Die Statistik erhebt in Afrika eine Million Menschen jährlich, die der Malaria zum Opfer fallen. Für die westliche Pharmaindustrie
gibt es da Einiges zu holen, vor allem solange es ihr gelingt, das dortige Heilwissen zu übertönen und zu diskreditieren.
Katharina Weingartner hat mit 150 MalariaforscherInnen weltweit gesprochen und in Das Fieber ihren Fokus auf Ostafrika gelenkt, wo sich Forscher und Heilerinnen auf die Heilkraft der Artemisia annua-Pflanze stützen
und sich einsetzen, sich aus dem Netz eines profitgesteuerten pharmazeutischen Diktats zu befreien.
Das Fieber ist Ihr vierter Dokumentarfilm nach too soon for sorry, Knock Off; Die Rache am Logo, Sneaker Stories und Der Gruen Effekt. Rund um die Jahrtausendwende, als die Effekte der Globalisierung noch nicht so evident wie heute waren, haben Sie bereits
begonnen Spannungen, Widersprüche und das doppelte Spiel des westlich dominierten, kapitalistischen Systems zu hinterfragen.
Welche Zusammenhänge und Erkenntnisse haben Sie diesmal mit dem Fieber angesteckt, sich dem Problem der Malaria in Afrika
auseinanderzusetzen?
KATHARINA WEINGARTNER: Konkreter Anlass waren Dreharbeiten zu Sneaker Stories, die in Ghana stattgefunden haben. Ich wollte für mein Team eine verträgliche Malaria-Prophylaxe haben und bin bei der Recherche
auf Artemisia annua, das pflanzliche Heilmittel gegen die Krankheit, um die es in Das Fieber geht, gestoßen. Ich habe es über eine TCM-Apotheke in Wien bestellt und wir haben es während der drei Wochen in einem Land,
wo Malaria sehr verbreitet ist, eingenommen und die Drehzeit gut überstanden. Einige Zeit später habe ich anlässlich einer
Vietnam-Reise in einem Reiseführer gelesen, dass Artemisia annua eine entscheidende Rolle im Vietnam-Krieg gespielt hat. Ich
habe meine Recherche 2012 begonnen, bin in Vietnam und China bald auf sehr interessante Zusammenhänge gestoßen. Meine ersten
Recherchen haben mich eher in Richtung Tropenmedizin, Militärmedizin und Kolonialismus geführt. Dass die Eroberung Afrikas
eigentlich nur mit einer guten Malaria-Medikation möglich gewesen war, war eine überraschende Erkenntnis für mich. Ich hatte
mich also eher auf einen Film über die historische Bedeutung von Malaria gefasst gemacht, unter dem Motto „Der Parasit als
Kämpfer gegen die Eindringlinge“. Wir haben viel in Archiven recherchiert und dabei die Rolle der britischen und amerikanischen
Militärmedizin durchleuchtet. Nach den ersten Recherche-Reisen mit Abdallah Salisu in Ostafrika und Weina Zhao in Asien kamen
wir zu dem Punkt, wo wir uns fragten: „Wir graben in der Geschichte, was in einem globalisierungskritischen Kontext interessante
Erkenntnisse für ein Arthouse Publikum liefert. Man kann aber nicht an der Frage vorbei: Was ist mit der beinahe einen Million
Toten, die die Malaria jedes Jahr fordert und die von unserem thematischen Fokus gar nicht erfasst werden? Sollte uns nicht
das viel mehr interessieren? 90% davon sind in Afrika, vor allem Kinder unter fünf. Die mediale Unsichtbarkeit dieses Faktums
hat uns dann dazu geführt, uns weg vom historischen Pharmathriller – der unseren deutschen Koproduzenten so interessiert hätte
– zu bewegen und die aktuelle Situation unter die Lupe zu nehmen.
Warum ist Afrika im Vergleich zu Asien so viel stärker betroffen?
KATHARINA WEINGARTNER: China hat mit großem medizinischem Wissen und einem sehr zielgerichteten und auch diktatorischen Programm die Malaria ausgerottet.
So ein entschlossenes Vorgehen gegen einen Parasiten ist nur in einer Militärdiktatur möglich. In Afrika hat das nie jemanden
interessiert und es war auch nicht durchführbar. In Thailand gibt es noch eine Form der Malaria, die aber nicht tödlich ist.
Da ein Großteil der britischen Malariaforschung in Thailand beheimatet ist, gingen bis vor kurzem fast 90% der Forschungsgelder
in dieses Forschungsgebiet. Am Desinteresse für Afrika hat sich erst durch die Bill-Gates-Stiftung etwas geändert, die nun
auch einen Fokus auf die Malaria in Subsahara Afrika legt.
Der Malaria-Parasit ist unser ältester Parasit, der in der Geschichte der Menschheit im Vergleich zu allen Krankheiten, Kriegen
und Katastrophen die meisten Todesopfer gefordert hat. Die historische These geht darauf zurück, dass der Parasit im Victoriasee-Becken
vom Gorilla auf den Menschen übertragen wurde. Gorillas haben im Laufe der Evolution eine Abwehr gegen den Parasiten entwickelt,
der Mensch ist dafür noch zu jung. Es scheint so, dass Menschen, die in afrikanischen Malariagebieten leben, sich traditionell
sehr gut über Ernährung und immunstärkende Kräutermedizin mit dem Parasiten arrangiert haben, sie haben eine Semi-Immunität.
Ich habe bei den Recherchen immer ältere Menschen befragt: alle haben erzählt, dass sie als Kinder während der Regenzeit bitteren
Tee trinken mussten und zwar jede Woche. Das scheint ein durchgängiges Programm gewesen zu sein.
Ihr Einstieg in den Film erfolgt vor Ort, mit einem Einzelschicksal: eine Mutter, die ihr Baby verloren hat, erzählt dies
im Rahmen einer lokalen Initiative zur Gesundheitsvorsorge. Hatten Sie, ausgehend von einem Einzelfall, erwartet, dass diese
Recherche so weite Kreise ziehen würde?
KATHARINA WEINGARTNER: Die Anregung, an einem Einzelfall anzusetzen, kam von Noviolet Bulawayo, einer jungen ostafrikanischen Autorin, die mich
über eine lange Zeit auch dramaturgisch unterstützt hat. Ich wollte unbedingt weg von einem Nord-Süd-Blick. Sie hat meinen
Blick sehr geschärft und sensibilisiert. Sie fand, dass dieses Einzelschicksal an den Anfang muss. Das besonders Bewegende
an dieser Erzählung ist, dass das Erlebte achtzehn Jahre zurückliegt und sie sich an jede Minute dieser drei Tage erinnert,
an denen ihr Kind vergeblich gegen die Malaria gekämpft hat. Dieser kleinste Nenner ist zugleich auch der größte Faktor, der
in der internationalen Geber- und Hilfspolitik völlig ignoriert wird. Es spricht hier eine kluge Frau und sie sitzt in der
kleinen Klinik von Rehema Namyalo, einer Heilpraktikerin aus Uganda, die unsere Protagonistin ist und die wirklich etwas bewegen
könnte, wenn man sie ließe. Diese beiden Frauen sind zum Ausgangspunkt des Films geworden. Es war mir sehr wichtig, Frauen
als Protagonistinnen zu finden, denn das Problem Malaria wird in Afrika von Frauen getragen. Sie müssen täglich die Konsequenzen
tragen. Weder im Alltag noch im obersten Segment der High-Tech-Forschung haben Männer eine Verbindung zu den Frauen an der
Basis. In der Forschung sind zum Großteil Männer tätig, das musste Teil des Films werden, auch wenn ich ehrlich versucht war,
einen reinen „Kräuterfilm“ zu drehen. Das hätte aber wieder bedeutet, Afrika in eine Ecke zu drängen. Ich glaube, es könnte
politisch viel in Bewegung bringen, wenn die Bedeutung der Frauen in dieser Frage erkannt würde.
Viele Ihrer afrikanischen Gesprächspartner stammen aus Familien, wo viele Geschwister als Kleinkinder an Malaria gestorben
sind. Diejenigen, die im Kampf gegen Malaria engagiert sind, sind Überlebende und scheinen auch daher motiviert zu sein, sich
einzusetzen.
KATHARINA WEINGARTNER: Die Idee war, dass meine männlichen Protagonisten in Afrika wiederum zu ihren Müttern gehen, denen ja zu verdanken ist, dass
sie überlebt haben. Meine beiden Gesprächspartner – Patrick Ogwang, ein Professor für Pharmakologie in Uganda und Richard
Mukabana, Insektenforscher und Professor an der Uni in Nairobi, haben interessante alternative Ansatz, daher sind sie auch
im Film. Richard forscht im Bereich der öffentlichen Gesundheitsvorsorge, die von freiwilligen, d.h. unbezahlten Gesundheitsarbeiterinnen
in den Dörfern verrichtet wird. Er würde gerne eine staatliche Finanzierung auf die Beine stellen. Sein Weitblick hat uns
sehr gut gefallen. In der technokratischen, von weißen Männern dominierten Welt der Malaria-Forschung werden seine Untersuchungen
natürlich nicht als interessant erachtet. Das ist mein größter Kritikpunkt: dass wir mit unserer westlich "aufgeklärten" Sichtweise
alles empirisch technokratisch lösen müssen, statt dass wir uns lokale, von den Gemeinden und besonders von den Frauen getragene
Lösungen anschauen und diese unterstützen.
DAS FIEBER führt nicht nur Schritt für Schritt vor Augen, wie einmal mehr westliche Wirtschaftsinteressen auf Kosten afrikanischer
Probleme durchgesetzt bzw. praktiziert werden. Hört man den Forschern zu, dann scheint es auch trotz standardisierter Forschungsmethoden
eine Wissenschaft und ein Wissen zweiter Klasse zu geben.
KATHARINA WEINGARTNER: Richard Mukabana spricht an einer Stelle, die ich bewusst weggelassen habe, von Neokolonialismus im Bereich der Wissenschaft.
Er hat den Eindruck, der Mainstream-Wissenschaft als Kofferträger zu dienen, der Proben bereitstellen darf. Was damit in Folge
geschieht, wird an anderer Stelle entschieden. Da kommen dann grundsätzliche Fragen zur Seriosität der Forschung ins Spiel.
Warum wird Artemisinin oder Artemisia annua in der Wissenschaft als „gefährlich“ eingestuft? Gibt es dafür ökonomische Hintergründe?
Erst gestern hat Paul Mwamu, ein weiterer Protagonist, der als Lehrer arbeitet, das Foto eines Artikels der WHO in der kenianischen
Tageszeitung Daily Nation geschickt, wo auf einer Doppelseite vor Artemisia annua gewarnt wird. Wie sehr ist das von der Pharmaindustrie gesteuert?
Die Wirksamkeit von Artemisia annua ist wissenschaftlich erwiesen. Als ich für den Film mit der WHO in Kontakt war, war man
nahe daran die Richtlinien zu überarbeiten. Jetzt gab es wieder eine Kehrtwende. Bill Gates diktiert der WHO inzwischen ihre
Gesundheitspolitik, besonders bezüglich der Malaria. Es wird im Film immer wieder erklärt, dass ein einzelner Wirkstoff aus
einer Heilpflanze mit über hundert Wirkstoffen keine Resistenz hervorrufen kann, sondern das Medikament selbst die Resistenz
hervorruft. Paul erzählt auch, dass sein Bezirk für die Malaria-Impfung auserkoren worden ist. Nach EU-Standards dürfte sie
gar nicht als solche bezeichnet werden, weil sie nur zu 30% wirksam ist. Sie gefährdet die Immunität der Kinder, die im ersten
Jahr mehrfach geimpft werden müssten, was sowieso nicht durchführbar ist. Der Impfstoff wurde mit steuerfreien Investitionen
der Gates-Stiftung bei Glaxo-Smith-Kline entwickelt. Die WHO hat nach langem Hin und Her den Impfstoff trotz der geringen
Wirkkraft zugelassen.
Wie hat sich die Route dieser langen Reise nach und nach entwickelt?
KATHARINA WEINGARTNER: Wir haben auf der ersten Recherchereise sehr rasch die drei ProtagonistInnen Rehema, Patrick und Richard gefunden. Es war
sofort klar, dass sie diesen Film bestimmen würden. Wir haben insgesamt an die 150 Malariaforscher weltweit interviewt, weil
wir uns ganz sicher sein und ein breitgefächertes Wissen haben wollten. Bei den Recherchereisen in China und den USA hatten
wir uns ja mehr im Bereich der Militär- und Tropenmedizin bewegt und zunächst die Idee, diese Erkenntnisse mit den Sichtweisen
aus Afrika zu verknüpfen. Dann entschieden wir uns, den Film ganz aus der ostafrikanischen Perspektive zu erzählen und dreimal
zur Regenzeit drehen zu fahren, weil Malaria ja nur zur Regenzeit auftritt. Mehrmals hinfahren auch deshalb, weil mit der
Kontinuität eine bessere Vertrauensbasis gegeben ist, die sich auf die Qualität des Materials auswirkt. Da unsere Arbeitsphasen
zwischen Drehen und Schneiden alterniert haben, konnten wir sehr gut herausfiltern, was beim folgenden Dreh noch wichtig war.
Ich halte das für eine gute Methode, sich einem Thema anzunähern, gerade wenn man sich in einem fremden Umfeld bewegt.
Die Aussagen Ihrer ProtagonistInnen machen auch die Abwesenden im Film deutlich. Ich denke an Vertreter der kenianischen Gesundheitsbehörde,
oder die Gates Stiftung in Seattle, wo der berühmte Stifter nur über einen Bill Gates-Imagefilm zu Wort kommt. Gibt es Abwesende,
die Sie gerne in Ihren Film integriert hätten, die aber zu keinem Statement bereit waren?
KATHARINA WEINGARTNER: Wir haben unsere Recherchen mit Mikrophon dokumentiert und bei Konferenzen sehr viel mit TropenmedizinerInnen gesprochen.
Doch wir wollten nicht das reproduzieren, was uns die ganze Zeit schon vorgegaukelt wird. Unser gefilmtes Interview z.B. bei
Novartis war letztlich so aalglatt, dass es unseren afrikanischen ProtagonistInnen die Aussagekraft genommen hätte. In Seattle
z.B. war ich nicht einmal selbst, wir haben diese Sequenz in Auftrag gegeben. Uns wurde aber ein Gespräch mit Bill Gates angeboten,
sogar Förderungen der Gates Stiftung. Dank unserer noch existierenden staatlichen Förderung konnte ich dankend abwinken. Das Fieber sollte kein simples Modell von den Guten und den Bösen vorführen. Es ist wichtig, jene AkteurInnen ins Zentrum zu rücken,
die, wenn man sie mit nötigen Mittel ausstatten würde, eine prekäre Situation um 180° wenden könnten. Mich interessiert es
mehr, dorthin zu schauen, wo Veränderung, wo Empowerment gerade im Gange ist. Visuell haben wir uns deshalb entschieden, von
Novartis oder der Gates Stiftung nur die Fassaden zu zeigen und die O-Töne wegzulassen. Dieses verlogene Narrativ ist omnipräsent
und das wollten wir nicht noch einmal vorführen. Die abwesenden Gesprächspartner sind daher eine bewusste Entscheidung. Es
war ein wichtiger Schritt, auch wenn uns die Profitverwicklungen sehr interessiert haben, uns vom historischen Pharmathriller
wegzubewegen, hin zu einer Erzählung, die den ostafrikanischen Frauen, denen wir begegnet sind, vertraut und die wesentlichen
Denkanstöße auch für unseren gesellschaftlichen Wandel liefern. Ein Zugang, der in gewisser Weise bedeutet, den Kolonialismus
rückwärts aufzurollen, indem wir diesen Menschen zuhören und ernst nehmen, was sie zu sagen haben. Es war für mich der wichtigste
Schritt in dem Film und es war sehr schwer, diese Entscheidung durchzusetzen.
Mit dem Aufzeigen der Produktion der Moskitonetze schließt sich sozusagen das große Netz, das sichtbar macht, wie aus einem
regionalen Gesundheitsproblem auf Kosten der Lösung des Problems in erster Linie ökonomischer Nutzen generiert werden kann.
KATHARINA WEINGARTNER: Der Einsatz von Moskitonetzen ist in der Malaria-Prävention schon lange ein großes Thema. Mir ist in der Netzproduktion eine
eindeutige Parallele zum Einsatz von Coartem bewusst geworden. Mit potenter Unterstützung globaler GeldgeberInnen wurde eine
riesige Moskitonetz-Fabrik in Tansania an den Fuß des Kilimanjaro gebaut, wo tausende Menschen beschäftigt sind, die dort
erst einmal hingebracht werden müssen. Zu 80% sind dort Frauen beschäftigt; die gesundheitlichen Schäden, die die Arbeit verursacht,
sind schwer. Zum einen haben wir ein ökologisches Problem, zum anderen funktioniert aber auch die Distribution nicht. Dieses
große Werk hat in ganz Afrika die kleineren Produktionsstätten von Moskitonetzen ruiniert. Ein japanischer Konzern steht hinter
der Produktion der Netze, die Plastikkapseln, die die Basis bilden, kommen aus Korea und werden dort bereits mit einem Insektizid
versehen. Die Plastikkugeln landen per Schiff in Dar-es-salam, werden nach Arusha transportiert und dort eingeschmolzen und
zu Netzfäden verarbeitet. Man bedenke, wer hier aller profitiert. Es ist kein einziges afrikanisches Unternehmen dabei. Wir
haben immer versucht, unsere Entdeckungen wissenschaftlich abzusichern und wurden auch davor gewarnt, uns allzu weit vorzuwagen.
Oft waren es Wissenschaftlerinnen, die uns gedanklich auf Wege abseits des Mainstream-Denkens gebracht haben. Eine führende
australische Insektenforscherin hat vor vielen Jahren davor gewarnt, dass die Moskitos schnell Resistenz gegen das in den
Netzen enthaltene Insektengift entwickeln könnten, was auch eingetreten ist. Wenn nun Coartem, das Pyrethrum der Netze und
Artemisinin ausfallen, dann zeichnet sich eine humanitäre Katastrophe ab. Aber in der aufgeklärten High-Tech-Welt denkt kein
Mensch zehn Jahre voraus.
Wurden Sie auch am Arbeiten gehindert?
KATHARINA WEINGARTNER: Ja, von verschiedensten Seiten fürchtete man entweder eine Klage von Novartis, das Publikum zu verlieren, weil "nach 33 Minuten
noch immer kein Weißer" im Bild gewesen war, sprich ein weißer Wissenschaftler seinen Segen gibt, oder es wurden Rehemas Aussagen
als „gefühlte“ Wahrheiten hingestellt. Es wurde angezweifelt, dass ich in einem muslimischen Kontext mit einer Kamerafrau
wie der unschlagbaren Vorarlbergerin Siri Klug an mein Ziel kommen würde. Wir waren ein sehr starkes Frauenteam mit Weina
Zhao, Anna Hirschmann, Evelyn Faye-Horak, Sophia Laggner, Mo Bernold, Susi Harrer und Andrea Wagner als Cutterin. Die Behinderungen
waren vielfältig. Ich habe bei diesem Projekt sehr grundlegende Unterschiede zwischen dem deutschen und dem österreichischen
Förderbetrieb festgestellt. In Österreich hatte ich immer das Gefühl, dass meine Arbeit als Regisseurin sehr ernst genommen
wurde und ich fühlte mich in meinen künstlerischen und politischen Absichten vom ÖFI stark unterstützt. Wir waren finanziell
gut ausgestattet und konnten wirklich sehr fundiert recherchieren. Die deutsche und Schweizer Förderung habe ich als reine
Quotenförderung erlebt, wo immer wieder versucht wurde, auch inhaltlich massiv einzugreifen, um die jeweiligen Effekte zu
erzielen und die TV-Redaktionen zufrieden zu stellen.
Eine schöne Szene ist die der Heilpraktikerin Rehema mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Tochter, alle drei sitzen im Dunkeln
und haben eigentlich das Wissen. Wie sehen Sie diese Szene?
KATHARINA WEINGARTNER: Rehemas Mutter hat für mich etwas von einem Orakel. Sie sagt auch: „Für manche bin ich die Hexe, andere, denen ich helfen
kann, nennen mich Kräuterheilerin." Das steht sehr exemplarisch für das, was man über den Kolonialismus sagen kann. Afrikanische
Frauen gelten immer noch als „Hexen“, weil sie so viel Macht und Wissen haben, das schon seit unzähligen Generationen weitergetragen
und aus Profitgier von unseren Missionaren verteufelt wurde. Von der Geschichte der Menschheit her betrachtet, ist die Kolonialisierung
ein sehr junges Kapitel. Wir sollten uns viel mehr vor Augen halten, dass unsere eigenen Wurzeln auf diesem Kontinent ihren
Ausgang genommen haben. Dazu gibt es bis heute kaum Reflexion.
Mit welchem Gefühl haben Sie Ihre fünfjährige Arbeit abgeschlossen, obwohl keine Lösung des Problems in Sicht ist. In welche
Richtung kann es gehen?
KATHARINA WEINGARTNER: Wenn wir es schaffen, mit diesem Film in afrikanische Communities zu gehen und Interesse für den politischen Hintergrund
und ein Bewusstsein für die Dringlichkeit der Selbstbehandlung schaffen, dann hat der Film schon eine gute Fortsetzung gefunden.
Es gibt schon eine Reihe von Grassroots-Organisationen, die sich damit beschäftigen und die unseren Film gerne unter ihre
Fittiche nehmen wollen. Richard arbeitet zur Zeit mit BTI-Drohnen; Patrick ist Teil eines wachsenden Netzwerks von WissenschaftlerInnen,
die jetzt endlich auch Gelder bekommen, um klinische Studien zu Artemisia annua und afra durchzuführen. Ein Arzt im Kongo
hat eine große Studie durchgeführt, die anerkannt wird. Er wurde vergiftet und hat nur ums Haar überlebt. Es ist eigentlich
eine richtige Wild-West-Geschichte. Er wird zur Premiere nach Leipzig kommen, wie auch einige Artemisia-annua-ExpertInnen,
die seit Jahrzehnten um die Anerkennung als Malariamittel kämpfen und für die unser Film sehr wichtig ist. Ich bin zuversichtlich,
dass es im Medizin-Aktivismus weitergehen wird, auch wenn es sich um einen Tropfen auf dem heißen Stein handelt. In Wirklichkeit
ist ganz Subsahara-Afrika von Coartem abhängig. Jetzt sind auch chinesische und indische Generica am Markt und viele Fälschungen.
Die WHO hat im Oktober wieder einmal mit scharfen Sanktionen gedroht, wenn afrikanische Länder die Behandlung mit Artemisia
als Heilkraut unterstützen. Die Menschen werden verhaftet, ermordet und verjagt. Und wenn ich mir den Artikel in der Daily
Nation in Kenia vor Augen halte, dann sieht man auch, wie wenig respektiert bzw. gefährlich die Arbeit der AktivistInnen im
Film in den jeweiligen Ländern ist. Der Westen wird sich nicht so schnell seine Pfründe nehmen lassen. Nicht nur Novartis
verdient sich eine goldene Nase. Es ist eine schändliche Geschichte.
Interview: Karin Schiefer
Oktober 2019