Es war nur ein minimal verändertes Original-Cockpit, in das Patrick Vollrath sein Spielfilmdebüt 7500 gepackt hat. Ein- und Rückblicke von Kameramann Sebastian Thaler, wie sich ein 92-minütiger Horrortrip von Berlin nach Hannover
auf nur wenigen Quadratmetern in spannungsgeladene Bilder fangen ließ.
Ihre Zusammenarbeit mit Patrick Vollrath besteht schon seit der Studienzeit an der Wiener Filmakademie. Ein erster großer
Erfolg war Alles wird gut, das in der Reihe seiner Auszeichnungen auch eine Oscar-Nominierung mitführt. Wie kam es zu dieser künstlerischen Partnerschaft?
SEBASTIAN THALER: Patrick Vollrath und ich studierten an der Filmakademie in einem gemeinsamen Jahrgang. Zunächst hat sich die Zusammenarbeit
zufällig ergeben, doch bald merkten wir, dass wir uns künstlerisch und privat gut verstehen. Schon bei unserem Abschlussfilm
Alles wird gut, haben wir lange Sequenzen gedreht um authentische emotionale Momente zwischen Vater und Tochter einzufangen. Wir waren uns
jedoch einig, dass der Film auf keinen Fall dokumentarisch wirken darf. Was ich an unserer Zusammenarbeit besonders schätze,
ist das Vertrauen Patricks in meine Kameraarbeit und die gegenseitige künstlerische Ergänzung. Ein Blick genügt und beide
wissen wir, ob es in die eine oder die andere Richtung gehen wird.
Wie haben Patrick Vollraths Vorstellungen für sein Vorhaben, einen Genre-Film zu drehen, ausgesehen? Wie Ihre eigenen Ansprüche,
als DoP einen Thriller zu gestalten?
SEBASTIAN THALER: Alles wird gut war von der Machart eine Art Vorbereitung und Testlauf, ohne dass es mir bei den Dreharbeiten schon bewusst war. Die Erfahrungen
aus diesem Film hat Patrick ins Drehbuchschreiben von 7500 mitgenommen, lange Takes, freies Schauspiel und eine freie Kamera mit der Einschränkung, dass der Film in einem Raum spielen
sollte. Es ist schon schwer genug in einem Raum mit verschieden Charakteren und einem Filmteam zu drehen. Aber ein enges Flugzeug
Cockpit stellt eine zusätzliche Herausforderung dar. Die Piloten sitzen die meiste Zeit und haben eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten.
Also muss sich die Kamera bewegen, ständig neue Perspektiven und Bilder finden, die Enge des Cockpits darstellen und um einem
Thriller gerecht zu werden, visuelle Spannung aufbauen. Um eine authentische Stimmung des Nachtfluges herzustellen, war mir
die Beleuchtung des Cockpits und der Darsteller besonders wichtig. Auch hier war der beengte Raum eine besondere Herausforderung,
die wir aber mit meinem Oberbeleuchter Jakob Ballinger gut gelöst haben. Den Dreharbeiten ging eine sehr lange Recherche
voraus, wir besuchten einen Flugsimulator um die Bewegungen der Kamera zu testen und durften auch einmal in einem Cockpit
mitfliegen, wo wir uns die echten Arbeitsabläufe der Piloten und die Lichtsituation ganz genau beobachtet konnten. Unsere
Erkenntnisse haben wir dann versucht entsprechend im Film umzusetzen.
Wurde 7500 in einem gebauten Setting oder in einem echten Cockpit gedreht?
SEBASTIAN THALER: 7500 wurde in einem echten Cockpit gedreht, welches das Art Department von einem Schrottplatz für Flugzeuge organisiert hatte.
Minimale Veränderungen, wie das Anheben der Deckenschräge damit ich drinnen aufrecht stehen konnte und die Verlängerung der
Rückwand um 10 Zentimeter, damit wir zu fünft im Cockpit Platz fanden, wurden vorgenommen. Alles andere entspricht den Größen
eines originalen Cockpits.
Was hat diese Situation, wenn auch bei erträglicher Enge, dennoch für Sie als Kameramann bedeutet? Was war ungewohnt? Wo mussten
Lösungen gefunden werden? Wie geht es den Schauspielern mit dieser Situation?
SEBASTIAN THALER: Der enge Raum blieb die größte Herausforderung. Es war wichtig den Schauspielern das Vertrauen zu geben, dass sie sich im
Cockpit frei bewegen können ohne von der Kamera gestört zu werden. Gleichzeitig musste ich mich trotz der räumlichen Enge
mit der Kamera möglichst unsichtbar machen um den Schauspielern den Raum zur emotionalen Entfaltung zu ermöglichen.
Wie lange waren die Takes?
SEBASTIAN THALER: Soweit ich das jetzt noch exakt in Erinnerung habe, würde ich sagen zwischen 40 und 45 Minuten, wenn die schauspielerische
Situation es hergegeben hat auch manchmal länger, je nach Szene. Es wurden jeweils Abschnitte durchgespielt, die dramaturgisch
zusammenhängend waren: die erste Phase war am Boden, wo das Flugzeug am Flughafenterminal steht, die zweite war während des
Flugs, die dritte nach der Landung, für die wir nicht im Studio, sondern real draußen am Flugfeld gedreht haben. Pro Tag wurden
vier bis fünf Takes gedreht. Nach jedem Take haben wir das Material analysiert, Verbesserungen ausgearbeitet und sind dann
neu und frisch in die Szene reingegangen.
Wie anstrengend waren diese langen Takes für die Schauspieler?
SEBASTIAN THALER: Soweit ich das mitbekommen habe, war es für die Schauspieler sehr angenehm, länger in der Rolle zu bleiben und in einem Flow
durchspielen. Alle fünf Minuten durch einen Kamerawechsel unterbrochen zu werden und bei jedem kurzen Take die emotionale
Spannung wieder neu aufzubauen ist sicher nicht sehr angenehm.
Was bedeutet die räumliche Enge für die Figurenzeichnung insbesondere die des Co-Piloten Tobias, der im Zuge dieses Fluges
emotional alles nur erdenklich Schreckliche erleben muss? Haben Sie in den verschiedenen Takes einen unterschiedlichen Blick
auf die Schauspieler geworfen, um andere Perspektiven zu bekommen?
SEBASTIAN THALER: Ja. Durch gegenseitiges Bobachten haben wir uns sehr gut kennen gelernt. Mit Joseph Gordon Levitt stand ich in ständigem
Austausch über unsere Körpersprache. In erster Linie ging es, wie oben erwähnt darum, ihm nicht im Weg zu stehen und gleichzeitig
musste er meine Nähe zulassen. Nach kurzer Zeit waren wir sehr gut aufeinander eingespielt und so waren unser beider Bewegungen
im Cockpit oft wie ein Tanz auf engstem Raum. Bei Wiederholungen habe ich natürlich versucht die Perspektive und die Einstellungsgröße
zu verändern. Zunächst war die Körpersprache, also die äußere Emotion wichtig, später die Emotion im Gesichtsausdruck und
in den Augen. Auch während der Takes habe ich oft die Perspektive gewechselt, um durch anderes Framing die Emotion der Figur
zu unterstützen. Vieles war ein spontanes Reagieren auf das Spiel von Joseph. Es war ein spannendes, aber vor allem ein befreites
Arbeiten, ich ließ mich visuell von ihm und seinen Mitspielern leiten.
Auf welcher Höhe befand sich die Kamera?
SEBASTIAN THALER: Im Cockpit trug ich sie meistens auf Brust- oder Bauchhöhe, weil die Schauspieler meistens saßen und ich mit der Kamera Bewegungsfreiheit
brauchte. Meine Konzentration galt ausschließlich dem Bild, dem richtigen Framing und der richtigen Kameraposition. Mein Körper
hat die Geografie des Cockpits verinnerlicht, sodass ich mich ohne nachzudenken um die Pilotensitze herum bewegen konnte.
Ich hab mich nie umgeschaut, um mich zu vergewissern, wohin ich ausweichen und mich bewegen kann. Ich habe mich gewissermaßen
um die Gegenstände herumgeschmiegt.
Interview: Karin Schiefer
September 2019