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Publikation: Ein deutsches Leben

Mit 103 Jahren war Brunhilde Pomsel wohl als eine der letzten Zeuginnen des Nazi-Machtzirkels bereit, vor der Kamera ihr Lebensresümee zu ziehen und ihr Verhalten als junge Frau (Jahrgang 1911) zu reflektieren. In dem vom Politikwissenschaftler Thore D. Hansen  kommentierten Buch Ein deutsches Leben sind nicht nur die im gleichnamigen Film von Christian Krönes, Florian Weigensamer, Roland Schrotthofer und Olaf S. Müller aufgezeichneten Erinnerungen Brunhilde Pomsels nachzulesen...

Brunhilde Pomsel, Thore D. Hansen: Ein deutsches Leben
Europa Verlag, Berlin München Zürich Wien, 2017, 205 Seiten, € 19,50
 
 
Brunhilde Pomsel konnte ausgezeichnet stenographieren. Ein Ruf, der ihr so weit vorauseilte, dass sie 1942 ohne Verzug und Widerrede von ihrem geliebten Job beim Reichsrundfunk ins Propagandaministerium dienstverpflichtet wurde. Von da an stand die tüchtige Schreibkraft im Dienste der von Heinrich Goebbels dirigierten Volksaufklärung und nationalsozialistischen Informationsarbeit. Ein steuerfreies Gehalt in schlechten Zeiten, ein erhebendes Gefühl, als kleines Teilchen im Räderwerk der Elite zu wirken und die Einsicht, dass Kritik oder Widerstand fatale Folgen haben würden, ließen sie bis zum letzten Kriegstag an ihrem persönlichen Alltag festhalten und die Augen vor den Inhalten auf ihrem Schreibtisch und dem Geschehen vor der eigenen Tür verschließen. Mit 103 Jahren war Brunhilde Pomsel wohl als eine der letzten Zeuginnen des Nazi-Machtzirkels bereit, vor der Kamera ihr Lebensresümee zu ziehen und ihr Verhalten als junge Frau (Jahrgang 1911) zu reflektieren. In dem vom Politikwissenschaftler Thore D. Hansen kommentierten Buch Ein deutsches Leben sind nicht nur die im gleichnamigen Film von Christian Krönes, Florian Weigensamer, Roland Schrotthofer und Olaf S. Müller aufgezeichneten Erinnerungen Brunhilde Pomsels nachzulesen. In seiner anschließenden Analyse geht Hansen auf Pomsels Balancieren zwischen Selbstvorwürfen und Selbstschutz ein, mit denen sie mit sich selbst ins Gericht geht, aber auch ihre Verteidigung übernimmt. „Es geschah einfach mit uns“ ist einer der Schlüsselsätze, die den Autor veranlassten, das aktuelle (welt-)politische Gefüge und gesellschaftliche Tendenzen, die vom Streben um den Erhalt individueller Komfortzonen bestimmt sind, mit dem Deutschland der dreißiger Jahre in Bezug zu setzen und ein Plädoyer gegen eine beunruhigende politische Apathie im Hier und Jetzt des 21. Jhs. zu formulieren.
Karin Schiefer
März 2017