INTERVIEW

«Die Tiere sind einfach nur»

Wenn niemand mehr die Freiheit hat, um die Tiere im Zoo in ihrer zur Schau gestellten Unfreiheit zu betrachten, kommt dem Zoo etwas von seinem Wesen abhanden. Covid und die Maßnahmen haben Andreas Horvath veranlasst, einen Tiergarten im Ausnahmezustand zu betrachten. Als alleiniger Besucher bewegt sich der Filmemacher in ZOO LOCK DOWN vor und hinter den Kulissen der Tiergehege wie durch ein Niemandsland und schärft den Blick auf ein Dasein im beschränkten Raum.
 
 
Sie haben ZOO LOCK DOWN im Frühling 2020 zu Beginn der Pandemie gedreht, als die Menschen erstmals mit einer Situation konfrontiert waren, die für die Tiere im Zoo ein Lebensschicksal ist, nämlich in der individuellen Bewegungsfreiheit, von außen bestimmt, massiv eingeschränkt zu sein. Hat Sie der covid-bedingte Lockdown dazu inspiriert, einer Spezies und einer Institution zu begegnen, für die der ein Leben im Lockdown ein Dauerzustand ist?
 
ANDREAS HORVATH:
Nein, dieser Bezug ist mir tatsächlich erst später bewusst geworden. Ausgangspunkt war ein ganz anderer: 2016 wurde der Zoo in Buenos Aires nach 140 Jahren geschlossen. Es war geplant, einen Eco-Park zu errichten, aber das dauerte und viele Tiere vegetierten einfach vor sich hin. Ich sah Fotos von Elefanten und Nashörnern vor grandioser Kulisse, aber niemand kam, um sie zu sehen. Sie wurden zwar (mehr schlecht als recht) versorgt, aber ohne Besucher entstand die eigenartige Situation, dass man sich fragte, warum die Tiere eingesperrt sind. Ich hätte mir gut einen Film vorstellen können, war aber zu der Zeit mit meinem Projekt Lillian beschäftigt. Als dann 2020 der Lockdown kam, habe ich mich an dieses Projekt erinnert. Ich habe in Wien und Salzburg angefragt. In Salzburg war man sofort bereit, mir zu helfen.
 
 
Wie spontan sind Sie in dieser frühen Covid-Phase an die Dreharbeiten herangegangen?
 
ANDREAS HORVATH:
Wie immer, sehr spontan. Ich habe einfach beobachtet und zu drehen begonnen — wollte anfangs gar nicht zu viel Informationen bekommen. Der Film sollte aus der Beobachtung heraus entstehen. Ich konnte mich aber nicht gänzlich frei bewegen. Ich wurde in der Früh zu einem gewissen Punkt gebracht und meist nach ein paar Stunden wieder abgeholt.
 
 
Haben Sie sich am Beginn des Projekts grundsätzlich für die Institution des Zoos und seine Funktionsweise interessiert oder vielmehr für die Tiere als Wesen und Protagonisten?
 
ANDREAS HORVATH:
Wie gesagt, am Anfang standen für mich die Tiere in der eigenartigen Situation, eingesperrt zu sein, ohne zahlende Besucher. Erst im Lauf der Zeit und durch die Beobachtung sind Fragen entstanden: wie wird der Kaiman gefüttert, wann wird das Piranha-Becken gereinigt, etc. So wurde dann auch der Zoo als Institution ein wichtiger Bestandteil des Films.
 
 
Wie haben Sie sich den Tieren genähert? Mit welchen haben Sie zu drehen begonnen? Welche haben Sie am meisten fasziniert?
 
ANDREAS HORVATH:
Zuerst beginnt man wohl immer mit den Primaten. Das ist am ergiebigsten. Sie scheinen uns so ähnlich, es entstehen schnell Geschichten. Mit der Zeit stellte ich aber fest, dass sich überall Geschichten abspielen, kleine Dramen entwickeln, sogar bei den Heuschrecken. Ich kann also gar nicht sagen, welche Tiere mich am meisten faszinieren.
 
 
 
Der zweite wesentliche Punkt, den ZOO LOCK DOWN stark herausarbeitet, ist die Illusion von Natur und authentischen Lebensbedingungen, die im Zoo sowohl für die Tiere als auch für die Zoo-Besucher:innen erzeugt wird. Sie zeigen immer wieder Schnittstellen oder Bruchstellen zwischen dem materiellen Gehege und den aus Fototapeten, Reliefen oder Wandmalereien gestalteten Hintergründen. Hat sich der Zoo aus einem cinematografischen Blickwinkel überraschend als ein Ort entpuppt, wo Natur und Künstlichkeit ineinander verschmelzen?
 
ANDREAS HORVATH:
Stanley Kubrick hat in einem Telefoninterview einmal über das Ende seines Films 2001: Odyssee im Weltraum gesprochen und sich über den eigentümlichen Raum geäußert, den der Hauptdarsteller gegen Ende des Films betritt: demnach wurde der Raum von höheren Wesen eingerichtet, um den Menschen in einer Art “menschlichem Zoo” zu studieren. Beim gut gemeinten Versuch, das Zimmer für den Menschen so einzurichten, dass er sich dort zuhause fühlt, kam dieses neoklassizistische Schlafzimmer mit dem leuchtenden Boden und den französischen Landschaftsgemälden heraus.
Die Fototapeten, Reliefs und Wandmalereien im Zoo, von denen man nicht recht weiß, an wen sie sich richten – —an uns oder an die Tiere – erinnern mich teilweise daran. Sie vermitteln einen Eindruck von Exotik für uns Menschen, aber die Tiere leben ja in diesen Kulissen.
 
 
Der längere Beobachtungszeitraum hat Sie auch mit der Logistik und dem Team, das hinter einem funktionierenden Zoo steht, konfrontiert. Was hat Sie daran besonders fasziniert?
 
ANDREAS HORVATH:
Was für ein logistischer Aufwand dahintersteckt. Die Tiere sind einfach nur, aber wieviele Menschen im Hintergrund dazu nötig sind, ist beachtlich. Das wird auch bei der Nashorn-Besamung deutlich. Ohne, dass die Tiere etwas mitbekommen, wird eine künstliche Befruchtung versucht. Der Zoo ist eben auch ein sicherer Hafen für viele Tierarten, die sonst vom Aussterben bedroht sind. In freier Wildbahn werden die Nashörner gejagt. Im Zoo erreichen sie teilweise ein beachtliches Alter.
 
 
Sie zeigen auch eine Einrichtung, für deren Funktionsweise eines der wesentlichen Elemente, nämlich die Besucher:innen, fehlen. Haben Sie auch Rückmeldungen vom Team bekommen, wonach die Tiere durch diese Absenz auch ihr Verhalten geändert haben?
 
ANDREAS HORVATH:
Es ist sicher unterschiedlich, wie ein Affe oder eine Schildkröte auf die fehlenden Menschen reagieren. Die Löwen zum Beispiel haben sich sehr schnell an die neue Situation gewöhnt und waren extrem schüchtern und verängstigt, als ich mit meiner Kamera anrückte. Beim Kaiman hatte ich hingegen den Eindruck, dass er die Ruhe genießt. Dort drängen sich an gut besuchten Tagen Hunderte Menschen an die Glaswand heran und begaffen ihn aus nächster Nähe.
 
 
Ihre Bilder sind auch voller Ironie und Komik. Wie sehr war hier der Schnittprozess entscheidend, im Zuge dessen sehr viel herausgearbeitet werden konnte, vielleicht auch erst zu entdecken war?
 
ANDREAS HORVATH:
Die Komik entsteht eigentlich nur durch den Schnitt. Ansonsten ist es ja ein Film, der im Wesentlichen darüber erzählt, dass eben nichts passiert. Der Schnittprozess war ganz entscheidend. Er hat auch extrem lang gedauert —– fast zwei Jahre. Es hat ja auch mehrere Lockdowns gegeben, sodass ich einige Nachdrehs hatte.
 
 
Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet dazu auch die Musik, die einerseits oft den Witz einer Szene unterstreicht, die Sie auch verwenden, um Dramatik und Suspense zu erzeugen. Wie sehr haben Sie in diesen verschiedenen Universen den Stoff für filmisches Erzählen, für fiktionale Geschichten in den Köpfen des Publikums entdeckt?
 
ANDREAS HORVATH:
Musik kommt eigentlich spärlich vor. Es ist eher das Sounddesign, mit dem ich gewisse Emotionen erzeuge. Hier habe ich mich wohl auch an Science Fiction-Filmen orientiert. Das ist mir aufgefallen, als ich neulich wieder Demon Seed (Regie: Donald Cammell) gesehen habe. Die Suspense entsteht aus der Situation, dass sogenannte höhere Wesen bestimmen, wann das Licht ein- und ausgeschaltet, wann gegessen wird, etc.
Auch das Sounddesign war ein langwieriger Prozess. Ich musste mir erst Libraries zulegen. Am Anfang hat alles gleich geklungen, weil ich nur mit wenigen Effekten gearbeitet habe. Oft habe ich Libraries auch missbräuchlich verwendet: bei den Chören zum Beispiel bin ich irgendwann darauf gekommen, wenn man ganz weit unten eine Taste anschlägt, dass zunächst einmal gar nichts zu hören war, plötzlich aber ein undefinierbarer Ton entsteht, der sich erst langsam entwickelt und dann steigert. Mit einem Chor hat das wenig zu tun, aber ich konnte es gut verwenden für eine Maschine, die erst langsam in Gang kommt.


Welche Fragen im Bezug auf das Thema Freiheit hat die Konfrontation mit der Gefangenschaft der Tiere in Zusammenhang mit der damaligen Lebenssituation der Gesellschaft für Sie aufgeworfen?

ANDREAS HORVATH:  Eigentlich keine. Man kann das eine nicht mit dem anderen vergleichen. Natürlich mag es diesen Moment geben, wo man im Kino sitzt und plötzlich Analogien zieht, aber, wie man am Ende des Films sieht, hatte der Lockdown für uns Menschen ja ein Ende.
Mich interessiert eher dieses falsche Gefühl von Verbundenheit, das entsteht, wenn wir wilde Tiere halten. Wir richten die Gehege so ein, dass sich die Tiere möglichst wohl fühlen, wobei wir realistische Fototapeten oder Wandmalereien verwenden —– als augenzwinkernder Witz für uns Menschen. So entsteht der Eindruck von Komplizenschaft mit den Tieren: Sie werden gefüttert und versorgt, dafür müssen sie sich beobachten lassen. Aber das ist eine anthropozentrische Sicht. Für die Tiere besteht so ein Pakt nicht. Sie wissen nicht einmal, warum die Menschen plötzlich nicht mehr kommen.


Interview: Karin Schiefer
September 2022
 


Mich interessiert dieses falsche Gefühl von Verbundenheit, das entsteht, wenn wir wilde Tiere halten. Wir richten die Gehege so ein, dass sich die Tiere möglichst wohl fühlen, wobei wir realistische Fototapeten oder Wandmalereien verwenden — als augenzwinkernder Witz für uns Menschen.