde.
Neu an Little Joe ist, dass Jessica erstmals ein Drehbuch in englischer Sprache verfasst hat und auch mit englischsprachigen DarstellerInnen
dreht. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
BRUNO WAGNER: Ich sehe das als eine natürliche Weiterentwicklung. Jessica hat Filme auf Deutsch gedreht; Lourdes, ihren dritten Spielfilm, hat sie in erster Linie auf Französisch gedreht und diesen nun auf Englisch. Die Erklärung liegt
sehr nahe: Jessica möchte gerne Filme für die Welt, d.h. ein globaleres Publikum erzählen. Irgendwann haben wir gemeinsam
festgelegt, dass Englisch die Sprache dieses Films ist und daher auch mit englischsprachigen Schauspielern besetzt wird. Dann
erst machten wir uns auf die Suche nach einem englischen Koproduzenten, immer mit dem Grundgedanken, dass dieser Film eine
breitere internationale Wahrnehmung erlangen soll.
Was hat dies fürs Casting bedeutet? Wer spielt die weibliche Hauptrolle?
BRUNO WAGNER: Es war sehr früh klar, dass wir im englischen Sprachraum casten mussten und haben dafür mit einer bekannten und sehr erfahrenen
Londoner Casterin Jina Jay zusammengearbeitet. Mit ihr haben wir viel telefoniert und erste Verträge gemacht,
denn ohne Agreements und Deal-Memos das haben wir schnell gelernt geht in England gar nichts.
Wir hatten lange eine Kandidatin, mit der auch Jessica schon Gespräche geführt hatte. Trotz aller positiven Vorgespräche spürten
wir ein Zögern und letztlich stellte sich heraus, dass diese Schauspielerin einen exklusiven Vertrag für eine amerikanische
Serie hatte und es unmöglich war, für unsere Drehzeiten eine Priorität zu bekommen. So mussten wir uns nach einer neuen Kandidatin
umschauen. Es wurde Emily Beecham, die wunderbar passt. Ben Wishaw und Kerry Fox haben für die weiteren Hauptrollen sehr früh
zugesagt. Das Gros des Casts ist mit englischen SchauspielerInnen besetzt, in weiteren Rollen sind einige französische und
ein deutscher Schauspieler Sebastian Hülk als Vater des Sohnes Joe, der einen Deutschen spielt, der seit Jahrzehnten
in England lebt.
Wie teilen sich die Dreharbeiten zwischen Österreich und England auf?
BRUNO WAGNER: In England wird im Großraum Liverpool gedreht. Ursprünglich war etwas mehr Drehzeit in England vorgesehen, das hat sich durch
den Ausfall eines wichtigen Außenmotivs in letzter Minute zugunsten Österreichs verlegt. Wir hatten für das Motiv des Forschungsinstituts
von außen schon sehr viel an Vorbereitung in England geleistet, als dann in der ersten Drehwoche plötzlich das definitive
Nein über uns hereinbrach, und wir wirklich vor einem immensen Problem standen, das es schnell zu lösen galt.
Wir haben einen tollen Ersatz in dem Gebäude in Krems gefunden, wo wir die Innenaufnahmen des Labors gedreht haben. Ein Vorteil
ist der, dass Außen und Innen nun perfekt zusammenpassen. Wenn die Schauspieler nun durch den Haupteingang gehen, bleiben
sie authentisch im selben Gebäude, wenn sie in der Folge die Labors betreten. Es war sehr hart für uns, weil schon sehr viel
an Vor- und Denkarbeit ins erste Motiv hineingesteckt worden war und plötzlich mussten wir während der Dreharbeiten nochmals
neu beginnen. Das gelang dank zusätzlicher kreativer Kräfte, Jessica Hausner und Kameramann Martin Gschlacht konnten während
der Dreharbeiten nicht selbst jede einzelne Einstellung abprüfen. Somit sind nun zwei Motive und drei Drehtage wieder nach
Österreich gewandert, was mich grundsätzlich freut, weil mehr Geld hier ausgegeben wird. Das ist ganz im Sinne meiner Produktionsphilosophie.
Ist das Labor der zentrale Drehort des Films?
BRUNO WAGNER: Genau genommen ist es das Glashaus. Es gibt in dem großen Gebäude einerseits den Bürokomplex mit den Labors, den Sozialräumen
etc. und dann noch den Bereich des Glashauses, wo die Erkenntnisse des Forschungslabors direkt in die Praxis, in die Erde,
in die Nährboden verpflanzt werden. Die Resultate dieser Pflanzenzucht gehen in den weltweiten Verkauf. Daher vermag sich
die Pflanze Little Joe auch über die ganze Welt zu verbreiten. Die meisten Drehtage haben wir in einem großen
Glashauskomplex in Wien absolviert, wo wie immer bei Filmen von Jessica Hausner Katharina Wöppermann das
Production Design gestaltet hat. Wenn man eine Aufteilung zwischen England und Österreich erstellen will, dann so: alles,
was Alices privaten Bereich betrifft, ist in England entstanden, alles, was ihr Arbeitsumfeld betrifft, haben wir in Österreich
gedreht. Anders als bei Amour Fou, wo man in einer leeren Halle alles den Plänen gemäß von Null auf aufgebaut hat, drehen wir hier in einem echten Glashaus,
wenn auch unter quasi Studiobedingungen, wo wir unser gesamtes Equipment stehen lassen und nach Drehschluss einfach absperren
konnten. Der Unterschied zu einem Studio war aber, dass wir Licht- und Wetterwechsel voll mitbekommen haben.
Der Pflanze namens Little Joe,kommt eine Art weiterer Hauptrolle zu. Wie hat sie zu ihrer endgültigen Form gefunden?
BRUNO WAGNER: Die Pflanze ist in England entstanden, wo es so genannte Prop-Maker gibt, die auf die Herstellung von Requisiten spezialisiert
sind. Es gab unzählige Zeichnungen, Telefonate, Treffen ... und am Ende wurden 6 000 künstliche Pflanzen aus verschiedenen
Elementen zusammengebaut. Die Pflanze kommt ja im Film nicht nur in einem, sondern in verschiedenen Wachstumsstadien vor.
Die künstlichen Pflanzen wurden per LKW angeliefert, zusammengebaut und dann in vier verschiedenen Wachstumsstadien in unser
Glashaus-Studio eingebaut. Dazu muss man bedenken, dass der Drehplan nicht unbedingt chronologisch verläuft, sondern zeitlich
springt und man an einem Drehtag zunächst Stadium 3 und zwei Stunden später vielleicht Stadium 1 benötigt. Dafür hatten wir
viele helfende Hände, die das riesige Glashaus auf das gerade gefragte Pflanzenstadium umgebaut haben.
Little Joe ist Jessica Hausners fünfter Spielfilm, den Sie gemeinsam produzieren. Was bedeutet es für den Produktionsprozess, wenn man
einander schon so lange kennt? Inwiefern wird manches einfacher und routinierter? Inwiefern bleibt jeder Film eine Überraschung?
BRUNO WAGNER: Jeder Film ist neu. Jeder Film ist anders und stellt andere Herausforderungen. Dadurch dass wir schon einige Filme gemeinsam
gemacht haben, kennt man einander besser und kann dadurch besser auf den anderen Rücksicht nehmen. Man weiß, was man in welcher
Phase besprechen kann. Jessica setzt als akribische Arbeiterin und Vorbereiterin von Beginn an sehr hohe Maßstäbe an, die
man kennen muss. Sie erstellt für sich eine weit vorausschauende Planung, damit wesentliche Bereiche abgeschlossenen sind,
wenn es in die Endphase der Drehvorbereitung geht und ohnehin Unmengen an Unvorhersehbarem über einen hereinbrechen. Das ist
manchmal etwas teurer, man muss es aber auch respektieren.
Die coop99 hat eine lange Erfahrung mit Koproduktionen, mit England ist es die erste gewesen. Bedeutete es produktionstechnisch
Neuland zu betreten?
BRUNO WAGNER: Es ist eine der wenigen britisch-österreichische Koproduktionen, an der sowohl das BFI als auch die BBC beteiligt sind. Wir
haben die Erfahrung gemacht, dass dort ein komplett anderer Zugang zu einem Film herrscht. Die Institutionen sehen sich nicht
als Filmförderung, sondern als Filmfinancier und haben daher ganz andere Ansprüche im Controlling und in der Sicherstellung
der Mittel. Das ist ihnen das Allerwichtigste, gewiss bedingt durch schlechte Erfahrungen. Es war eine unheimliche Anstrengung,
ihnen zu versichern, dass wir die gesamte Finanzierung haben und Förderer bei uns termingerecht die Verträge einhalten. Am
liebsten wäre ihnen gewesen, dass vor Vertragsabschluss das gesamte Geld am Konto liegt. Es hat einiges an Aufwand bedeutet,
zu klären, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit ist und in Österreich keine Bank die Vorfinanzierung übernehmen würde. Die
Krönung ist nun das Interparty-Agreement, wo alle englischen Geldgeber, die Koproduktionspartner und der Weltvertrieb einen
Vertrag machen, der rund vierzig Seiten umfasst und auch all das beinhaltet, was zwischen einzelnen Partnern festgehalten
wurde. Da feilen wir seit einer Woche an der Feinabstimmung, damit wir möglicherweise nun gegen Ende September unterschreiben
können. Auch die rechtliche Komponente hat im angelsächsischen Raum ein viel stärkeres Gewicht. Trotz eines bestehenden
Drehbuchvertrags mussten wir erneut eine Erklärung abgeben, dass wir wirklich die Rechte am Drehbuch haben und die Regisseurin auch wirklich den Film fertig stellen wird. Es wird auf Dinge wertgelegt, über die bei uns nicht einmal nachgedacht wird. Wir sind viel
stärker auf den Inhalt und den kreativen Aspekt orientiert. Auf deren Seite besteht viel weniger Vertrauen in die Produktionsfirmen
und wir mussten immer wieder darauf pochen, dass wir diejenigen sind, die die Sicherstellung leisten, dass der Film fertig
wird und auch das Recht haben, Entscheidungen zu treffen. Es war sehr kompliziert und zeitraubend. Im Großen und Ganzen ist
es gelungen.
Interview: Karin Schiefer
September 2018